Wie sich Arbeit verändern muss, um das Klima zu retten

Was, wenn niemand mehr in einem Kohlekraftwerk arbeiten will? Und was, wenn sich die Menschen nach Auslaufen der Kurzarbeit weigern, wieder ihre normalen Dienstzeiten anzutreten? Über diese Fragen diskutierte ein hochkarätiges Panel auf der Degrowth-Konferenz in Wien. Melanie Pichler, die moderiert hat, schreibt über den blinden Fleck einer Bewegung, den Wohlfahrtsstaat 2.0 und das Dilemma Laudamotion.

Es braucht kein Wachstum, um eine Gesellschaft solidarisch zu gestalten. Das stand für die Degrowth-Bewegung seit Beginn an fest. Doch was heißt das für die Organisation von Arbeit? Wie sollen Menschen in einer Gesellschaft arbeiten, die nicht mehr auf Wachstum ausgelegt ist und welche Arbeitsplätze braucht es dafür? Bisher blieben ihre Forderungen – etwa nach einem bedingungslosen Grundeinkommen – oft abstrakt, oder zu kleinteilig, wie beispielsweise lokale Tauschkreise. Ein blinder Fleck der bei der diesjährigen Degrowth-Konferenz in Wien ein Kernthema war.

Arbeitszeitverkürzung als Gebot der Stunde

„Arbeitszeitverkürzung ist das Gebot der Stunde“, sagt Juliet Schor, Professorin am Boston College, die seit den 1980ern das Verhältnis von Produktivität und Arbeit untersucht. Wenn nicht mehr das Wachstum sondern die Grundbedürfnisse im Vordergrund stehen sollen, verschwinden viele Arbeitsplätze. Wir müssen die verbleibende Arbeit besser verteilen. Sonst sind viele Menschen arbeitslos, während andere Menschen weiterhin viel zu viel arbeiten. Und wenn Arbeit umverteilt wird, können auch klimaschädliche Industrien umgebaut werden, ohne dass die betroffenen ArbeiterInnen darunter leiden.

Doch wie kann man eine Arbeitszeitverkürzung durchsetzen? Die Corona-Krise biete eine gute Gelegenheit dafür, meint Schor. Verkürzte Arbeitszeitmodelle, wie sie aktuell gezwungenermaßen in vielen Ländern der Welt ausgerollt wurden, könnten auf Dauer gestellt werden. Denn wer sich zum Beispiel einmal an die 4-Tage-Woche gewöhnt hat, lässt sich nicht mehr so einfach in eine 5-Tage-Woche zurückkommandieren.

Technologischen Fortschritt nutzen

Neben einem Fokus auf jene Produkte und Dienstleistungen, die wir wirklich brauchen, spricht auch der technologische Fortschritt für eine Arbeitszeitverkürzung. Zwar wird eine klimafreundliche Wirtschaft in einigen Bereichen mehr Arbeitskraft benötigen, wie das in der Landwirtschaft der Fall ist. Ohne fossile Energie in Form von Düngemitteln wird dort wesentlich mehr Arbeitskraft notwendig sein. Umso wichtiger ist es also, Produktivitätsgewinne in anderen Bereichen zu nutzen, damit Menschen weniger arbeiten und trotzdem besser leben können.

In sozial-ökologische Infrastruktur investieren

Auch die gerade anlaufenden Konjunkturprogramme stellen eine große Chance dar, die Wirtschaft klimafreundlicher zu machen. Will Stronge, Direktor des britischen Think Tank Autonomy plädiert dafür, staatliche Investitionen dafür zu nutzen, um sozial-ökologische Infrastruktur für alle aufzubauen. Dazu gehören Wohnraum, Gesundheitsversorgung und Pflege, Bildung, öffentlicher Verkehr, aber auch Internetzugang oder Rechtsberatung. Diese Bereiche, die für die Bedürfnisse von Menschen essentiell sind, müssen dauerhaft der Marktlogik entzogen, ein Wohlfahrtsstaat 2.0 aufgebaut werden.

Solche Investitionen können auch dazu beitragen, gute Jobs in diesen Bereichen zu schaffen und gleichzeitig die soziale Ungleichheit zu reduzieren, wenn Grundbedürfnisse eben kostenlos befriedigt werden können. Das verringert auch die Notwendigkeit von Menschen, in umweltverschmutzenden Sektoren zu arbeiten. Denn: „Die Menschen arbeiten nicht gerne in Kohlebergwerken oder in der Autoindustrie. Sie arbeiten dort, weil sie keine Alternative haben“, sagt Stronge.

Keine Alternative für ArbeiterInnen

Doch noch gibt es diese Alternativen nicht, wie Anna Daimler von der Gewerkschaft Vida ausführt, denn der politische Wille fehlt. Das zeigt der aktuelle Konflikt um den Ryanair-Ableger Laudamotion in Österreich in aller Deutlichkeit: Obwohl Laudamotion einen Kollektivvertrag unter der Armutsgrenze anbietet, wollen viele ArbeiterInnen das „Angebot“ annehmen. Sie fürchten, gerade jetzt, die Arbeitslosigkeit. Die Gewerkschaft gerät zunehmend unter Druck.

Dazu kommt, dass das Wirtschaftswachstum für die Gewerkschaften bisher ein Grundpfeiler ihrer Verhandlungsmacht ist. Wenn dieser Konsens in die Krise gerät, fehlt derzeit die Verhandlungsbasis für höhere Löhne oder kürzere Arbeitszeiten. Das ist nicht nur in der kommenden Krise ein Problem, es zeigt auch, wie schwer Gewerkschaftsarbeit und Degrowth-Forderungen oft zu vereinen sind.

Macht zurückgewinnen

Um aus diesem Dilemma wieder in die Offensive zu kommen, braucht es mehr als gute Inhalte und Argumente, ist Daimler überzeugt. „Es geht um Macht – und die müssen wir zurückerobern“. Zu lange standen Kämpfe um jeden Beistrich im Mittelpunkt, anstatt die Menschen emotional und emphatisch für die gemeinsame Sache zu begeistern.

Dass ArbeiterInnen selbst aktiver werden, ist wichtig. Aktuell gibt es viele Ideen, um die Rolle von BetriebsrätInnen zu stärken. Sie sind in Österreich eine wichtige Errungenschaft der ArbeiterInnenbewegung – oft aber nur ein Bindeglied zwischen ArbeiterInnen und Management. Wenn sie die Interessen der ArbeiterInnen stärker organisieren und entsprechende Kämpfe auf der betrieblichen Ebene wieder stärker ausgefochten werden, dann stärkt das auch die Schlagkraft der Gewerkschaften.

mosaik war Medienpartner der internationalen Degrowth-Konferenz (29.5. bis 1.6.). Alle Panels der Konferenz können online nachgesehen werden.

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