Zwölf Stunden pro Tag, 60 Stunden pro Woche. FPÖ und ÖVP wollen die gesetzliche Maximalarbeitszeit erhöhen. Was die Arbeitszeitverlängerung konkret bedeutet haben wir für dich zusammengefasst.
Wen betrifft die Arbeitszeitverlängerung?
Potenziell fast Alle. Wenn du deine Arbeitskraft verkaufst und dafür Lohn erhältst, dann gelten die neuen Regelungen für dich. Wenn in dem Unternehmen, in dem du arbeitest, eine entsprechende „freiwillige“ Vereinbarung getroffen wird (siehe unten), kann dein Chef dich zwingen, bis zu zwölf Stunden täglich und bis zu 60 Stunden pro Woche zu arbeiten. Im Gastronomie- oder Hotelbereich werden deine Ruhestunden von elf auf acht Stunden reduziert. Abzüglich der Fahrtzeit bleibt da nur wenig Schlaf.
Und was bedeutet das konkret für mich?
Kurz gesagt: Früher aufstehen, später nach Hause kommen, höhere Risiken und dafür weniger Geld. Ein 12-Stunden-Tag bedeutet, dass weniger Zeit für Familie und FreundInnen, für Sport und Hobbies, für Sorgearbeit und Spaß zur Verfügung steht. Wenn gleichzeitig, wie in Oberösterreich, die Kinderbetreuung verschlechtert wird, trifft das vor allem Eltern und Alleinerziehende.
Zudem ist langes arbeiten gefährlich: Das Risiko für Arbeitsunfälle steigt deutlich nach der achten Arbeitsstunde, Gesundheitsschäden wie Rücken- und Nackenschmerzen nehmen stark zu, wenn länger als 40 Stunden pro Woche gearbeitet wird.
Und letztlich bedeutet eine Verlängerung der Arbeitszeit schlicht weniger Geld. Was früher als Überstunden ausbezahlt wurde, fällt dann in die normale Arbeitszeit. Man könnte das auch Lohnraub nennen.
ÖVP und FPÖ nennen das eine „notwendige Flexibilisierung der Arbeitszeiten“. Sind wir denn wirklich zu unflexibel?
Das kommt darauf an, wen man fragt. KapitalistInnen haben natürlich ein Interesse daran, ihre ArbeiterInnen und Angestellten möglichst lange und billig arbeiten zu lassen. In Österreich blicken sie mit Neid auf jene europäischen Länder, in denen ihre KonkurrentInnen „flexibler“ arbeiten lassen können. Nach Deutschland zum Beispiel, wo durch die „Agenda 2010“ ein riesiger Niedriglohnsektor geschaffen wurde. Oder nach Frankreich, wo Emmanuel Macron als „Präsident der Reichen“ gerade die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes durchsetzt. So gesehen sind die gesetzlichen Regelungen in Österreich tatsächlich zu unflexibel – wenn es darum geht, die Profite weiter zu erhöhen.
Aus Sicht der arbeitenden Menschen – also der großen Mehrheit – sieht das freilich anders aus. Schon jetzt können Arbeitszeiten fallweise auf bis zu 50 oder 60 Stunden pro Woche angehoben werden. Formal werden Lohnabhängige durch Leiharbeit, All-in-Verträge oder Scheinselbständigkeit zur „Flexibilität“ im Sinne des Unternehmens gezwungen.
Informell frisst sich die Arbeit in vielen Berufen ohnehin immer weiter in das Leben. 70 Prozent der Befragten sind laut einer Studie der AK Niederösterreich auch in der Freizeit für ihre Chefs erreichbar, über 70 Prozent checken täglich vor dem Schlafengehen noch ihre Emails. Das macht nachweislich krank: Je länger, entgrenzter und unsicherer gearbeitet werden muss, desto höher ist das Risiko für psychische Erkrankungen wie Depressionen und Schlafstörungen.
Ich arbeite jetzt schon oft viel länger als 10 Stunden am Tag, 40 Stunden die Woche. Ist das nicht normal?
In vielen Branchen werden schon jetzt die Höchstarbeitszeiten häufig überschritten. Unselbständig Beschäftigte mit einer Vollzeitanstellung arbeiten im Durchschnitt 41,5 Stunden, Österreich liegt damit im europäischen Spitzenfeld. Jedes Jahr leisten ArbeiterInnen und Angestellte 254 Millionen Überstunden. Das ist schon jetzt ein Problem – siehe oben. Wer in Berufen mit extrem flexiblen Arbeitszeiten arbeitet, etwa im Gesundheits- und Pflegebereich, kennt die negativen Auswirkungen.
Wenn Schwarz-Blau die maximale Arbeitszeit auf 12 Stunden pro Tag und 60 Stunden pro Woche erhöht wird, hat das vor allem zwei Auswirkungen. Erstens werden ungesunde, erschöpfende und familienfeindliche Arbeitszeiten weiter zunehmen. Zweitens werden jene, die schon jetzt mehr arbeiten, weniger Geld bekommen. Denn durch die Erhöhung der Maximalarbeitszeit wird die Mehrarbeit nicht mehr als Überstunden abgegolten.
