Wem gehört das Saatgut?

Eine afrikanische Bäuerin schält Gemüse

Ab dem 10. Oktober finden wieder die Filmtage Hunger.Macht.Profite. in sieben österreichischen Bundesländern statt. Ein Schwerpunkt liegt auf dem Recht auf Saatgut. Der Film “The Last Seed” beleuchtet die entschlossenen Bemühungen von Bäuer:innen in Südafrika, Tansania und dem Senegal, sich den Konzernen entgegenzustellen und die Kontrolle über ihr lokales Saatgut zu bewahren.

Das Recht auf Saatgut, insbesondere das Recht, es aufzubewahren, zu verwenden, auszutauschen und zu verkaufen, ist in mehreren völkerrechtlichen Abkommen und Erklärungen verankert. Darunter fallen die UN-Kleinbäuer:innenerklärung (UNDROP), der Internationale Pakt für pflanzengenetische Ressourcen für Ernährung und Landwirtschaft der Welternährungsorganisation (ITPGRFA) sowie das Übereinkommen über die biologische Vielfalt (CBD)

Der UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, Michael Fakhri, betont, dass bäuerliche Saatgutsysteme und das Recht auf Nahrung untrennbar miteinander verbunden sind. Der Begriff „Saatgutsysteme“ steht dabei für kollektive Regeln und Praktiken, mit deren Hilfe ländliche Gemeinden ihr Saatgut nutzen und verwalten. Dass Bäuer:innen selbst die Kontrolle über ihr Saatgut haben, ist nicht nur die Grundlage für Ernährungssicherheit. Traditionelle kleinbäuerliche Saatgutsysteme bilden auch das Fundament für nachhaltige, agrarökologische Anbaumethoden. Sie erhalten Biodiversität, sorgen für eine gesunde und abwechslungsreiche Ernährung und sind besser an die Auswirkungen der Klimakrise angepasst. „Saatgut zu kontrollieren“, so Fakhri, „bedeutet Leben zu kontrollieren.“

In der Abhängigkeit der Konzerne

Trotz ihrer völkerrechtlichen Verankerung und ihrer Bedeutung für den Kampf gegen Hunger, die Verwirklichung von Menschenrechten sowie den Schutz von Ökosystemen geraten bäuerliche Saatgutsysteme immer stärker in Bedrängnis. Der Film “The Last Seed” zeigt am Beispiel mehrerer afrikanischer Länder die systematische Verdrängung traditioneller Saatgutvermehrungspraktiken und agrarökologischer Methoden. Es beginnt mit der kostenlosen oder sehr günstigen Verteilung von dem durch die Regierung subventionierten kommerziellen Saatgut der großen Agrarkonzerne an die Bäuer:innen. Mit in diesen günstigen Starterpaketen enthalten sind Dünger und Pestizide, ohne die das Hybridsaatgut nicht gedeiht. Das Saatgut der Konzerne kann nicht eigenständig vermehrt, sondern muss jedes Jahr neu gekauft werden. Die chemischen Inputs laugen die Böden aus, Pestizide töten auch Bestäuber und zerstören so die Artenvielfalt. Wer einmal sein Feld damit bestellt, gerät in eine Spirale der Abhängigkeit.

Nur vier Agrochemieunternehmen – Bayer-Monsanto, DowDuPont/Corteva, ChemChina-Syngenta und BASF – kontrollieren mehr als die Hälfte des weltweiten Saatgutmarktes. Zugleich kontrollieren sie auch drei Viertel des weltweiten Pestizidmarktes. Nicht nur Bestimmungen zur Vermarktung, sondern auch Regelungen zum geistigen Eigentum tragen massiv dazu bei, ihre Dominanz über Saatgut und Ernährungssysteme im Allgemeinen noch weiter zu festigen. Indem Konzerne sich Patente auf Saatgut sichern, werden kleinbäuerliche Methoden der eigenen Vermehrung oder des Saatguttauschs verunmöglicht oder gar kriminalisiert.

