„Wir können CETA noch verhindern“

Morgen, Mittwoch, wird das österreichische Parlament das Handels- und Investitionsabkommen absegnen. ÖVP, FPÖ und Neos werden für CETA stimmen. Ist der Kampf damit endgültig verloren? Darüber haben wir mit Alexandra Strickner von ATTAC Österreich, Éva Dessewffy von der Arbeiterkammer Wien und Franziskus Forster von der Österreichischen Bergbauernvereinigung – Via Campesina Austria gesprochen.

mosaik: Gegen das Handels- und Investitionsabkommen zwischen Kanada und der EU gibt es seit Jahren eine breite und lebendige Bewegung, ihr seid Teil davon. Wieso lehnt ihr CETA so vehement ab?

Éva Dessewffy: CETA ist das erste Abkommen einer neuen Generation. Es ist viel umfassender als traditionelle Handelsabkommen, in denen es nur um Zölle und Quoten ging. Ein wichtiger Aspekt ist etwa die sogenannte Regulierungskooperation. Dahinter verbirgt sich ein Mechanismus, der es VertreterInnen Kanadas und umgekehrt der EU erlaubt, frühzeitig Einfluss auf Gesetzesvorhaben zu nehmen. Beamte verhandeln in transnationalen Gremien an Parlamenten vorbei, denn deren Einbindung ist nicht vorgesehen. Das wird natürlich eine Auswirkung auf die Rechtsentwicklung haben. 

Alexandra Strickner: Bei CETA geht es darum, neoliberale Wirtschaftspolitik festzuschreiben. Ich möchte das an zwei Beispielen veranschaulichen. Erstens bedeutet CETA, dass ausländischen Investoren Marktzugang garantiert wird. Die öffentliche Daseinsvorsorge, wie etwa Wasser oder Gesundheit, ist dabei nicht umfassend ausgenommen. Mit speziellen Klauseln wird festgeschrieben, dass die bestehenden Liberalisierungen nicht mehr rückgängig gemacht werden können und zukünftige automatisch in CETA inkludiert werden.

Der zweite große Bereich sind die Konzernklagerechte. Hier wird Konzernen zugestanden, dass sie Schadenersatz einklagen können, wenn sie sich durch neue Gesetze in ihren Profitinteressen beschnitten sehen. Aus Erfahrungen mit anderen Abkommen wissen wir, dass das ein Instrument ist, um gegen soziale und ökologische Gesetze vorzugehen. Eine andere Wirtschaftspolitik wird so schwer vorstellbar. CETA ist also ein Angriff auf unsere Demokratie.

Franziskus Forster: CETA bedeutet auch eine Verschärfung der industriellen Landwirtschaft und der Markt- und Machtkonzentration von Konzernen. Es wird den Preisdruck verschärfen und darunter leiden vor allem Kleinbauern und -bäuerinnen, in Europa wie in Kanada. Außerdem ist es ein Angriff auf das Vorsorgeprinzip. Dadurch kommen soziale, ökologische und arbeitsrechtliche Standards unter die Räder.

Für uns als bäuerliche Organisation stellt sich die grundlegende Frage: Wer braucht eigentlich globalisierte Agrarmärkte, wem nützt das? Dieses Abkommen schadet der bäuerlichen Landwirtschaft und ist eine Weichenstellung in die falsche Richtung.

Aber stimmt es nicht, dass dem Abkommen zumindest einige Giftzähne gezogen wurden?

Éva Dessewffy: Nein, seitdem CETA 2016 unterschrieben wurde, hat sich daran nichts mehr geändert.

Alexandra Strickner: Die FPÖ erzählt das bewusst, um zu verschleiern, dass sie ihre WählerInnen betrügt. Daran sieht man, dass die FPÖ in Wahrheit eine Partei der wirtschaftlichen Eliten ist.

Das Abkommen wird am Mittwoch im österreichischen Parlament ratifiziert. Kann CETA überhaupt noch verhindert werden?

