Kein Kinderspiel: Proteste in Kindergärten

KIndergartenpädagogik-Streik in Wien

In Kindergärten und Krippen brennt es nicht erst seit der Pandemie. EU- und OECD-Vorgaben klingen auf dem Papier sinnvoll, ändern in der Praxis aber nichts an den prekären Arbeitsbedingungen, schreibt Fabienne Décieux.

Der Bereich der frühen kindlichen Betreuung und Bildung hat in den vergangenen Jahren politisch und medial viel Aufmerksamkeit erhalten. Das liegt nicht nur an den Protesten, sondern auch daran, dass Fachkräftemangel und ökonomische Krisen dies begünstigen.

Bereits seit den 2000er Jahren haben OECD und EU das Feld der frühkindlichen Bildung zur politischen Priorität erklärt. Neben Fragen der Frauenerwerbsbeteiligung, Emanzipation und „Vereinbarkeit“, also Forderungen, die aus der Frauenbewegung hervorgegangen sind, soll der Aus- und Umbau im Bereich der Kinderbetreuung dazu beitragen, soziale Ungleichheit zu verringern.

In der internationalen Debatte wird in diesem Zusammenhang auch von „prepare instead of repair” (vorbereiten statt reparieren) gesprochen. Investitionen in die frühe Kindheitsphase sollen nicht nur eine Grundlage für den späteren Bildungs- und Arbeitsmarkterfolg schaffen, sondern auch Risiken von Arbeitslosigkeit und die „Vererbung“ sozialer Nachteile durch die Familie mindern. Gleichzeitig soll so die Wettbewerbsfähigkeit der EU gestärkt werden.

Ideen in der Praxis

Das klingt an sich erst einmal nach einem sehr sinnvollen Fokus. Allerdings weist die Ungleichheits- und Sozialpolitikforschung darauf hin, dass dies in der Umsetzung nichts an den herrschenden Ungleichheiten zwischen den Kindern ändert. Universalismus und die Beschränkung auf Bildung, mit der Ausblendung ökonomischer Ungleichheiten, haben einen gegenteiligen Effekt. Die Diskurse und Politik motivieren vor allem Eltern aus der gebildeten Mittelschicht. Sie investieren schon früh privat in die Zukunft ihrer Kinder. Somit wird die Ungleichheit teilweise sogar verschärft. 

Dies zeigt sich auch mit Blick auf die Verteilung des Angebots von Kinderbetreuung in Wien. Dort bieten in „reicheren“ Wohnvierteln fast ausschließlich kleinere, gemeinnützige und private Betreiber institutionelle Betreuung an. In „ärmeren“ Vierteln gibt es eher öffentliche Träger. 

Steigende Anforderungen, gleiche Rahmenbedingungen

Was alle Träger nicht nur in Wien in unterschiedlichem Ausmaß eint, ist, dass sich die vorherrschenden Rahmenbedingungen für die Beschäftigten verschärft haben. Vor allem hat sich die Inanspruchnahme von Kinderbetreuung verändert, weil mehr Kinder länger betreut werden. Das ist mit der Einführung des beitragsfreien Kindergartens in Wien 2009, der bundesweiten Einführung des verpflichtenden Kindergartenjahres 2010/11, aber auch der zunehmenden Erwerbsbeteiligung von Frauen zu erklären.

Mit Blick auf Wien zeigt sich, dass über 40 Prozent der Kinder, die eine Betreuungseinrichtung besuchen, nicht Deutsch als Erstsprache sprechen. Dies führt dazu, dass von über 20 Kindern in einer Kindergartengartengruppe eine Pädagogin mit fast zehn verschiedenen Erstsprachen konfrontiert ist. Da sich in der Regel eine pädagogische Fachkraft mit Unterstützung durch eine Assistenzkraft um bis zu 25 Kinder zwischen drei und sechs Jahren kümmern muss, nimmt der Mental Load für die Beschäftigten immens zu.

Mit der politischen und gesellschaftlichen Aufwertung der frühen Kindheitsphase geht eine Aufwertung der institutionellen Betreuung einher, in der pädagogische Aspekte eine starke Betonung erfahren. Inzwischen wird die Elementarpädagogik von allen Sozialpartnern als relevant anerkannt. Doch die Aufwertung führt nicht zu einer Verbesserung bestehender Rahmenbedingungen. Vielmehr kommt es zu einer Arbeitsverdichtung, sei es durch umfangreiche Dokumentationsaufgaben, zunehmende Vorbereitungszeiten oder aber durch fehlende Infrastruktur. Die steigenden Anforderungen von Politik und Eltern werden weder in Arbeitsverträgen, Betreuungsschlüssel, noch in entsprechenden Lohnzahlungen berücksichtigt. Österreichs Investitionen in (Klein)Kinderbetreuung liegen weiterhin weit unter der OECD-Empfehlung.

Wiener Kindergartenstreik, 24.10.2023. (c) GPA/Twitter

Beschäftigte in Sorge

Aufgrund dieser Entwicklungen kam es bereits 2008 zu ersten Protesten durch Kindergartenpädagog*innen in Wien. Der damalige Protest war durch die großen KITA-Streiks in Deutschland inspiriert. Er begrenzte sich jedoch auf einen Samstag und hatte Symbolcharakter. Sorgearbeiter*innen galten lange Zeit als schwer mobilisierbar. Dies änderte sich in den vergangenen Jahren.

Die Gewerkschaften scheinen das Potential der Unzufriedenheit und die Situation nun wahrzunehmen und aufzugreifen. Während vor der Pandemie Proteste abgesagt werden mussten, rief die Gewerkschaft GPA im vergangenen Jahr in Wiens privaten Kindergärten zu öffentlichen Betriebsversammlungen auf, die erstmals während der Öffnungszeiten stattfanden. Die Politik versuchte, der Sache mit vermeintlichen Verbesserungen Wind aus den Segeln zu nehmen, jedoch ohne Erfolg.

An diese Mobilisierung wurde auch in diesem Herbst angeknüpft und die zuständigen Gewerkschaften mobilisierten nicht nur in privaten, sondern auch öffentlich getragenen Häusern, mit einer großen Resonanz. An den Protesten beteiligten sich über 12 000 Menschen, vorwiegend Beschäftigte elementarpädagogischer Einrichtungen und Personal aus Horten, aber auch Eltern mit ihren Kindern. Zentrale Themen waren neben höheren Löhnen die Reduzierung der Gruppengröße, eine Anpassung des Personalschlüssels, eine allgemeine Professionalisierung der Arbeit, aber auch Fragen in Bezug auf das zunehmende Burnout-Risiko.

Die Politik zeigt eine diskursive Anerkennung. Aber die angekündigten Investitionen sind zu gering, um die Situation zu lösen. Die Elementarpädagogik hat weiterhin mit Personalmangel zu kämpfen – und das liegt an den vorherrschenden Bedingungen.

Foto: Fabienne Décieux

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