BRICS: Gefahr oder Hoffnung?

BRICS-Treffen 2023

Das BRICS-Länderbündnis wächst und fordert den US-Imperialismus heraus. Die Linke diskutiert indes, wie das zu beurteilen ist. Anselm Schindler argumentiert für einen konsequenten Antiimperialismus.

Moskau und andere Metropolen des neuen Ostblocks feierten die Nachricht, Washington, Brüssel und Berlin nahmen sie mit Stirnrunzeln und Sorge auf: Der Zusammenschluss BRICS, ein Akronym für die Länder Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika, wächst im kommenden Jahr um sechs weitere Staaten an. Darunter afrikanische Länder wie Äthiopien und Ägypten, das südamerikanische Argentinien und Länder aus dem Mittleren Osten, die sich sonst spinnefeind sind: Der Iran, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate. Die Erweiterung hat vor allem wirtschaftliche Gründe. Die aufstrebenden Länder wollen unter chinesischer Führung ein ökonomisches Gegengewicht zu den USA bilden. Die USA, wichtigste Führungskraft des Westens, ist alles andere als begeistert über diese Entwicklung. Denn die entstehende multipolare Weltordnung verträgt sich so gar nicht mit dem Herrschaftsanspruch des langsam kollabierenden Welt-Hegemons.

Ideologische Verkleidung

Während manche Linksliberale und andere Beschwörer der „westlichen Werte“ sich über die Zusammenarbeit der BRICS mit dem Putin-Regime empören, verirren sich linke Traditionalist:innen im geopolitischen Gewirr und halten das Gerede von Xi Jinping und Putin davon, dass die BRICS mit ihrem Gegengewicht zum westlichen Imperialismus eine antikoloniale Mission erfüllten, für bare Münze. Während die einen vor lauter Anti-Putin-Querfront die Verbrechen der eigenen „Wertegemeinschaft“ in Guantanamo, Abu-Ghuraib und den westlichen Neokolonien auf dem asiatischen und afrikanischen Kontinent vergessen, gilt für die anderen: Was die US-Ordnung in Frage stellt, muss progressiv sein.

Beide Positionen bergen viel Spaltungspotenzial. Und sie zeugen von einem unzureichenden Verständnis davon, was Imperialismus ist. Der Imperialismus, das stellte schon der russische Revolutionär Lenin vor mehr als 100 Jahren fest, ist ein Entwicklungsstadium des Kapitalismus. Eines, in dem ein Land derart entwickelt ist, dass sich dort große Konzerne und Kapitalverbände herausgebildet haben, die nach Expansion streben, weil sie, der innerkapitalistischen Konkurrenz zum Dank, immer weiter wachsen müssen, wenn es auf dem heimischen Markt nicht mehr genug zu holen gibt. In der marxistischen Terminologie spricht man an dieser Stelle von Monopolen.

Alte und neue Imperialisten

Weil der Imperialismus aber ein ökonomisches Entwicklungsstadium ist, und keine spezifische Eigenart bestimmter Länder, können sich, neben den klassischen imperialistischen Nationen, neue imperialistische Nationen herausbilden. Damit wären wir bei China, Russland und weiteren BRICS-Ländern. Für diese Länder macht es Sinn, den Begriff „neuimperialistisch” zu verwenden, weil er die Prozesshaftigkeit der Entwicklung begrifflich fasst. Nehmen wir das Beispiel China: Nach dem Tod Mao Tsetungs stellte Deng Xiaoping den Kapitalismus in China schrittweise wieder her. China öffnete sich dem Weltmarkt und mit der Methode der „Joint Ventures“ verschmolzen chinesische Konzerne mit internationalem Kapital. Diverse westliche und japanische Autokonzerne siedelten beispielsweise Produktionsstätten in China an. Das erste Joint Venture zwischen einem ausländischen und einem chinesischen Unternehmen gründeten 1984 die beiden Automobilkonzerne VW (Deutschland) und SAIC (China).

