Die Empörung über den Tabubruch des rot-blauen Experimentes ist vielerorts gewaltig. Die aufrechten SozialdemokratInnen formieren sich zum Widerstand und schon wird der Ruf nach dem Sturz des Parteivorsitzenden Werner Faymann laut. Doch die Strategie hat ihre Grenzen, wie die beiden Autor_innen in ihrer Zeit in der Sozialistischen Jugend erleben konnten.
Rücktrittsforderungen an Niessl und Faymann wegen des massiven Umfallers zu #rotblau häufen sich. So fordern Robert Misik, Ferdinand Lacina und Andreas Babler den Rücktritt Faymanns, Julia Herr den Ausschluss Hans Niessls. Angesichts des, an Verrat der eigenen antifaschistischen Geschichte grenzenden „Experimentes“, eine völlig richtige Position. Wer nur aus eigenem Machterhalt Steigbügelhalterin der FPÖ wird, sie in eine Landesregierung hievt und damit sogar die letzte Position der SPÖ, die sie zu halten versuchte, aufgibt, hat sich selbst als Sozialdemokrat_in aufgegeben.
Am Sturz beteiligt
Die Konzentration auf die Spitzen der Bundes-SPÖ und der Landespartei im Burgenland sind also nachvollziehbar. Sie wecken aber auch Erinnerungen: 2007 haben sich die Aktivist_innen der sozialdemokratischen Jugendorganisationen SJ, aks und VSStÖ damals, völlig zu recht, darauf konzentriert, das Umfallen Alfred Gusenbauers bei zentralen Wahlversprechen anzukreiden und ihn als Parteivorsitzenden zu diskreditieren. Im Nachhinein und direkten Vergleich mit Werner Faymann erscheint Alfred Gusenbauers Arroganz ja fast schon wieder als etwas, was als „Format“ bezeichnet werden könnte. 2007 haben wir das damals als AktivistInnen der Sozialistischen Jugend Wien und mit uns viele linke SozialdemokratInnen anders gesehen.
Nach sechs unerträglichen Jahren der schwarz-blau-orangen Schreckensherrschaft, wurde die Sozialdemokratie mit einem einigermaßen linken Wahlkampf im Herbst 2006 wieder stärkste Partei. Die Partei, an deren Veränderung wir damals noch glaubten, hatte mit dem Versprechen Studiengebühren abzuschaffen, die Abfangjäger nicht zu kaufen und den Wohlstand gerecht zu verteilen, um Stimmen geworben. Wir haben beim Wahlkampf mitgemacht und versucht, Menschen davon zu überzeugen, dass nur die SPÖ den ersehnten Politikwechsel bringen kann. Am Abend, als die Sozialdemokratie erste wurde, zogen wir mit Fackeln vor die ÖVP-Parteizentrale und sangen im Freudentaumel die Internationale. Denn wir waren davon überzeugt.
Am 8. Jänner verkündete Alfred Gusenbauer die Bildung einer rotschwarzen Bundesregierung. Was heute kein Skandal mehr ist, brachte uns damals zum kochen. Die SPÖ hatte sämtliche Wahlversprechen gebrochen. Die Abfangjäger sollten kommen, die Studiengebühren bleiben und auch sonst sah man keine politische Wende im Vergleich zu Schwarzblau. Noch während der Pressekonferenz blockierten Studierende den Ring und durch die Jugendorganisationen ging ein Aufschrei. SJ und VSStÖ stürmten den Neujahrsempfang des neuen Bundeskanzlers Alfred Gusenbauers, der sich nicht einmal mehr traute dort eine Rede zu halten. Und gemeinsam mit anderen Linken wurden Teile der Bundesparteizentrale in der Löwelstraße besetzt. Die Regierung Gusenbauer hatte keine Legitimität mehr, schon gar nicht in den Augen der Jugendorganisationen und eines Großteils der Basis. Bei jeder weiterer Gelegenheit erinnerten wir den nunmehrigen Bundeskanzler und Parteivorsitzenden an seinen Verrat. Nach nur eineinhalb Jahren zerbrach die große Koalition. Das lag nicht nur, aber auch, am Druck von Unten. Und mit der ersten großen Koalition endete auch die parteipolitische Karriere unseres Feindbilds Alfred Gusenbauer. Ihm folgte das Feindbild vieler heutiger Kritiker_innen, Werner Faymann, und eine Neuauflage de großen Koalition.
Der Widerstand war erfolgreich und ist komplett gescheitert
Das Ziel der Kritik war mit dem Rücktritt Gusenbauers scheinbar erreicht, doch eigentlich ist der Protest von damals fulminant gescheitert. Alfred Gusenbauer ist zwar weg und verdient sich als Berater eine goldene Nase, aber die Kritik an einer Person hat nichts an den strukturellen Ursachen geändert. Dabei geht es durchaus nicht darum, dass Kritik und Widerstand nicht auch Verantwortliche benennen soll, das ist richtig und wichtig. Aber das reicht eben nicht aus. Die Sozialdemokratie ist ein undemokratischer Apparat, der Kritik von links wunderbar integrieren kann, selbst wenn dafür manchmal einzelne Personen “geopfert” werden müssen. Die SPÖ ändern, das geht aber nicht. Generationen von Linken vor uns haben das versucht, und auch viele von uns sind in die Jugendorganisationen gegangen, in die Sektionen, haben Bezirksratsmandate gewonnen. Die, die weitermachen, erobern inzwischen auch schon mal höhere Posten. Ihr Kampfgeist in Ehren, aber mit jedem Schritt werden sie pragmatischer und vor allem zynischer. In all den Jahren ist es nicht gelungen, eine sichtbare Linke in der SPÖ aufzubauen, die eine glaubhafte Alternative nicht nur zur politischen Ausrichtung, sondern auch zu den Strukturen der Partei bieten könnte. Stattdessen stumpfen Linke in der SPÖ immer weiter ab. Unter Kreisky wollten die Linken noch an die großen Traditionen der Ersten Republik anknüpfen. Heute scheint die größte Perspektive die Wiederauferstehung von Kreisky und vielleicht werden sie sich noch irgendwann Alfred Gusenbauer zurückwünschen.
Angesichts des Zustandes der SPÖ müssen sich ihre linken Mitglieder die Frage gefallen lassen, wie eine Wende vollzogen werden kann? Und zwar nicht erst in 15 Jahren, sondern besser heute als morgen, denn jetzt ist die Zeit zu handeln.
Hanna Lichtenberger ist Redakteurin von mosaik, Politikwissenschafterin und Historikerin in Wien.
Martin Konecny ist Redakteur von mosaik, Politikwissenschafter und beschäftigt sich derzeit vor allem mit den Perspektiven der griechischen Linken.