Kurz und Strache sagen, dass 12-Stunden-Tage nur „freiwillig“ geleistet werden. Was heißt das?
„Freiwillig“ bedeutet, dass der Zwölf-Stunden-Tag bzw. die 60-Stunden-Woche nur dort möglich ist, wo es eine Einigung im jeweiligen Unternehmen gibt. „Stärkung der Betriebsebene“ nennen das die schwarz-blauen Verhandler. Das heißt nichts anderes, als dass die Interessenvertretung der ArbeiterInnen und Angestellten – die Gewerkschaft – nichts mehr mitzureden hat.
Die Chefs verhandeln mit dem Betriebsrat oder, wenn es keinen gibt, in Einzelvereinbarungen direkt mit den ArbeiterInnen oder Angestellten. Damit ist die Verhandlungsmacht eindeutig auf Seite der Unternehmen. Sie können subtil oder offen Druck ausüben, der vor allem in den Einzelvereinbarungen darauf hinauslaufen kann: Du stimmst längeren Arbeitszeiten zu, oder du hast vielleicht bald gar keine Arbeit mehr.
Klingt nach einer Scheißidee. Wer hatte die denn überhaupt?
Große Konzerne und ihre Lobby in Österreich, die Industriellenvereinigung, wünschen sich das schon lange. Besonders laut hat sich KTM-Chef Stefan Pierer „flexiblere Arbeitszeiten“ gewünscht. Der selbe Stefan Pierer, der 436.563 Euro an seinen Lieblingspolitiker überwiesen hat. Er war mit Abstand der größte Einzelspender der „Liste Kurz“.
Dass Pierers Brief ans Christkind – er wünschte sich 12 Stunden pro Tag, 60 Stunden pro Woche Arbeitszeit für seine Untergebenen – jetzt eins zu eins von Kurz umgesetzt wird, ist wohl eine wundersame Fügung. Pierer und die Industriellenvereinigung können vorzeitig Weihnachten feiern, zu den Beschäftigten kommt der Krampus.
Und da macht die „Soziale Heimatpartei“ FPÖ mit?
Ja. Obwohl Heinz-Christian Strache 2014 zum 12-Stunden-Tag folgendes zu sagen hatte: „Eine asoziale leistungsfeindliche Idee, da dies für alle Arbeitnehmer Nettoreallohnverluste bedeutet würde. Jeder arbeitende Mensch hat es sich verdient, wenn er über acht Stunden am Tag arbeitet, diese Mehrstunden als Überstunden ausbezahlt zu erhalten.“ Heute klingt das ganz anders, die blaue Arbeitszeitverlängerung ist beschlossene Sache.
Viele Fans der FPÖ finden das übrigens nicht so toll. Auf der Facebook-Seite von Heinz-Christian Strache und im Forum der Krone toben sie.
Die ÖsterreicherInnen haben diese Regierung ja gewählt – also wollen sie das wohl so, oder?
Richtig ist, dass die österreichischen WählerInnen im Oktober eine satte rechte Mehrheit gewählt haben. Wir wissen aber auch durch Studien, dass eine große Mehrheit gegen eine Verlängerung der maximalen Arbeitszeit ist. In einer Online-Umfrage der Arbeiterkammer geben 90 Prozent an, dass es für sie „sehr oder eher schwierig“ wäre, wenn der Arbeitgeber jederzeit 12-Stunden-Arbeit verlangen könnte. 74 Prozent der Eltern sehen es als „sehr oder eher schwierig“, 12-Stunden-Arbeitstage mit den Bedürfnissen der Kinder zu vereinbaren, 80 Prozent sind der Ansicht, Sport und Hobbys wären bei 12-Stunden-Arbeitstagen vernachlässigt.
Warum haben sie dann Parteien gewählt, die genau das durchsetzen wollen? Vor allem, weil darüber im Wahlkampf kaum berichtet wurde. Die Medien haben gemacht, was Kurz und Strache wollten: Sie haben monatelang über „Islamkindergärten“ berichtet oder darüber sinniert, wie stark man die Mindestsicherung für Asylberechtigte kürzen sollte. Wenn kleine, unabhängige Medien über die politischen Pläne von Schwarz-Blau berichtet haben, wurden sie ignoriert oder lächerlich gemacht. Als die Plattform „Die 95 Prozent“ etwa noch im Wahlkampf die jetzt beschlossene Arbeitszeitverlängerung exakt vorhersagte, nannte der „Kurier“ sie „Heckenschützen im Netz“.
Es gibt also wohl eine Mehrheit in der Bevölkerung gegen diese Maßnahmen. Aber sie wird wirkungslos bleiben, solange diese Mehrheit davon überzeugt bleibt, dass Flüchtlinge und MuslimInnen das wahre Problem im Land sind.