Die Feuer im Amazonas werden gelegt, um Rindfleisch, Soja und Bioethanol zu produzieren. Das EU-Mercosur-Handelsabkommen würde zu mehr Nachfrage und mehr Bränden führen. Derzeit blockiert Österreich den Deal. Während Merkel angeblich ebenfalls zweifelt, erhöht die deutsche Regierung den Druck auf einen Abschluss. Was davon zu halten ist, warum die deutsche Industrie das Mercosur-Abkommen unbedingt will und wie eine Alternative aussehen könnte, erklärt Theresa Kofler.
Der Amazonas brennt – schon wieder und stärker als zuvor. Im heurigen Juli gab es um gut 28 Prozent mehr Feuer als im Vorjahresmonat. 2020 droht für den Regenwald noch verheerender zu werden als 2019. Die „Lunge der Welt“ speichert gut 100 Milliarden Tonnen CO₂ und stabilisiert damit das Klima auf der ganzen Welt.
Gelegte Feuer und Kahlschläge seien der Auslöser, ist in der allgemeinen Berichterstattung zu lesen. Doch die Frage, warum es regelmäßig dazu kommt, stellt kaum jemand – wohl auch, weil die Antwort für die politischen und ökonomischen Eliten und die Konsument*innen in der EU unangenehm ist.
Brandursache: Rindfleisch-Produktion
Eine heiße Spur sind Satellitenaufnahmen vom letzten Sommer. Sie zeigen, dass die Feuer in Gebieten, wo Rindfleisch produziert wird, dreimal öfter vorkommen als im Rest des Amazonas. Der Wald wird abgeholzt und abgebrannt, um Weideflächen zu gewinnen.
70 Prozent der Brände ereigneten sich in den mutmaßlichen Herkunftsregionen des Schlachtviehs der drei größten brasilianischen Rindfleischproduzenten JBS, Marfrig und Minerva. Keines der Unternehmen verfügt über Kontrollsysteme, die verhindern, dass ihr Schlachtvieh aus entwaldeten Gebieten stammt. Und alle drei Firmen beliefern den EU-Markt. Die europäische Nachfrage nach Rindfleisch aus Brasilien ist also für die Brände mitverantwortlich.
EU will mehr Handel – und damit Amazonas-Brände
Was tut die EU dagegen? Boykottiert sie Rindfleisch aus Südamerika? Verlangt sie strenge Auflagen, um den Import von Fleisch zu verhindern, das von abgebrannten Amazonas-Flächen stammt? Nichts davon geschieht – im Gegenteil. Die EU will den Handel mit Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay – den sogenannten Mercosur-Staaten – sogar steigern. Ein geplantes EU-Mercosur-Handelsabkommen würde die gegenseitigen Zölle senken. Das Ziel des Abkommens: Aus Südamerika sollen mehr Rindfleisch, Soja, Zucker und Bioethanol in die EU gehen – und umgekehrt Autos, Pestizide und Medikamente.
Die Folgen sind klar: Je größer die Nachfrage nach Rindfleisch, Soja und Bio-Ethanol aus der EU, desto mehr Amazonas-Wald wird gerodet und abgefackelt werden. Je mehr Pestizide aus der EU nach Südamerika gehen, desto mehr leiden dort Arbeiter*innen und Ökosysteme. Je mehr die Nachfrage aus der EU den Ressourcenverbrauch in Südamerika bestimmt, desto mehr verlieren indigene Gemeinschaften ihren Lebensraum.
Veto aus Österreich
Kritiker*innen weisen seit Jahren darauf hin, dass der Tausch nicht nur ungleich ist, sondern auf beiden Seiten die Klimakrise anheizt und zur Abholzung des Regenwaldes beiträgt. Dennoch einigten sich die beteiligten Regierungen im Juni 2019 auf das Mercosur-Abkommen. Damit es in Kraft treten kann, müssen jedoch alle EU-Mitgliedstaaten zustimmen. Und hier kommt Österreich ins Spiel. Denn der Nationalrat hat im September letzten Jahres die zuständige Ministerin verpflichtet, auf EU-Ebene gegen das Abkommen zu stimmen. Auf EU-Ebene geht die Arbeit daran dennoch weiter.
Im zweiten Halbjahr 2020 führt die deutsche Regierung den EU-Ratsvorsitz. Diese Gelegenheit will sie nutzen und das Abkommen bis Ende des Jahres unter Dach und Fach bringen. Die Kritik von Wissenschaft, sozialen Bewegungen und manchen Mitgliedsländern interessiert sie offensichtlich überhaupt nicht. „Wir streben beim Abschluss des Mercosur-Abkommens rasche Fortschritte an“, schreibt das deutsche Außenministerium im offiziellen Programm der Ratspräsidentschaft.
