Unter dem türkisblauen Lack der österreichischen Bundesregierung ist es recht vergilbt. Der Geist der Vergangenheit macht auch vor den Klassenzimmern nicht halt: Die Verankerung des Themas Geschlechtergerechtigkeit im Unterricht wurde im März dieses Jahres gestrichen, eine vom Bildungsministerium versprochene Erneuerung steht noch aus.
Die Aufregung war groß. Der Grundsatzerlass zum Unterrichtsprinzip „Gleichstellung von Frauen und Männern“ wurde im Rahmen einer Aufräumaktion der Regierung mitsamt 100 anderen Erlässen kommentarlos „entsorgt“. Kurz danach verschwand auch die Genderabteilung von der Seite des Ministeriums. „Das Unterrichtsprinzip bleibt weiterhin bestehen. Wir sind gerade dabei, einen neuen Erlass zu erarbeiten, der spätestens im neuen Schuljahr in Kraft tritt“, beschwichtigte man im Büro von Minister Faßmann.
Als Unterrichtsprinzip bezeichnet man Bildungsinhalte, die nicht in einem einzelnen Fach unterrichtet werden, sondern die in allen Gegenständen und Schulstufen vermittelt werden sollen. Je nach Schultyp gibt es in den Lehrplänen zwischen acht und zwölf Unterrichtsprinzipien, wie Gesundheitserziehung, interkulturelles Lernen, Leseerziehung, Medienbildung, politische Bildung, Sexualerziehung, Umweltbildung, Verkehrserziehung, Wirtschaftserziehung, Verbraucher/innenbildung und eben auch Erziehung zur Gleichstellung von Frauen und Männern. Dieses Prinzip
„(…) soll dazu beitragen, alle im Bildungsbereich tätigen Personen zu motivieren, Fragen der Gleichstellung der Geschlechter verstärkt in den Lehrinhalten der Lehrpläne, im Unterricht, in den Schulbüchern und sonstigen in Verwendung stehenden Unterrichtsmitteln zu berücksichtigen sowie die Diskussion an den Schulen über diese Themen zu intensivieren.“
So die offizielle Definition. Eingeführt wurde das Unterrichtsprinzip „Erziehung zur Gleichstellung von Frauen und Männern“ 1995, und zwar mit dem diesbezüglichen – nun aufgehobenen – Grundsatzerlass. Dieser war der praktische Beipackzettel und sollte Lehrkräften helfen, Gleichberechtigung von Frauen und Männern wirksam zu vermitteln und Benachteiligungen von Mädchen und Frauen im Bildungsbereich abzubauen.
Ein Erlass verschwindet – alles nur Missverständnis?
Ob der Aussage Faßmanns, wonach ein neuer Erlass erarbeitet wird, glaubhaft ist, wird sich zeigen. Die Beantwortung meiner parlamentarischen Anfrage an den Bildungsminister betreffend „Förderung der Gleichstellung im Schul- und Bildungswesen“ gibt jedenfalls karge Informationen:
„Es ist zutreffend, dass das aus 1995 stammende Rundschreiben Nr. 77/1995 betreffend den Grundsatzerlass zum Unterrichtsprinzip „Erziehung zur Gleichstellung von Frauen und Männern“ mit dem Rundschreiben Nr. 9/2018, welches von der Intention der Rechtsbereinigung von Erlässen und Rundschreiben getragen ist, mit 15. März 2018 außer Kraft gesetzt wurde.
