Barcelona en Comú: Wie eine rebellische Stadtregierung funktioniert

Seit zwei Jahren ist Ada Colau, die als Aktivistin gegen Zwangsräumungen bekannt geworden ist, Bürgermeisterin der Hauptstadt Kataloniens. Dahinter steht der überraschende Erfolg der Partei Barcelona an Comú. Oriol Corbella war als Vertreter Barcelona en Comú beim Crossroads-Festival in Graz zu Gast. Leo Kühberger sprach mit ihm für mosaik über die Erfolge linker Stadtpolitik in Barcelona und die schwierige Positionierung zur Unabhängigkeit Kataloniens.

Das Programm von Barcelona en Comú wurde in dutzenden Nachbarschaftsversammlungen erarbeitet. Gibt es diese Versammlungen noch, jetzt wor Barcelona en Comú die Stadtregierung stellt?

Unseren Erfolg verdanken wir der Straße, schon deswegen, weil wir keine großen Medien hinter uns hatten. Im Vergleich zur Wahlkampagne bringen sich heute viel weniger Menschen aktiv ein. Die Versammlungen in den Nachbarschaften machen wir aber noch immer. Dort legen wir Rechenschaft über unsere Arbeit ab. Ada Colau besucht zum Beispiel alle zwei Wochen solche Versammlungen. Wir wollen daraus aber kein Medienereignis machen, bei den Versammlungen sind deshalb auch keine Medien zugelassen. Die Leute sollen offen miteinander reden können.

Wie ist es überhaupt dazu gekommen, dass ihr euch auf die Ebene der Stadt konzentriert habt und nicht bei nationalen Wahlen angetreten seid?

Das haben wir anfangs ausführlich diskutiert: Sollen wir bei landesweiten Wahlen antreten oder „nur“ in Barcelona? Wir haben uns für die lokale Ebene entschieden, weil Stadtpolitik überschaubarer und persönlicher ist. Gleichzeitig betreffen globale Phänomene die Menschen hier ganz konkret. Nationale Politik ist abstrakter und birgt viel mehr die Gefahr, nationalistisch zu denken. Auf lokaler Ebene kannst du anders über die Fragen diskutieren und nationale Identitäten leichter überwinden. An den Beispielen von Podemos oder Syriza sehen wir ja auch, dass Versuche auf nationaler Ebene nicht funktionieren.

Ist Barcelona nach zwei Jahren Regierung durch Barcelona en Comú noch eine rebellische Stadt? Oder hängt jetzt alles an der Bürgermeisterin Ada Colau?

Das war eine unserer großen Befürchtungen. Als in den siebziger Jahren das Franco-Regime gestürzt wurde, hatten viele Menschen das Gefühl, dass es jetzt nichts mehr zu tun gäbe und die Bewegungen wurden schwach.

Ich denke aber, dass das heute nicht passiert. Die sozialen Bewegungen sind noch immer aktiv. Aus Sicht der Regierung sind sie eine wichtige Lobby. Wenn beispielsweise ein neues Gesetz zur Regulierung des Tourismus verhandeln wird, dann sitzt die Regierung normalerweise  mit Vertretern der Opposition und der Hotellobby an einem Tisch. Wir laden aber die Leute aus den sozialen Bewegungen dazu ein. Aktive Bewegungen sind für uns notwendig, um auch eine Lobby am Tisch zu haben.

Aber manchmal kann es einen schon verrückt machen, die Regierung zu stellen und zugleich auf der Straße sein zu wollen.

Das Sofortprogramm nach der Wahl beinhaltete die Abschaffung prekärer Arbeitsverhältnisse im städtischen Dienst, die Garantie sozialer Rechte, den Kampf gegen die Korruption und das Ende der Privatisierungspolitik. Wo steht ihr nach zwei Jahren?

Die besten Ergebnisse können wir sicher im Hinblick auf die Demokratisierung der Stadt und die Frage der Transparenz vorweisen. Die partizipatorischen Werkzeuge, die wir eingeführt haben, gab es vorher einfach nicht. Bürger*innen können jetzt leichter Abstimmungen in der Stadt oder auch nur in einem Stadtteil herbeiführen. Diese Werkzeuge werden auch noch da sein, wenn wir nicht mehr an der Macht sein sollten.

