Was hinter der Wissenschaftsskepsis steckt

Mikroskope als Symbol für Wissenschaft

Österreicher:innen werden wissenschaftsfeindlicher. Das liegt an der neoliberalen Bildungspolitik, argumentiert mosaik-Redakteur Raphael Deindl. Denn sie macht Wissenschaft immer unattraktiver – sowohl für die, die sie produzieren, als auch für jene, die ihren Ergebnissen Vertrauen schenken sollen. 

Laut einer kürzlich erschienenen Studie werden Österreicher:innen immer wissenschaftsskeptischer. Die zunehmende Skepsis findet ihre Entsprechung im steigenden Desinteresse der österreichischen Bildungspolitik an Wissenschaft und Forschung. Sei es die mangelnde Ausfinanzierung der Hochschulen, der erhöhte Wettbewerbsdruck, die einseitige Orientierung an Exzellenzindikatoren, die Disziplinierung der Beschäftigten durch dauerhafte Befristungen und Kettenvertragsregelungen oder aber die weiterhin bestehenden Geschlechterungleichheiten an Universitäten. Auch wenn die Politik unermüdlich die Bedeutung Österreichs als Wissenschaftsstandort betont, schafft sie weder Anreize noch entsprechende Rahmenbedingungen für eine gute, d.h. qualitätsvolle und kritische Wissenschaft. Vielmehr hat sich die Situation für einen Großteil der Wissensarbeiter:innen in den vergangenen Jahren noch einmal erheblich verschlechtert.

Der einzig richtige Zugang ist, auf Innovation und Technologie zu setzen“ (Sebastian Kurz)

Die fatale Situation der Wissenschaft in Österreich ist Ergebnis grundlegender gesellschaftspolitischer Veränderungen, die insbesondere den staatlichen Sektor betreffen. In Österreich waren sie besonders extrem. Der neoliberale Umbau des österreichischen Hochschulsystems erfolgte im Jahr 2002 mit der Einführung des Universitätsgesetzes. Seither sind rund 80 Prozent des wissenschaftlichen Personals an österreichischen Hochschulen befristet angestellt. In Sachen Befristungen nimmt Österreich damit im internationalen Vergleich eine Spitzenposition ein. Zugleich reformierte die türkis-grüne Bundesregierung die bestehende Kettenvertragsregelung (§ 109), so dass befristet Angestellte (nach der Promotion) nunmehr nach maximal acht Jahren für weitere Dienstverhältnisse an derselben Universität gesperrt werden (vorausgehende Dienstverhältnisse können angerechnet werden). Lebensplanung geht so nicht. Politik und Universitätsleitungen legitimieren das bestehende Befristungssystem mit Wettbewerbsfähigkeit, Innovationskraft wie auch Dynamik, Vielfalt und Qualität in der Wissenschaft.

„Wissenschaft ist das eine, Fakten sind das andere“ (Gerhard Karner)

Im Kern handelt es sich hierbei um bloße Arbeitsverdichtung, wobei sich betroffene Wissensarbeiter:innen einem erhöhten Konkurrenz-, Leistungs- und Publikationsdruck ausgesetzt sehen. Auch die Forschungsförderung in Form eingeworbener Drittmittel gestaltet sich in zunehmendem Maße als Wettkampf um knappe Ressourcen. Zusätzlich führen die niedrigen Bewilligungsquoten – beim österreichischen Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) liegen diese bei unter 30 Prozent – zu einem weiteren Verschleiß kaum vorhandener Zeitressourcen. Nicht verwunderlich also, dass letztlich auch die gesundheitlichen und psychischen Risiken unter Wissenschaftler:innen erheblich zunehmen.

Auch die weiterhin bestehenden Geschlechterungleichheiten im Hochschulsystem scheinen die österreichische Wissenschaftspolitik nur wenig zu interessieren. Dadurch, dass der Anteil von Frauen im Wissenschaftsbetrieb mit ansteigender Karrierestufe schrumpft, sind an öffentlichen Universitäten in Österreich lediglich 26 Prozent Frauen als Professorinnen tätig. Da der zunehmende Leistungs- und Wettbewerbsdruck von Beschäftigten ein erhöhtes Maß an Flexibilität und Mobilität verlangt, werden insbesondere Personen mit Sorge- und Betreuungspflichten benachteiligt. Dies betrifft in erster Linie Frauen, die ihre Karriere unterbrechen müssen, in Elternkarenz gehen und nach dem Wiedereinstieg häufig in Teilzeit arbeiten.   

„Wer Wissenschaft angreift, greift auch die Demokratie an“ (Martin Polaschek)

Das gesellschaftliche Desinteresse und die Skepsis gegenüber Wissenschaft und Forschung sind Ausdruck für die widrigen Verhältnisse, unter denen Wissenschaft in Österreich betrieben wird. Dieser Trend wird dadurch verstärkt, dass die Politik seit Jahren in erster Linie auf Schlagworte wie Innovation, Flexibilität und Mobilität setzt. Die zunehmende Wettbewerbsorientierung wie auch der ökonomischen Zuschnitt von Wissenschaft und Forschung als standortsichernder Faktor wirken sich dabei auch auf deren gesellschaftliche Funktion aus. Weder in wesentlichen politischen Fragen, wie etwa Klimapolitik, noch in der breiten Öffentlichkeit, geschweige denn in der Lebenswelt vieler Menschen, spielen Wissenschaft und Forschung eine zentrale Rolle. Auch lassen es die fehlenden Zeitressourcen vieler Wissensarbeiter:innen aufgrund prekärer Anstellungsverhältnisse kaum mehr zu, sich an solchen Debatten zu beteiligen. Die Entkopplung von Wissenschaft, Politik und Gesellschaft wie auch die verbreitete Skepsis und das Desinteresse sind Resultat einer unter neoliberalen Vorzeichen vorangetriebenen Bildungspolitik.

Befristet und gefrustet

Die Antwort auf diese fatale Spirale aus neoliberaler Bildungspolitik und zunehmender Wissenschaftsskepsis formulieren die Wissensarbeiter:innen selbst. Bereits im vergangenen März gingen in Wien mehr als 2000 Wissensarbeiter:innen auf die Straße, um gegen die prekären Arbeits- und Beschäftigungsverhältnisse an österreichischen Hochschulen zu demonstrieren. Auch das österreichweite „Netzwerk Unterbau Wissenschaft“ fordert nicht nur die sofortige Abschaffung der bestehenden Kettenvertragsregelung, sondern auch eine grundlegende Demokratisierung österreichischer Hochschulen. Um aber das Interesse der österreichischen Politik an guter Wissenschaft und Forschung zu wecken, wird wohl auch in den kommenden Wochen und Monaten lautstarker Protest und Kritik von Seiten der betroffenen Wissensarbeiter:innen erforderlich sein.  

Foto: Ousa Chea

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