Peter Guggi ist seit 2023 SPÖ-Mitglied und mit seiner Partei mehr als unzufrieden. Eine Zuspitzung zum sozialdemokratischen Parteitag.
Als Andreas Babler die SPÖ übernahm, entstand die Hoffnung auf Veränderung – und eine neue linke Ausrichtung der Sozialdemokratie. Tatsächlich blieb es bei Erwähnungen der 32-Stunden-Woche und seiner marxistischen Brille. Danach verpuffte der Antrieb von Babler und er wurde zu einem Vorsitzenden wie jeder andere, nur ohne Machtbasis.
Die Ansprüche an Babler waren von Anfang an unrealistisch. Doch Babler macht noch einmal klar, warum die Existenz der SPÖ, bei allen historischen und aktuellen Leistungen, sinnbefreit ist und alle, inklusive Mitglieder, besser dran wären, sie zu Grabe zu tragen. Wie andere sozialdemokratische Parteien in Europa auch.
1. Der große Regenschirm
Spricht man von sozialdemokratischen Parteien, bemüht man gerne die Metapher eines grossen Regenschirms. Unter ihm treffen sich Mitglieder verschiedener Ansichten, „rechts” oder „links”, um sozialdemokratische Politik zu betreiben. Eine Volkspartei, die vermeintlich Linke wie Babler und Rechtsautoritäre wie Doskozil für Sozialpolitik vereint. Eine Partei für die Einems und Schlögls dieser Welt.
Dieser Widerspruch ist der Grund dafür, dass innerhalb der Partei keine klare Linie entsteht. Ich könnte nicht mit eine:r Faschist:in in einer Beziehung sein. Für Georg Dornauer ist das kein Problem. Ich möchte ihm nicht unterstellen, ein Anhänger des Faschismus zu sein. Aber warum ist jemand wie er in der SPÖ und was soll ich, als urbaner linker Mensch, mit jemandem wie ihm zu tun haben?
Dieser Regenschirm soll einen großen Teil der Bevölkerung ansprechen und der Partei so zu Wahlsiegen verhelfen. Diese Idee mag vor 30 Jahren schon falsch gewesen sein. 2023 funktioniert sie nur, wenn es einen Lagerwahlkampf gibt. Diesen gibt es dank dem österreichischen Parteiensystem aber nur bei Präsidentschaftswahlen.
2. Widerspruch statt Synthese
Die SPÖ will also für alles und jeden stehen. Sie möchte die Wünsche der Wirtschaft, der einfachen Leute und sonst jedem in Österreich erfüllen. Neuerdings soll sie auch konservativ-christlichsozialen Menschen ein Angebot machen, das sie nicht ablehnen können. So wie damals Kreisky, der Sage nach.
Heraus kommt ein Programm, das an der eigenen Partei und der Realität scheitert. Wie arrangiert sich Bablers Rhetorik von Gerechtigkeit mit den Umwidmungen von Kleingärten in Wien? Wie möchte Babler ernsthaft einen Mietendeckel einfordern, wenn die Stadt Wien die Mieten der Gemeindewohnungen ungebremst steigen ließ? Wie möchte Babler seine Ideen einer progressiven, linken Wirtschaftspolitik umsetzen, wenn gleichzeitig diese Art von Politik gegen die Interessen der Wien Holding wäre? Wie soll Babler die Wünsche Wiens und aller Landknechte gleichzeitig umsetzen?
Die SPÖ hat in einigen Bereichen die Macht, Veränderungen zu erzeugen. Das hat sie nicht gemacht. Und Babler hat nicht die Macht aufzubegehren, was uns zu Punkt Drei bringt.
3. Wofür steht die SPÖ?
Es ist die Frage, an der Pamela Rendi-Wagner gescheitert ist: Wofür steht die SPÖ? Babler hat auf diese Frage als Ur-Sozi eine Antwort parat. Doch diese ist immer als persönliche Meinung verpackt, so wie die Legalisierung von Marihuana. Wofür steht man denn jetzt wirklich?
