Glyphosat: Ein Lehrstück über die Macht der Konzerne

Am 27. November beschlossen die Mitgliedsstaaten der EU, die Zulassung des umstrittenen Pestizids Glyphosat für fünf Jahre zu verlängern. Die Auseinandersetzung bietet lehrreiche Einblicke in die Machenschaften der Konzerne, meint Irmi Salzer.

Der deutsche Landwirtschaftsminister Schmidt (CSU) war das Zünglein an der Waage. Gegen den Willen seiner Regierungskollegin, der Umweltministerin Hendricks von der SPD stimmte er dem Vorschlag der EU-Kommission zur Verlängerung zu und führte so die „qualifizierte Mehrheit“ im Berufungsausschuss der EU herbei.

Für eine qualifizierte Mehrheit braucht es mehr als 55% der Mitgliedsstaaten, die mehr als 65% der europäischen Bevölkerung vertreten. Mit Schmidts Stimme waren es letztendlich 65,71%. Knapp, aber doch – und die konservativen Bauernverbände in ganz Europa atmeten auf.

Schließlich hatten sie schon seit Jahren getrommelt, dass mit einer Nicht-Zulassung von Glyphosat das Ende der billigen Lebensmittelerzeugung in Europa heraufdämmern werde. Weil es kaum ein vergleichbares Unkrautvernichtungsmittel gibt und durch ein Verbot mehr Bodenbearbeitung und andere Fruchtfolgen nötig wären. Das bedeutet mehr Aufwand und höhere Kosten, insbesondere für eine auf Monokulturen basierende industrielle Landwirtschaft.

Bayer + Monsanto = Baysanto

Die Anliegen der konservativen Agrarverbände und ihrer Verbündeten in den Chefetagen von Raiffeisen und Co waren jedoch sicherlich nicht der Hauptgrund für das „Ja“ des deutschen Ministers. Viel eher betätigte er sich als Schirmherr eines der mächtigsten Agrochemieunternehmen der Welt, der Bayer AG. Bayer will Monsanto kaufen und wartet nur mehr darauf, dass die EU-Kommission der Fusion zustimmt.

Gibt es keine Einwände, wird „Baysanto“ zum weltweit größten Player im Bereich Agrarchemie. 56 Milliarden Euro hat Bayer für Monsanto auf den Tisch gelegt, und das mit gutem Grund. Die Bayer AG würde mit der Mega-Fusion ihre eigenen Geschäftsbereiche äußerst profitabel ausweiten. Das Interesse des Konzerns an einer Wiederzulassung von Glyphosat ist also enorm, auch wenn Bayer selbst kein Glyphosat produziert.

Geschäftsmodell Glyphosat

Monsanto verdient seit mehr als 40 Jahren am Verkauf von Glyphosat, das es unter dem Markennamen „Roundup“ auf den Markt gebracht hat. Viele Jahre lang war der Wirkstoff patentiert, das Patent ist aber inzwischen ausgelaufen. Es gibt zahlreiche Unkrautvernichtungsmittel von mehreren Anbietern auf dem Markt, die Glyphosat enthalten. Dennoch ist Glyphosat das Kernstück von Monsantos Geschäftsmodell.

Der US-Gigant erzielt seinen Profit nämlich hauptsächlich durch seine Saatgutsparte, und die basiert auf genetisch manipulierten Pflanzen, die gegen Unkrautvernichtungsmittel resistent gemacht wurden. „RoundupReady“-Sojabohnen und „Roundup-Ready“-Mais widerstehen den Glyphosatduschen, denen sie ausgesetzt werden. Alles andere wird totgespritzt. Ein Verbot von Glyphosat würde dieses Geschäftsmodell beenden.

Neues Gift, neues Geld, neue Probleme

Die Natur ist jedoch anpassungsfähiger, als es den Konzernen lieb ist. Seit Jahren beklagen Produzent*innen vor allem in Nord- und Südamerika, dass „Superunkräuter“ gegen Glyphosat resistent geworden sind. Monsanto hat den Chemiecocktail, gegen den sein genetisch manipuliertes Saatgut immun ist, um weitere, patentgeschützte Substanzen ergänzt: Dicamba zum Beispiel, das hauptsächlich vom deutschen Chemiekonzern BASF vertrieben wird.

Seit 2009 kooperieren Monsanto und BASF bei der Entwicklung von Saatgut, das neben Glyphosat auch gegen Dicamba resistent ist. Die Anwender*innen, die mit dem neuen „Roundup Ready 2 Extend“-Saatgut arbeiten, sind zufrieden. Die neue Wunderwaffe bringt jedoch nicht nur wieder Schwung in den Absatz von Monsanto, sondern auch neue Probleme. Dicamba steht unter dem Verdacht, sich leicht zu verflüchtigen und dadurch großen Schaden an benachbarten Feldern anzurichten. Monsanto sieht sich derzeit mit einer Welle an Klagen von betroffenen Landwirt*innen konfrontiert.

Die Wissenschaft – gekauft, manipuliert, missbraucht

In seinem Buch „Die Akte Glyphosat“ arbeitet der Umweltchemiker Helmut Burtscher akribisch auf, wie es Monsanto & Co. seit Jahrzehnten gelingt, Zulassungsverfahren zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Das Buch liest sich wie ein Krimi und unterminiert jegliches Vertrauen in die europäischen und US-amerikanischen Zulassungsbehörden. Die Verstrickungen zwischen Industrie, privaten Prüfinstituten und Kontrollbehörden sind gigantisch.