Éva Dessewffy: Ja, der Kampf ist noch nicht ganz zu Ende. Nach dem Nationalrat muss der Bundesrat zustimmen und dann muss Bundespräsident Van der Bellen noch unterzeichnen. Und der hat ja eigentlich angekündigt, er werde CETA nicht in der vorliegenden Form unterschreiben. Es bleibt also spannend.

Alexandra Strickner: Dazu kommt die europäische Dimension. Derzeit haben nur elf von 28 Staaten das Abkommen ratifiziert. CETA ist also noch lange nicht durch. Und dann ist die große Frage, wie der Europäische Gerichtshof entscheidet. Belgien hat den EuGH gefragt, ob CETA mit EU-Recht vereinbar ist. Es besteht die Möglichkeit, dass er mit Nein antwortet. Denn gerade erst hat das Gericht geurteilt, dass Konzernklagerechte zwischen EU-Staaten widerrechtlich sind, weil es sich um eine parallele Rechtsprechung handelt. Wenn der EuGH dieser Logik folgt, muss er auch die Investor-Schiedsgerichtsbarkeit in CETA ablehnen. Also ja, wir können CETA noch verhindern!

Bedeutet das, dass die Regierung CETA beschließt, obwohl es vielleicht illegal ist?

Alexandra Strickner: Ja, die Regierung beschließt CETA auf Verdacht.

Éva Dessewffy: Genau, und andere Länder, wie Deutschland und die Niederlande warten ja aus eben diesem Grund noch ab.

Franziskus Forster: Das alles ist symptomatisch für die aktuelle Handelspolitik insgesamt. Die Regierung versucht dieses Abkommen durchzuboxen, obwohl es große gesellschaftliche Mehrheiten dagegen gibt. Hier zeigt sich, wie sehr dieses Feld von Intransparenz und mangelnder Demokratie gekennzeichnet ist. Die großen Konzerne versuchen hier ihre Interessen durchsetzen.

Neben CETA gibt es noch weitere Abkommen, die bald geschlossen werden sollen. Gibt es da ähnliche Probleme?

Franziskus Forster: Gerade aus bäuerlicher Perspektive befürchten wir ein Abkommen mit MERCOSUR, also mit Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay. Da gibt es starke Exportinteressen, etwa bei Rindfleisch und Agrosprit aus Brasilien. Das ist nicht nur für uns hier verheerend. In Brasilien werden dafür Regenwälder abgeholzt und die ungleiche Landverteilung verschärft sich noch weiter. Arbeits- und Menschenrechte werden geschwächt. Deswegen kämpfen wir auch gemeinsam mit der brasilianischen Landlosenbewegung MST und mit Menschenrechtsgruppen und Gewerkschaften gegen dieses Abkommen.

Alexandra Strickner: Es gibt noch viele andere Abkommen die auf uns zukommen, etwa mit Japan, Mexiko oder auch Australien und Neuseeland. Grundsätzlich kann man für alle diese Abkommen sagen, dass es darum geht, neoliberale Wirtschaftspolitik und Konzerninteressen in völkerrechtlichen Verträgen abzusichern.

Beinhalten diese Abkommen auch alle Konzernklagerechte?

Éva Dessewffy: Bei allen kann man das noch nicht sagen, aber bei Japan wird das nicht der Fall sein. Das ist auch ein Erfolg des Widerstands gegen CETA. Das ist aber eine zweischneidige Angelegenheit, weil es bedeutet, dass die nationalen Parlamente dem übrigen Abkommen nicht zustimmen müssen. Ein eigenes Investitionsschutzabkommen kann dann immer noch parallel verhandelt werden. Es ist ein Versuch uns zu spalten. Und die Abkommen sind auch ohne Investorenschutz gefährlich genug.

Befürworter der neoliberalen Handelspolitik werfen euch vor, „protektionistisch“ zu sein und rücken euch ins selbe Eck wie Donald Trump. Was unterscheidet euch von ihm?