Die EU als Partner

Die Saatgutindustrie nutzt dabei internationale Politiken, um ihre Macht zu vergrößern. Etwa das Internationale Übereinkommen zum Schutz von Pflanzenzüchtungen (UPOV), wovon auch die EU ein Teil ist. Dieses wurde zum Schutz von industriell hergestelltem Saatgut entwickelt und unterscheidet nicht ausreichend zwischen bäuerlichen und industriellen Saatgutpraktiken. So ist es Bäuer:innen untersagt, Saatgut wieder auszusäen, zu konservieren, zu tauschen oder zu verkaufen, wenn dieses von Pflanzensorten stammt, die unter UPOV-Schutz stehen. Heftige Kritik erntet auch der Reformprozess zur EU-Verordnung zur Vermarktung von Saatgut. Die im Juli 2023 von der EU-Kommission vorgelegten Vorschläge würden dazu führen, dass bäuerliche Betriebe für ihr vielfältiges Saatgut den gleichen regulatorischen Aufwand betreiben müssen, wie die Agrarindustrie für ihr einheitlich standardisiertes. Das bäuerliche Recht, frei über das eigene Saatgut zu verfügen und es an andere kleine Landwirt:innen weiterzugeben, wird dadurch massiv beschnitten.

Bei einer tatsächlichen Umsetzung der Gesetzesvorschläge der EU-Kommission würden die Saatgut- und die gesamte Agrarindustrie auf Kosten von bäuerlichen Rechten enorm profitieren. Es ist stark davon auszugehen, dass die reichsten Unternehmen ihre Ressourcen nutzen würden, um so immer mehr Pflanzensorten und Gensequenzen unter Patentschutz zu stellen. Bis zur vollständigen Verdrängung bäuerlicher Saatgutsysteme. Die Ausbreitung des UPOV-Systems im Sinne der Agrochemiekonzerne wird auf verschiedenen Ebenen vorangetrieben. Beispielsweise stellt die EU in laufenden Verhandlungen um ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und Indonesien für ein Zustandekommen die Bedingung, dass auch Indonesien dem UPOV-Übereinkommen beitritt.

Ein globaler Verlust

Es sind bäuerliche Saatgutsysteme, die biologische und kulturelle Vielfalt schützen. Wer das globale Ernährungssystem nachhaltig sozial und ökologisch transformieren und Hunger und Mangelernährung effektiv bekämpfen will, muss daher menschenrechtskonforme Saatgutpolitik betreiben. Die Entkriminalisierung und Förderung kleinbäuerlicher Saatgutpraktiken zählen dabei zu den wesentlichsten Schritten. Dazu gehört, bäuerliches Saatgut vor jeglicher Patentierung zu schützen. Außerdem müssen Freihandelsabkommen sowie diesbezügliche Verhandlungen, die bäuerliche Saatgutsysteme gefährden, beendet werden. Nur auf diesem Weg können das Recht auf Saatgut und das Recht auf Nahrung verwirklicht werden.

Die Filmtage „Hunger.Macht.Profite“ setzen sich kritisch mit Fragen des Ernährungssystems auseinander und zeigen vielversprechende Lösungswege auf. Sie finden ab 10. Oktober in Wien, Niederösterreich, der Steiermark, Oberösterreich, Tirol, Vorarlberg und erstmals auch in Salzburg statt. Die erste Vorführung von “The Last Seed” findet am Samstag 12.10.2024 um 19:00 im Topkino in Wien statt. Im Anschluss an den Film gibt es die Möglichkeit gemeinsam mit Isabelle Schützenberger (Dreikönigsaktion), Mara Zöller (Brot für die Welt) und Magdalena Prieler (Arche Noah) im Rahmen eines Filmgesprächs zu diskutieren.

Foto: Rosa Luxemburg Stiftung

Autor

  • Tina Wirnsberger

    Tina Wirnsberger ist Projektkoordinatorin für die Rechte von Kleinbäuer*innen bei FIAN Österreich, der Menschenrechtsorganisation für das Recht auf Nahrung.

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