Kurswechsel von Merkel? Eher nicht
Darüber wundern sich auch deutsche EU-Abgeordnete wie Anna Cavazzini: „Obwohl sich mehrere Mitgliedstaaten gegen das Mercosur-Abkommen ausgesprochen haben und die Kritik im Europaparlament immens ist, will die Bundesregierung noch dieses Jahr eine Abstimmung zu dem umstrittenen Abkommen herbeiführen.“
Nun berichten Klimaaktivist*innen, Angela Merkel habe ihnen gegenüber versprochen, das Abkommen „in der aktuellen Form“ nicht zu ratifizieren. Diese Formulierung ist in der deutschen Debatte über neoliberale Handelsverträge bekannt. Die SPD und der Deutsche Gewerkschaftsbund verwendeten sie beinahe wortgleich, als ihre Basis vehement forderte, das vergleichbare Abkommen mit Kanada (CETA) zu stoppen. Am Ende stimmten sie CETA dennoch zu. Auch Merkels aktuelle Aussage ist äußert fragwürdig – denn hinter ihr machen die deutschen Konzerne Druck.
Auf Wunsch deutscher Konzerne
Es ist kein Zufall, dass gerade Deutschland das Klimakiller-Abkommen gegen alle Widerstände durchboxen möchte. Denn zentrale deutsche Industrien in Deutschland versprechen sich viel davon, allen voran die Auto- und Chemieindustrie.
Aktuell zahlen deutsche Konzerne bei Exporten in den Mercosur-Raum 35 Prozent Zoll auf Autos und 14 bis 18 Prozent auf Autoteile. Die Aussicht, diese Zölle weitgehend zu streichen, klingt für die Industrie wie ein Heilsversprechen. Denn in Europa kommt sie aufgrund von Dieselskandal, Klimakrise und Schwachstellen durch Hyperglobalisierung nicht mehr voran. Und der Autosektor will nicht nur mehr verkaufen, sondern auch mehr einkaufen. Mit gigantischen Importen von Zucker und Bio-Ethanol aus Südamerika will er die grüne Scheinlösung „Bio-Sprit“ statt einer echten Verkehrswende vorantreiben.
Auch die deutsche Chemieindustrie verspricht sich von dem Abkommen fette Profite. Die Umwelt- und Arbeitsschutzauflagen in den Mercosur-Ländern sind beträchtlich geringer als in Europa. Dort können viele Pestizide zum Einsatz kommen, die hier schon (fast) verboten sind. Ein Beispiel ist das Herbizid Glyphosat, das von Bayer-Monsanto hergestellt wird. Die Weltgesundheitsorganisation stuft es als wahrscheinlich krebserregend ein. In Brasilien ist Glyphosat dennoch das am weitesten verbreitete Spritzmittel. Sinken also die Zölle für Soja auf der einen und für Pestizide auf der anderen Seite, wird noch mehr Soja angebaut und noch mehr Gift gespritzt. Dieses wiederum landet auch auf unseren Tellern.
Nein muss Nein bleiben
Wie groß ist die Chance, dass Österreich das Mercosur-Abkommen verhindert? Vor einigen Jahren gab es bei CETA eine ähnliche Konstellation. Österreich und vor allem Belgien wagten es einige Zeit lang, CETA zu blockieren. Der Druck der restlichen EU war gewaltig. Wir können nur vermuten, was hinter den Kulissen aktuell passiert. Aber Österreich darf sich nicht einschüchtern lassen. Der Beschluss aus dem Nationalrat ist nicht nur rechtlich bindend, sondern auch Mandat für eine lebenswerte Zukunft. Das Nein muss Nein bleiben – egal welche Tricks aus der EU-Kiste gezogen werden!
Denn die letzten Monate haben klar gezeigt: Die aktuelle Form der neoliberalen Globalisierung funktioniert nicht mehr. Sie ist extrem anfällig für Wirtschaftskrisen und zugleich Motor der Klimakrise. Die Erzählung, dass entgrenzter Handel die Staaten zusammenbrächte und Wohlfahrt für alle fördern würde, ist eine genauso beliebte wie falsche.
Für ein neues Handelssystem
Die Antwort ist auch keine neue Politik der Abschottung à la Brexit oder Trump. Der Welthandel sollte vielmehr nach dem Prinzip „So global wie nötig, so lokal wie möglich“ funktionieren. Eine ernsthafte Debatte darüber ist gerade in Anbetracht der globalen Wirtschaftskrise, die nach Covid-19 schon im Anrollen ist, wichtiger denn je. In diese Richtung gehen auch die fünf Forderungen für Sofortmaßnahmen zum Stopp der Brände, die 60 brasilianische Organisationen an die dortige Administration verfasst haben.
Wir müssen das System überwinden, in dem es als erstrebenswert gilt, möglichst viel vom Klimakiller Auto gegen möglichst viel vom Klimakiller Rindfleisch zu tauschen – im Sinn des Amazonas, des Klimas und von uns allen.
Am Freitag, 28. August, rufen Fridays for Future und die Klimagerechtigkeits-Bewegung zu einem weltweiten Streik für den Amazonas auf.
Theresa Kofler ist Koordinatorin der Plattform Anders Handeln, die sich für eine alternative Handelspolitik einsetzt.