Die Aufhebung ist einerseits unter dem Blickwinkel der einschlägigen Verankerung der Thematik in den Lehrplänen sowie andererseits der parallel beabsichtigten Überarbeitung und Neugestaltung des Grundsatzerlasses zu sehen, zumal der gegenständliche Grundsatzerlass über 20 Jahre alt gewesen ist. Die Aufhebung des Rundschreibens diente rein der Rechtsbereinigung.“
Gleichstellung? „Gender-Wahn!“
Von der FPÖ, Regierungspartnerin der ÖVP, werden Maßnahmen zur Gleichstellung von Frauen und Männern oft als „Gender-Wahn“ bezeichnet. So ist beispielsweise auf der Website der FPÖ Oberösterreich von Landeshauptmann-Stellvertreter Manfred Haimbuchner zu lesen: „Die Auswüchse des Gender-Wahns werden mittlerweile auch in unseren Schulen immer stärker sichtbar. Ist die geschlechtergerechte Sprache in offiziellen Papieren, Urkunden und Ausschreibungen mittlerweile Standard, findet man diese unsägliche Form der deutschen Sprache nun auch in Schulbüchern.“
Eine solche antifeministische Haltung bleibt aber nicht nur den männlichen Parteikollegen vorbehalten. Petra Wagner, FPÖ-Fraktionsführerin im parlamentarischen Ausschuss für Petitionen und Bürgerinitiativen, meint in Bezug auf die Bürgerinitiative „Wissenschaftlich Arbeiten genderfrei!“: „Wir sind dabei aber definitiv über das Ziel hinausgeschossen. Inzwischen dient das gendern vielmehr nur noch der Durchsetzung einer pseudowissenschaftlichen Ideologie“. Bei der Initiative, die der Ring freiheitlicher Studenten (RFS) initiierte, geht es aber nur vordergründig um das Erhalten von veralteten Sprachmustern. De facto wird das gendern – also die Verwendung von geschlechtergerechter Sprache – von der FPÖ als das bekämpft, was es ist: Eine unter vielen Maßnahmen zur Durchsetzung der Gleichstellung von Frauen und Männern. Es überrascht nicht, dass freiheitliche Politikerinnen und Politiker sich auch gegen andere Vorstöße in diese Richtung widersetzen – egal ob Gleichstellungsprojekte an Schulen oder Gendermainstreaming in der Arbeitswelt.
Wieso die Eile?
Auch wenn in der Beantwortung der parlamentarischen Anfrage zu lesen ist, dass eine Verlautbarung einer neuen, überarbeiteten Version des Erlasses zu Geschlechtergleichstellung für Beginn des kommenden Schuljahres vorgesehen ist, bleibt die Frage, wieso es die Bundesregierung mit der Aufhebung des alten Erlasses so eilig hatte.
Warum die Regierung nicht einfach wartete, bis ein neuer Grundsatzerlass fertig ist, geht aus der Beantwortung nicht hervor. Bei der angekündigten Aktualisierung des Erlasses stellt sich außerdem die Frage, welche politische Handschrift dieser tragen wird, wenn Angehörige der Regierungsparteien „Gender-Wahn“ wittern. Welche praktischen Konsequenzen Politik für den Schulunterricht haben kann, zeigt das Beispiel einer Linzer Schule, in der letztes Jahr ein Vortrag zu Extremismus abgebrochen wurde. Grund war die Intervention eines FPÖ-Politikers, dessen Sohn im Vortrag saß und diesen alarmierte. Der FPÖ-Sprössling erklärte damals, wieso er seinen Vater, den Nationalratsabgeordneten Roman Haider, um Abbruch der Veranstaltung bat: Bei dem Vortrag zu Extremismus sei es um “Gefahr von rechts” gegangen. FPÖ, Burschenschaften, Orban, Trump oder AfD hätten aber alle mit Extremismus nichts zu tun.
Die FPÖ meinte damals unter Verweis auf das Schulunterrichtsgesetz, dass sie solche Unterrichtsmethoden „nicht mehr länger akzeptieren wollen”. Wie weit politische Einflussnahme im Bildungssystem gehen kann, wenn ideologisch “unliebsame Inhalte” gelehrt werden, können wir am Beispiel Ungarn sehen. Dort soll es bald ein Verbot des Studiums „Gender Studies“ geben. Die Frage ist, ob in Österreich so grundlegende Bereiche wie Unterrichtsprinzipien von der politischen Zensur betroffen sein könnten.
Bis auf weiteres die Sache selbst in die Hand nehmen
Während wir auf den versprochenen neuen Erlass zum Unterrichtsprinzip „Gleichstellung von Frauen und Männern“ warten, können wir uns in der Zwischenzeit selbstständig Bildungsinhalte zum Thema Geschlechtergerechtigkeit aneignen. Ein guter Tipp hierfür ist zum Beispiel das Demokratiezentrum Wien, bei dem es Lernmaterialien zu politischer Bildung gibt. Unter anderem findet sich dort das Working Paper zur Entwicklung von Frauen- und Geschlechterpolitik in Österreich. „Die Durchsetzung der Gleichstellung von Frauen als Beitrag zu gesellschaftlichem Wandel ist auch wesentlich für den Unterricht – die Broschüre soll Anregungen für die gesellschaftliche Debatte sowie den Einsatz in der Schule geben“ – so die Beschreibung. Bis der neue Erlass da ist, ist diese Unterlage bestimmt eine gute Inspirationsquelle.