Was der Corona-Virus mit Privatisierungen zu tun hat

Rund 30.000 Menschen sind in China am Corona-Virus erkrankt. Als Reaktion hat die Regierung fast 50 Millionen Menschen unter Quarantäne gestellt und arbeitet mit Hochdruck an der Bekämpfung des Virus. Daniel Fuchs hat zu China promoviert, und mehr als drei Jahre lange dort gelebt und geforscht. Im Interview mit Klaudia Wieser spricht er über Privatisierungen im chinesischen Gesundheitssystem, erstaunlich offene Kritik an Machthabern und Erinnerungen an SARS.

In Wuhan und anderen Städten der Provinz Hubei in China stehen insgesamt mehr als 50 Millionen Menschen unter Quarantäne. Wie schaut der Alltag dort aus?

Quarantäne bedeutet in diesem Fall erstmal, dass die Verkehrsverbindungen in und aus diesen Städten gekappt sind. Innerhalb der Städte ist auch der U-Bahn und Bus-Verkehr gestoppt. Das öffentliche Leben liegt weitgehend still. Auch die meisten Geschäfte blieben bis dato geschlossen. Die Bevölkerung wurde dazu aufgerufen, möglichst in ihren Wohnungen zu bleiben, und viele Menschen gehen offenbar auch nur dann außer Haus, wenn sie grundlegende Lebensmittel besorgen müssen.

Einblick in den Alltag der Menschen in der Provinzhauptstadt Wuhan bieten vor allem persönliche Berichte in Chinas sozialen Medien, insbesondere auf den Plattformen Wechat und Weibo. Diese als „Tagebücher aus der abgeriegelten Stadt“ bezeichneten Berichte werden breit geteilt und diskutiert. Was dabei deutlich wird, ist die vorherrschende Unsicherheit über die Dauer der Quarantäne, die permanente Angst, sich mit dem Virus anzustecken, das Gefühl der Hilflosigkeit und Vereinzelung.

Wie ist die Situation in den Spitälern?

Sie sind vollkommen überlastet. Das macht die Leute sauer, vor allem weil sie 2002/2003 während des SARS-Virus ähnliche Erfahrungen machen mussten. Mittlerweile versucht die chinesische Führung ja, alle verfügbaren Hebel zur Eindämmung des Virus in Bewegung zu setzen. Aber davor hat es wochenlang keine Informationen gegeben. Und auch trotz der umfassenden Anstrengungen, zum Beispiel das Einfliegen von hunderten von Ärzten aus anderen Städten oder die Errichtung zweier neuer Notfallkrankenhäuser, fehlt es laut den Berichten von vor Ort immer noch an medizinischen Geräten, Personal und Betten. Das führt offenbar mitunter dazu, dass Personen, die sich krank fühlen, auch schlichtweg ohne Untersuchung wieder nach Hause geschickt werden müssen.

Wer hat Zugang zum Gesundheitssystem in China?

Die Reform des Gesundheitswesens in den 1980er und vor allem 1990er Jahren war mit einem deutlichen Rückgang der staatlichen Zuschüsse an öffentliche Krankenhäuser sowie mit Privatisierungen verbunden. Bis Ende der 1990er Jahre machten Regierungszuschüsse zum Beispiel nur noch weniger als zehn Prozent des Einkommens von Krankenhäusern aus. Das hat zu einem zunehmenden Wettbewerb zwischen den jeweiligen Einrichtungen und in der Folge auch zu steigenden Preisen für Medikamente und Behandlungen geführt.

Es gibt in China zwar eine allgemeine Grundkrankenversicherung, aber diese deckt nur einen geringen Teil der Kosten. Schwerwiegende Erkrankungen bedeuten daher oft auch finanzielle Notsituationen für gesamte Familien. Die ländliche Bevölkerung und WanderarbeiterInnen sind davon am härtesten betroffen. Ausgaben im Bereich Gesundheit stellen für chinesische Haushalte, nach Ausgaben für Lebensmittel und Bildung, die drittgrößte Belastung dar. Diese allgemeine Situation und der staatliche Umgang mit Krisenfällen in der Vergangenheit haben auch dazu geführt, dass das Vertrauen in das staatliche Krisenmanagement im Bereich Gesundheitspolitik und -versorgung relativ schwach ausgeprägt ist.