Seither hat sich viel getan und die Monopole gewannen auch in China an Macht. Heute verlangt das chinesische Monopolkapital nach Expansion. Das lässt sich vor allem seit der Weltwirtschaftskrise 2008 beobachten, während der chinesische Imperialisten zum größten Investor in Infrastrukturprojekten in Afrika aufstiegen. Sie vergaben zinsgünstige Kredite für Investitionen in Häfen, Eisenbahnen, Pipelines, Straßen und Telekommunikation (Kapitalexport). Dadurch erhielt das chinesische Monopolkapital Zugang zu den Rohstoffen Afrikas.

Es geht ums Geld

Den BRICS geht es nicht zuletzt darum, die Dominanz des US-Dollars auf dem Währungsmarkt zurückzudrängen. Denn das US-Empire stützt sich auch darauf, dass die ganze Welt vom US-Dollar abhängig ist, seitdem sich in den 70ern das islamistische Königshaus Saudi-Arabiens verpflichtete, Erdölgeschäfte künftig nur noch in US-Dollars abzuwickeln und zahlreiche Staaten diesem Konzept folgten. Heute wirbt die chinesische Führung innerhalb von BRICS für eine „multipolares Währungssystem“. Teils ist es schon Realität, immer mehr Geschäfte werden in den jeweiligen nationalen Währungen abgewickelt. Es geht beim Wettstreit zwischen BRICS und den alten imperialistischen Mächte also um Kapital und Machtinteressen. Wie diese von den verschiedenen Konkurrenten, ob USA, Frankreich, ob EU oder Deutschland, Russland oder China durchgesetzt werden, unterscheidet sich höchsten graduell und hat immer mit Ausbeutung und Dominanz zu tun. Was daraus folgt? Eine „richtige“ Seite gibt es in der Angelegenheit nicht.

Imperialistischer Krieg

Die Entwicklung von Monopolkapital und ökonomischer Expansion geht auch in den neuimperialistischen Ländern mit Militarisierung und Krieg einher. In China noch zurückhaltend, in Russland offen, was nicht zuletzt die Eskalation des Krieges in der Ukraine und die Entsendung von Wagner und anderen Söldner-Gruppen in den Mittleren Osten und in afrikanische Länder zeigt. Auch in anderen neuimperialistischen Ländern wie Indien oder der Türkei (die nicht in BRICS, sondern in den NATO-Machtblock eingebunden ist) zeigt sich die steigende Bereitschaft zum Krieg als Folge der imperialistischen ökonomischen Entwicklung. Kurz gesagt: Der Aufstieg der neuimperialistischen Länder bei gleichzeitigem Unwillen der USA, die neue multipolare Weltordnung anzuerkennen, bietet Stoff für die künftigen militärischen Eskalationen.

Es sieht so aus, als wären der Krieg in der Ukraine, die zunehmenden Spannungen in Westafrika und der Streit um Taiwan nur der Beginn eines sich verschärfenden globalen Konfliktes. Auch wenn noch offen ist, wie die Konflikte sich entwickeln werden, ist schon klar, wer darin umkommen wird: Leute aus den ärmeren Teilen der Weltbevölkerung. Denn Kriegsprofiteure schicken ihre eigenen Kinder nicht an die Front.

Die Kriege im Jemen, in Kurdistan, auf dem afrikanischen Kontinent und nicht zuletzt der Krieg in der Ukraine, der längst zu einem Stellungskrieg geworden ist, zeigen, dass die alten und neuen Imperialisten wie eh und je dazu bereit sind, ihr Staatsvolk zu Kanonenfutter zu machen. Weder für die Milliarden an lohnabhängigen Menschen in der ganzen Welt noch für die Linke gibt es im imperialistischen Gemetzel irgendetwas zu gewinnen. Es gilt deshalb, den Vereinnahmungsversuchen durch die alten und die neuen Großmächte zu trotzen, und mittelfristig darum, eine breite Bewegung gegen ihre Kriege aufzubauen. Ein konsequenter Antiimperialismus wäre dafür der kleinste gemeinsame Nenner.

Foto: Palácio do Planalto 

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