Auch im Kampf gegen die Korruption waren wir erfolgreich. Wir haben eine Art Moralkodex für alle Mitarbeiter*innen der Stadtverwaltung eingeführt. Seit der 15M-Bewegung ist die öffentliche Meinung in diesen Fragen auf unserer Seite. Wir müssen da so weit gehen, wie es möglich ist. Ähnlich ist es bei feministischen Forderungen oder den Rechten von LGBT-Personen.

Am schwierigsten ist es im Bereich der Privatisierungen und Auslagerungen. Da fehlen uns häufig die nötigen Kompetenzen, weil das auf nationaler Ebene entschieden wird oder wir den Vorgaben der Europäischen Union folgen müssen. Wir bemühen uns, wieder öffentliche Unternehmen zu schaffen, beispielsweise bei der Wasser- und Energieversorgung oder auch im Bestattungswesen. Das geht aber nur sehr langsam voran.

Besser gelingt es uns, wenn es um die Vergabe von öffentlichen Aufträgen geht. Bereits vor Jahren hat die Stadt etwa die Altenpflege an an einen riesigen Konzern vergeben, der miserable Löhne zahlt. Die konnten am Anfang gar nicht glauben, dass wir sie wirklich zwingen wollten, bessere Löhne zu zahlen. Aber auch hier gibt es Vorgaben der Europäischen Union, die uns das Leben schwer machen.

Wir haben uns auch bemüht, öffentliche Aufträge an Kooperativen zu vergeben. Hier ist das Problem oft, dass die Kooperativen so große Aufträge gar nicht stemmen können. Wir haben den Auftrag dann einfach in drei Teile zerlegt, damit wir wenigstens einen Teil davon an eine Kooperative vergeben können. Das geht aber wirklich nur Schritt für Schritt.

Im Moment wird alles vom Thema der Unabhängigkeit Kataloniens überlagert. Hat „Barcelona en Comú“ dazu eine Position?

„Barcelona en Comú“ ist weder für noch gegen die Unabhängigkeit. Wir sind in dieser Frage gespalten. Was uns aber verbindet, ist, dass wir eine demokratische Entscheidung wollen. Also ein wirkliches Referendum, das wir bisher ja noch nicht hatten.

Wir sitzen da zwischen den Stühlen, weil das Thema sehr polarisiert. Wenn du nicht für die Unabhängigkeit bist, stehst du schnell auf der Seite der Faschisten und des Partido Popular. Ich selbst bin für die Unabhängigkeit, will aber zugleich nicht das Spiel der Rechten in Katalonien spielen. Sie befördern die Unabhängigkeit, weil sie ihren Machtverlust fürchteten.

Die Unabhängigkeit ist also ein „leerer Signifikant“, der von rechts bis links unterschiedlich gefüllt werden kann?

Ja, das kann man so sehen. Es gibt da dieses berühmte Foto nach der Abstimmung im November 2014, wo David Fernandez von der antikapitalistischen CUP, deren Politik ich sehr schätze, den Konservativen Artur Mas umarmt, der harte Kürzungen im Sozialbereich zu verantworten hat. Es gibt da also eine Menge Widersprüche.

Aber würde die Unabhängigkeit nicht auch ein Möglichkeitsfenster öffnen, gerade weil ihr häufig an die Grenzen nationaler und europäischer Politik kommt?

Ein unabhängiges Katalonien würde uns sicher mehr Möglichkeiten geben. Manche Befürworter*innen der Unabhängigkeit meinen, dass dann alles möglich wäre. Das glaube ich nicht. Die katalanische Regierung hat in letzter Zeit viele soziale Verbesserungen beschlossen, zum Beispiel gegen Zwangsräumungen oder für die Unterstützung von Geflüchteten. Teilweise wissen sie aber, dass die spanische Regierung die Beschlüsse einkassieren wird und wollten vor allem die eigene Überlegenheit demonstrieren. Insgesamt gibt es wenige Überlegungen, was nach der Unabhängigkeit kommen soll.

 

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