Alexandra Strickner: Eigentlich alles. Deutlich wird das an unseren Schwerpunkten. In unserer neuen Plattform „Anders Handeln“ haben wir vier Schwerpunkte definiert. Erstens geht es uns um Menschen vor Profite, also um das Brechen von Konzernmacht. Zweitens kämpfen wir für gute Arbeit für alle und überall, also nicht nur hier in Europa, sondern genauso in den USA oder in Ländern des globalen Südens. Drittens wollen wir gutes Essen und ein gutes Klima für alle. Das bedeutet, dass wir eine ganz andere Agrarpolitik und letztendlich eine grundlegend andere Wirtschaft brauchen. Und viertens setzen wir uns dafür ein, dass Dinge die lebenswichtig sind, wie Gesundheit, Wasser oder Bildung, demokratisch und öffentlich von den Menschen vor Ort organisiert werden. Das macht denke ich recht schön deutlich, was uns von Trump und Konsorten unterscheidet.

Österreich ist nicht gerade für seine großen sozialen Bewegungen bekannt. Warum ist es gerade bei CETA gelungen, so eine breite Bewegung aufzubauen?

Éva Dessewffy: Ich glaube es war vor allem das Bündeln von Interessen. Es ist gelungen, ganz unterschiedliche AkteurInnen rund um dieses Thema zu organisieren. Wir hatten auch viel Rückenwind dadurch, dass diese Bewegung transnational ist.

Franziskus Forster: Ich denke zentral war ganz viel unsichtbare Arbeit, die schon in den Jahren davor passiert ist. In einer Reihe von Räumen konnten sich zentrale Akteure kennenlernen, Vertrauen aufbauen und auch gemeinsam die Diskurse entwickeln, die jetzt wichtig sind.

Alexandra Strickner: Die Vorgeschichte beginnt eigentlich schon um 2000 herum, als wir erfolgreich gegen GATS – ein internationales Abkommen zur Liberalisierung von Dienstleistungen – gekämpft haben. Darauf konnten wir bei TTIP und CETA, aber auch bei anderen Gelegenheiten aufbauen.

Und was können wir von der Bewegung für den Widerstand gegen neoliberale und autoritäre Politik lernen?

Éva Dessewffy: Ich denke ganz zentral ist die Übersetzungsarbeit, also zu zeigen was ein kompliziertes Abkommen wie CETA für die Menschen tatsächlich bedeutet. Welche Konsequenzen kann CETA für unsere Arbeit, unsere Nahrungsmittel, unsere Gesundheit oder unsere Demokratie haben? Davon kann man viel lernen, wenn es jetzt um die Maßnahmen der schwarz-blauen Regierung geht.

Alexandra Strickner: Wichtig ist, sich breit zusammenzuschließen und auch auf Gruppen zuzugehen, die nicht immer von vornherein Teil von unseren Bündnissen sind. Dass so viele Klein- und Mittelbetriebe gegen TTIP und CETA aktiv geworden sind und dass hunderte Gemeinden Resolutionen gegen TTIP und CETA verabschiedet haben, war zentral.

Franziskus Forster: Außerdem hat unsere Bewegung gezeigt, dass transnationale Solidarität praktisch möglich ist. Wir haben gezeigt, dass wir uns gemeinsam koordinieren und voneinander lernen können, und es möglich ist verschiedene Druckpunkte ausfindig zu machen. Deshalb bin ich auch optimistisch, dass wir CETA noch verhindern können, auch wenn es einen langen Atem braucht.

Alexandra Strickner ist Ökonomin, Mitbegründerin und Vorstandsmitglied von Attac.

Éva Dessewffy ist Expertin für Handelspolitik in der AK Wien.

Franziskus Forster ist Politischer Referent bei der ÖBV-Via Campesina Austria und in der Bewegung für Ernährungssouveränität aktiv.

Interview: Martin Konecny

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