Inwieweit stellt die vorhin angesprochene Kritik in der Bevölkerung eine Gefahr für die Legitimtät der politischen Führung dar?

Ich denke, das muss man differenzierter betrachten. Auf der einen Seite gibt es die angesprochene und zum Teil auch bemerkenswert weit verbreitete Kritik an der Informationspolitik und dem bisherigen Krisenmanagement. Der Tod des Arztes Li Wenliang, der Ende Dezember bereits auf die Gefahr durch den neuen Virus hingewiesen hatte und deshalb gemeinsam mit sieben weiteren „Whistleblowern“ von den lokalen Polizeibehörden festgenommen worden war, hat dazu geführt, dass sich diese Kritik und Wut in weiten Teilen der Bevölkerung deutlich zugespitzt hat. Mittlerweile haben sich auch staatliche Medien kritisch geäußert und sogar die höchste Führungsebene hat Fehler eingestanden. Zum anderen ist die Kritik bisher zumindest noch vor allem an lokale Parteikader und Regierungsvertreter auf Stadt- und Provinzebene adressiert. Das kennt man auch von anderen Konfliktfällen in China. Die Parteiführung unter Xi Jinping blieb bisher aber weitgehend davon verschont.

Dennoch ist klar: Das Krisenmanagement stellt für die KP eine große Herausforderung dar. Die stark fallenden Kurse an den Aktienmärkten in Shanghai und Shenzhen verdeutlichen auch eine ökonomische Verunsicherung. In China stehen weiterhin viele Betriebe still. Bereits jetzt gibt es erste Berichte aus anderen Teilen Ostasiens, wo die Wirtschaft wegen Engpässen in der Zulieferkette lahmt. Die längerfristigen wirtschaftlichen Implikationen – nicht nur in China, auch global – sind daher noch schwer abzuschätzen.

Wechseln wir das Thema. Als es vorvergangene Woche den ersten Verdachtsfalls des Corona-Virus in Wien gab, verwendete oe24 in ihrer Berichterstattung eine Fotomontage, die eine Frau mit Kopftuch zeigte. Was ist das Problem an solchen Bildern?

Man schreibt Krankheiten eine Herkunft zu. Das ist ein Diskurs, der rassistisch aufgeladen ist. Das angesprochene Cover ist sicher ein österreichischer Spezialfall, weil der antimuslimische Rassismus in Österreich sogar im Zusammenhang mit dem Corona-Virus auftaucht. Es zeigt jedenfalls sehr gut, wie flexibel rassistische Zuschreibungen miteinander gekoppelt werden können.

Allgemeiner geht es seltener um Frauen mit Kopftuch, als um Personen, die chinesisch oder asiatisch aussehen sollen. Der mediale Diskurs schöpft dabei aus einem bestimmten Archiv von Bildern, einem historisch tradierten, rassistischen Wissen über „China“.

Was meinst du damit?

Das beginnt damit, dass deutsche Medien oftmals vom Virus als „Chinavirus“ sprechen. Das ist eine ortsbezogene Bezeichnung, die natürlich auch von der WHO strikt abgelehnt wird. Etwas subtiler aber immer noch höchst problematisch war das jüngste Titelbild des Nachrichtenmagazins Der Spiegel. Darauf ist eine als asiatisch/chinesisch identifizierte Person mit Schutzmaske, rotem Regenmantel und Handy zu sehen ist. Darunter steht „Made in China“. Die Kombination aus Bild und Überschrift suggeriert, dass der Virus in China produziert und als chinesisches Exportprodukt um die Welt geschickt wird. Ich möchte keinen Vorsatz unterstellen, aber gerade derartige Botschaft verstärken die rassifizierte Angstmache in der Bevölkerung.

Ist das Problem der rassistischen Berichterstattung in Österreich und Deutschland besonders groß?

Nein, das würde ich so nicht sagen. Die dänische Zeitung Jyllands-Posten titelte mit einer Karikatur der chinesischen Flagge und ersetzte die Sterne durch Viren. Die französische Regionalzeitung Le Courrier Picard sprach explizit vom „gelben Alarm“ und der „gelben Gefahr“. Das sind rassistische Bilder mit denen bereits europäische Kolonialmächte schon im 19. Jahrhundert ihre Politik legitmierten. Aus Südkorea gibt es Berichte von Restaurants, die Schilder mit „Eintritt für Chinesen nicht erlaubt“ angebracht haben.

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