Energiegemeinschaften: Ermächtigung oder Alibi-Maßnahme?

Solarpanels

Paula Friederichsen untersucht „Energiegemeinschaften” auf ihr demokratisches Potenzial. Wie diese ominösen Energiegemeinschaften funktionieren, wieso sie sie am liebsten durch eine feministische Brille betrachtet und was sie mit Vergesellschaftung zu tun haben, darüber spricht sie mit mosaik-Redakteurin Sarah Yolanda Koss.

Kannst du uns bitte zu Beginn erklären, was Energiegemeinschaften eigentlich sind?

Eine Energiegemeinschaft ist ein Zusammenschluss aus mindestens zwei Parteien. Das können Personen, Unternehmen oder Gemeinden sein. Diese Parteien erzeugen, konsumieren, speichern und verkaufen gemeinsam Energie. 

Unterschieden wird in Bürgerenergiegemeinschaften, erneuerbare Energiegemeinschaften und gemeinschaftliche Erzeugungsanlagen – letztere sind aber nicht so wichtig, denn da geht es nur um das Teilen von Energie auf einem Grundstück. Die Neuerung bei den anderen beiden ist, dass die Energiegemeinschaften über Grundstücksgrenzen hinweg gehen. Bürgerenergiegemeinschaften können jedwede Form von Energie verwenden und operieren österreichweit. Erneuerbare Energiegemieinschaften operieren lokaler und wirtschaften, wie der Name schon sagt, mit erneuerbarer Energie.

Wie können wir uns das konkret vorstellen?

Man stellt sich das oft so vor, dass der Strom direkt von der eigenen Anlage nach Hause läuft. Tatsächlich wird der eigene Strom in den Stromkreislauf eingespeist, aus der Steckdose kommt ein Strommix.

Während der Gründung einer Gemeinschaft sind erst viele Genehmigungen einzuholen. Falls man noch keine Erzeugungsanlage besitzt, baut man eine und kann den daraus erzeugten Strom mit den Mitgliedern der Gemeinschaft teilen. Für den konkreten Ablauf und Aufbau der Energiegemeinschaft gibt es viele verschiedene Optionen.

Du sagst, dass Energiegemeinschaften die Energie auch verkaufen. Was ist der Unterschied zu klassischen Energiekonzernen?

Per Gesetz ist geregelt, dass Energiegemeinschaften nicht profitorientiert wirtschaften dürfen, sondern gemeinwohlorientiert sein müssen. Das ist ein großer Gegensatz zu Energiekonzernen, die zum Beispiel während der Pandemie Rekordgewinne eingefahren haben. Der wirtschaftliche Anreiz für Energiegemeinschaften liegt z.B. in geringeren Netzentgelten.

Energiegemeinschaften sind außerdem per Definition demokratischer als Konzerne. Unter anderem, weil sie dezentral sind, also auf viele regionale Produktionsstätten verteilt sind. Außerdem schreiben sie sich das Thema Partizipation auf die Fahnen. Bürger:innen können an der Energiewende teilnehmen und sich beispielsweise gemeinsam Preise für die Energie ausmachen. Überspitzt gesagt werden passive Konsument:innen zu proaktiven „Prosumern”. Wobei nicht jede Person, die in einer Energiegemeinschaft ist, eine Photovoltaikanlage am Dach haben muss.

Das heißt, ich kann da auch mitmachen, ohne selbst Energie zu produzieren?

Ja, genau.

Du hast gerade ein Gesetz erwähnt, das die Grundsätze von Energiegemeinschaften festlegt…

Das ist das „Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz” (EAG) von 2021. 2019 beschloss das EU-Parlament eine Richtlinie namens „Clean Energy for All”, mit dem Ziel, mehr Partizipation an der Energiewende zu erreichen. Österreich hat das in seiner nationalen Gesetzgebung im EAG umgesetzt. Darin sind die Energiegemeinschaften mit den jeweiligen Definitionen geregelt. 

Das bedeutet, der Begriff der Energiegemeinschaften ist österreich-spezifisch?

Ja. Österreich wird da ein bisschen als Vorreiter-Nation gesehen. Deutschland zum Beispiel hat diese Richtlinie noch nicht erfolgreich umgesetzt.

Weißt du, ob sich Österreich die Konzepte von irgendwo abgeschaut hat?

Das weiß ich leider nicht. Ich kann mir aber sehr gut vorstellen, dass „Energie-Communities” keine europäische Erfindung sind.

Wie viele Energiegemeinschaften es mittlerweile in Österreich gibt, ist unklar. Die österreichische Koordinationsstelle für Energiegemeinschaften zählt auf ihrer Karte knapp 70. Auf Informationsveranstaltungen wird mitunter von 200 gesprochen.

Zurück zu diesen Prinzipien, die du vorhin erklärt hast – inwiefern werden sie tatsächlich umgesetzt?

Mir ist vor allem die starke Überrepräsentanz weißer, älterer Männer aus der Mittelschicht aufgefallen. Sie steht in einem krassen Kontrast zum Partizipationsideal, also dem ursprünglichen Ziel der EU-Richtlinie und dem EAG.

Hast du herausgefunden, warum das so ist?

Das sind vor allem strukturelle Ausschlussmechanismen. Zum Beispiel der Gender Pay Gap, der dazu führt, dass Frauen eine viel geringere Investitionssumme besitzen. Oder der Gender Care Gap, aufgrund dessen Frauen weniger Zeit für die Mitgliedschaft und vor allem die zeit- und kapazitätsintensive Gründung einer Energiegemeinschaft haben.