Meldet Babler sich zur 32-Stunden-Woche, kommt der dritte Clown von rechts aus Salzburg daher und meint, dass das nicht geht. Daraufhin muss Babler zurückrudern. Ein sozialdemokratischer Bezirksvertreter kann offen in der Tageszeitung DerStandard „Ausländer Raus!” fordern und niemand in der SPÖ sagt etwas. Natürlich, das ist keine SPÖ-Forderung. Aber scheinbar ist die Partei offen für derlei Politik. Man erwartet sich auch nicht große Meldungen von Babler zu Israel-Palästina. Es ist aber schon ein Zeichen mangelnder Führungsqualitäten, wenn die SPÖ keine alternative Stimme zur Regierung bietet.
4. Wahlkrampf
Hier kommen wir zum Elefanten im Raum. Der nächste Wahlkampf wird mit großer Wahrscheinlichkeit ein Battle der Emotionen und des Leitspruchs „Ausländer raus”. Babler spricht derzeit von Teuerung, Inflation und sozialer Gerechtigkeit – das wird in sechs Monaten, wenn es um die Wurst geht, relativ uninteressant sein. Bestimmende Bilder werden die Sonnenallee, Pariser Vororte und die Sorge um „den Islam“ sein. Die SPÖ muss für diesen Fall einen Plan und eine klare Linie haben. Michael Häupl konnte in seinen Wahlkämpfen eine klar antirassistische Kampagne fahren, anderweitige Kommentare aus den eigenen Reihen ließ er nicht zu. Babler gelingt dies bislang nicht. Es ist schwer vorstellbar, dass dies im Wahlkampf einfacher wird.
Falls es im Wahlkampf doch um soziale Fragen geht, kommen wir wieder zu Punkt Zwei zurück. Sollte die SPÖ radikale Ideen einbringen, werden sie von irgendwem in der Partei sabotiert werden. Oder man einigt sich am Parteitag auf einen faulen Kompromiss, der niemandem hilft.
5. Minimo Lider
Irgendwann muss man sich die Frage stellen, ob nicht Babler als Parteivorsitzender das Problem ist. Rendi-Wagner hatte keine Hausmacht. Die scheint Babler auch nicht zu haben. Er ist mit seinen Programmen so oft zurückgerudert, dass mittlerweile unklar ist, wofür er steht. Jede Position ist seine „private Meinung“. In der Partei gibt es keine Stringenz und keine einheitliche Linie. Alle sagen, was sie gerade denken und die, die am lautesten brüllen, bekommen die meiste Zeit im Fernsehen. Babler schafft es weder, eine kritische Jugend hinter sich zu versammeln, noch frustrierte ÖVP-Wähler, noch FPÖ-Wähler, noch sonst irgendwen. Derzeit schaut es eher danach aus, als ob man Falter-Lesende für sich gewinnen möchte.
Statt Vorwürfe offensiv zu entkräften, flüchtet Babler in die Defensive. Er bemüht gerne Fußball-Floskeln und redet vom Ballbesitz als Metapher dafür, die Themen vorzugeben. Doch Babler und die SPÖ haben den Ball nicht. Sie müssten Pressing spielen und den Ball gewinnen. Pressing ist mit gewissem Risiko verbunden und benötigt ein Spiel gegen den Ball. Wenn man ohne Pressing auf Ballbesitz spielen möchte, verliert man mit 8-2. Um das zu verhindern, benötigt die SPÖ jedoch ein eigenes Thema. Alles, was sie jetzt anbieten möchte, sei es linke Sozialpolitik (KPÖ), Protest (FPÖ), Staatskapitalismus (ÖVP), Gesellschaftsliberalismus (NEOS) oder technokratische Regierungspolitik (Grünen), wird von einer anderen Partei besser vertreten.
Nach Babler wird es wieder einen anderen Vorsitzenden geben. Dieses Mal nach dem Experiment mit einem „Linken“ oder einem Polizisten, vielleicht wieder das Modell „Vranitzky“: wirtschaftsliberal, weltoffen und am Ende doch erfolglos. Bevor wir dieser Partei beim Dahinvegetieren zuschauen, wäre Euthanasie die humanere Variante. Und wir würden keine Zeit und Gedanken an eine Partei ohne Zukunft verschwenden.
Foto: SPÖ/Clemens Schmiedbauer