Im Skandal um die Monsanto Papers wurde intensiv über die Beeinflussung von Behörden durch Auftragsstudien und gekaufte Artikel in Fachjournalen berichtet. Die Grünen im Europäischen Parlament mussten vor den europäischen Gerichtshof ziehen, um umfassenden Einblick in die Studien zu erhalten, die die europäische Lebensmittelbehörde EFSA für ihre Stellungnahme heranzieht.

Das deutsche Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BfR), dessen Bewertungen eine bedeutende Rolle in den europäischen Zulassungsverfahren darstellen, hat sein Glyphosat-Gutachten höchstwahrscheinlich sogar in großen Teilen einfach von der sogenannten Glyphosat Task Force abgeschrieben. Die Glyphosat Task Force ist ein Zusammenschluss der Glyphosat-Hersteller und wird von Monsanto angeführt.

Professionelle Produktverteidiger

Die Manipulation von Wissenschaft oder – anders herum – das Anzweifeln von wissenschaftlichen Erkenntnissen, die den Konzernen nicht in den Kram passen, hat System. Da gibt es nämlich einen eigenen Geschäftszweig dafür: die Branche der „Produktverteidiger“. Ob Glyphosat, Neonics oder Gentechnik-Produkte, das Mobiltelefon Samsung Galaxy Note 7 mit seinem explodierenden Akku, Asbest oder Softdrinks – zu all diesen Produkten und Substanzen (und unzähligen mehr,) hat beispielsweise die Produktverteidigungsfirma Exponent „wissenschaftliche“ Analysen für Konzerne und Lobbygruppierungen angefertigt.

„Science-for-Hire“, also gekaufte Wissenschaft, so wird das Geschäftsmodell dieser Firmen auch genannt. Monsanto bezahlt also ganz offiziell dafür, dass „wissenschaftliche Studien“ angefertigt werden, die belegen, dass Glyphosat unschädlich sei. Bayer tat das selbe bei den Neonicotinoiden, die die Bienen töten, Samsung will mithilfe von Exponent beweisen, dass die Handy-Besitzer*innen selbst schuld sind am explodierenden Akku, und so weiter, und so fort. Selbstverständlich werden die Dienste der Produktverteidiger vor allem auch in Gerichtsverfahren gegen die Konzerne in Anspruch genommen.

Europa als symbolträchtiger Nebenschauplatz

Eine Million Tonnen Glyphosat wird derzeit weltweit ausgebracht. Der Großteil davon landet auf nord- und südamerikanischen Feldern. Von dort kommen auch die wirklich besorgniserregenden Zeugnisse über Gesundheitsschäden. Die Mütter von Ituzaingó beispielsweise beklagen seit Jahren die dramatischen Zunahmen an Missbildungen, Krebs- und Atemwegserkrankungen und Totgeburten. In manchen Gegenden Argentiniens werden jährlich ca. 5 Liter Glyphosat pro Person vor allem aus Sprühflugzeugen ausgebracht.

In der Auseinandersetzung um die Gefährlichkeit der Substanz werden solche Berichte jedoch kleingeredet. Es gebe „keine wissenschaftlich belegbaren Hinweise auf die in dem Artikel erwähnten Erkrankungen der argentinischen Bevölkerung“, schrieb das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BfR) in einer Stellungnahme zu einer Reportage der Süddeutschen Zeitung. Ein Verbot von Glyphosat in Europa hätte also insbesondere den Betroffenen in Argentinien, Brasilien und anderen südamerikanischen Ländern Hoffnung gegeben, weil es sie in ihrem Kampf gegen die Hersteller gestärkt hätte.

Nur Panikmache?

Aus unseren Breiten gibt es keine solchen Horrorgeschichten. Der Widerstand gegen Glyphosat kann dadurch auch leichter als Panikmache abqualifiziert werden, wie es zum Beispiel die derzeitige Nationalratspräsidentin und Bauernbündlerin Elisabeth Köstinger von der ÖVP gerne tat.

Dennoch haben sich 1,3 Millionen EU-Bürger*innen einer Europäischen Bürgerinitiative gegen Glyphosat angeschlossen. Auch die öffentliche Hand verzichtet in vielen europäischen Ländern bereits freiwillig auf das Gift. Und die Wiederzulassung bis 2022 war ein extrem steiniger Weg für die EU-Kommission, die sich wie erwartet als Fürsprecherin der Konzerne betätigte (und über die Zustimmung der Mitgliedsstaaten erleichtert zeigte).

Hoffnung trotz Niederlage

Statt der angepeilten 15 Jahre konnten nun mit Mühe und Not nur 5 Jahre erkämpft werden. Das Europäische Parlament hat sich trotz der Mehrheitsverhältnisse auf Seiten der Konservativen und Liberalen gegen die Wiederzulassung ausgesprochen. Innerhalb der EU wollen nun Staaten wie Frankreich, die Niederlande und Schweden zumindest Teilverbote aussprechen. Kärnten will den Einsatz ebenso verbieten, die SPÖ und die Grünen sprechen sich für ein nationales Verbot in Österreich aus.

Das gibt Hoffnung für die Zukunft: Wir haben aus dem Kampf gegen Monsanto und Co in den letzten Jahren einiges gelernt und viele Ungeheuerlichkeiten vor den Vorhang geholt. Unsere Niederlage am 27. November könnte sich daher als Pyrrhus-Sieg für die Konzerne entpuppen.

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