Ein anderer Grund ist die Unterrepräsentation von Frauen in MINT-Fächern. Viele gehen davon aus, dass sie für die Gründung von Energiegemeinschaften ein großes Fachwissen benötigen. Das ist eigentlich eine falsche Annahme, denn Energiegemeinschaften sind eine neue Organisierungsform, in der auch viele andere Fähigkeiten benötigt werden. 

Wie wirkt sich das ungleiche Geschlechterverhältnis in den Energiegemeinschaften aus?

Die strukturellen Ausschlussmechanisme spiegeln sich im individuellen Verhalten wider, wie im Sexismus innerhalb einer Energiegemeinschaft, der dazu führt, dass die Stimmen von Frauen belächelt werden. Das wirkt sich auf das Klima in der Energiegemeinschaft aus und darauf, was für Themen behandelt werden. Privilegierte Menschen neigen dazu, ihr Privileg nicht zu sehen und sind daher blind für vorherrschende Ausschlussmechanismen. Es entwickelt sich also eine Abwärtsspirale, in der wenig Diversität zu noch weniger Diversität führt.

Was hilft dagegen?

Erstmal ist ein Problembewusstsein sehr wichtig, um konkrete nächste Schritte einzuleiten, um der Geschlechterungleichheit entgegen zu wirken. Diversitäts-Ansprüche in Vereins-Statuten einzuschreiben hilft. Auch die Vorbildwirkung anderer Mitglieder ist nicht zu unterschätzen. Finanzielle Unterstützung für Gründer:innen ist ein wichtiger Aspekt, denn in die Gründung fließt viel unbezahlte Arbeit, die man sich leisten können muss. Und dann geht es auch um Information und die Art der Wissensweitergabe.

Eine ältere Dame hat beispielsweise erzählt, dass in ihrer Gemeinschaft Baumaßnahmen bei großen Vollversammlungen sehr technisch erklärt wurden. Sie hat sich auf den Versammlungen nicht wohlgefühlt, „dumme” Fragen zu stellen. Kleinere Gruppengespräche mit ihren Nachbar:innen haben ihr viel mehr geholfen.

Wie sieht das mit den anderen Ansprüchen der Energiegemeinschaften in der Praxis aus?

Prinzipiell scheint es gut zu funktionieren, Bürger:innen Raum zu geben, sich Gedanken über eine Energiewende zu machen. Bürgerenergiegemeinschaften wirken dem natürlich entgegen, weil dort jede Form von Energie genutzt werden kann.

Auch eine Art Bewusstseinsbildung funktioniert gut. Beteiligte merken, dass Energie nicht einfach aus der Steckdose kommt. Das hilft dabei, den Wert von Energie zu verstehen.

Außerdem haben Energiegemeinschaften das große Potential, Transformationsprozesse anzustoßen. Im Gegensatz zum Energiebonus, der nichts gegen die ursächlichen Profitinteressen unternimmt.

Und auf der negativen Seite?

Unklar ist, ob Energiegemeinschaften sich nicht zu einer Art Alibi-Empowerment entwickeln werden. 

Ein Gemeinderat hat von sogenannten Luftprojekten erzählt. Energiekonzerne kaufen Flächen für geplante Solaranlagen, die Netzkapazitäten besetzen. Gemeinden können die Flächen dann nicht mehr umwidmen. So sichern sich Energiekonzerne durch Investitionen zukünftige Gewinne. Den Gemeinden überlassen sie gönnerhaft die Dächer von Privathaushalten oder Rathäusern, weil sie keine große Bedrohung für sie darstellen.

Aus anderen Ländern weiß man auch, dass Energiegemeinschaften dazu tendieren, apolitisch zu agieren. Sie konzentrieren sich auf ihre eigenen Bauten, ohne bestehende Machtverhältnisse zu kritisieren. 

Warum also Energiegemeinschaften und nicht gleich Vergesellschaftung?

Irgendwas nagt bei den Energiegemeinschaften auch an mir, sie haben schon so ein Element in sich von „wir bauen alle unsere PV-Anlage aufs Dach und dann sind wir glücklich”. Initiativen zu Vergesellschaftung klingen oft viel radikaler und cooler. 

Wirklich transformativ sind meiner Meinung nach aber regional organisierte Energiegemeinschaften, die großen Energiekonzerne mehr entgegen setzen können. So kreieren Energiegemeinschaften etwas Neues. Die Perspektive ist ein wertvoller Ansatzpunkt.

Die alte Grundsatzfrage von Reform oder Revolution…

Voll. Es gibt den Begriff „Revolutionäre Realpolitik” von Rosa Luxenburg. Energiegemeinschaften sind ein interessantes Beispiel dafür, auch wenn wir noch nicht sicher absehen können, was sie wirklich bewirken.

Wichtig ist, bei der Analyse der Energiegemeinschaften eine feministische Brille aufzusetzen. So können wir über eine feministische Energiewende in ihrer politischen, sozial-ökologischen, technischen und wirtschaftlichen Dimension nachdenken. Das macht Raum für Kritik und Visionen auf.

Trotz theoretischer Unsicherheit: Bist du selbst Mitglied einer Energiegemeinschaft?

Ich versuche gerade Mitglied zu werden, aber die Gemeinschaft in Wien kann momentan keine neuen Mitglieder aufnehmen, weil sie nicht genügend Erzeuger:innen hat (lacht). The struggle, die Energiewende, ist real.

Interview: Sarah Yolanda Koss
Foto: Zbynek Burival

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