USA unter Biden: Gefahren und Chancen für die Linke

Heute wird Joe Biden als Präsident angelobt. Die Stimmung ist, zwei Wochen nach dem Kapitolangriff, explosiv. Auch abseits der Zeremonie brodelt es: Rechtsextreme organisieren sich, Republikaner_innen droht eine Zerreißprobe. Während Demokrat_innen zurück zu einer Normalität wollen, die es so nie gab, benötigen soziale Bewegungen eine Strategie für ungeahnte Herausforderungen. Sebastian Kugler wirft einen Blick auf die krisengebeutelten USA.  

18. Juni 2019: Es ist ein warmer Dienstagabend im New Yorker Nobelviertel Upper East Side. Etwa 100 betuchte Gäste sind zu dem Fundraising-Dinner im renommierten Luxushotel „The Carlyle“ gekommen. Während bei heiterer Stimmung Hummer und andere Köstlichkeiten kredenzt werden, macht der Veranstalter und Präsidentschaftskandidat Senator Joe Biden seinen Gönner_innen ein Versprechen für den Fall, dass er gewinnt: Nothing will fundamentally change.(„Nichts wird sich wesentlich ändern.“) 

20. Jänner 2021: Die Temperaturen kreisen an diesem Mittwoch in Washington, D.C. um den Gefrierpunkt. 25.000 bis an die Zähne bewaffnete Nationalgardist_innen bewachen das Kapitol, auf dem Joe Biden hinter kugelsicherem Glas zum 46. Präsidenten der USA ernannt wird. Mehr als vier Mal so viele US-Soldat_innen, wie aktuell in Afghanistan und im Irak zusammen stationiert sind. Auch bei den Teilnehmer_innen der Zeremonie, die keine Gesichtsmaske tragen, sieht man kaum ein Lächeln: „All changed, changed utterly.“ („Alles verändert, völlig verändert.“) (W.B. Yeats).

400.000 US-Amerikaner_innen sind in einem Jahr an Covid-19 gestorben. 10 Millionen Jobs hat die dadurch ausgelöste Wirtschaftskrise bisher vernichtet. 6 Millionen Haushalten droht unmittelbar die Zwangsräumung, da die Mietrückstände mittlerweile über 34 Milliarden Dollar betragen. Diese Zahlen sind das Vermächtnis der Trump-Ära. Ihr Ende und ihren Höhepunkt erreichte sie vor zwei Wochen mit der Erstürmung des Kapitols durch einen rechtsextremen Mob.

Treue Trump-Basis

Der Sturm auf das Kapitol stürzte die republikanische Partei in eine tiefe Krise. Die alteingesessene Führung tolerierte und verteidigte Trump, solange er ihnen lieferte, was sie brauchten. Steuergeschenke für die Reichen, Angriffe auf Arbeiter_innenrechte und Umweltschutzbestimmungen sowie eine Flut konservativer Richter_innen bis hin zu einer satten reaktionären Mehrheit im Supreme Court.

Doch Trump hat sich in dieser Zeit eine loyale Basis aufgebaut. Seine Lüge, dass ihm die Wahl im November gestohlen worden sei, glauben ihm 82% der republikanischen Wähler_innen. Aus purem Machtkalkül befeuerte darum die ganze Partei diese Lüge, um Stimmen für die entscheidende Senatswahl in Georgia zu gewinnen.

Die Parteiführung hatte nicht ernsthaft vor, die Machtübergabe zu sabotieren. Denn die Aufrechterhaltung der grundlegenden politischen Prozesse und Strukturen, die für die Organisierung stabiler kapitalistischer Herrschaft gebraucht werden, ist diesen Biedermännern ebenso wie den Demokrat_innen wichtiger als tagespolitische Interessen.

Riss zwischen den Republikanern

Die Brandstifter jedoch, die sie aufgestachelt hatten, ließen sich nicht mehr zurückpfeifen und wandten sich offen gegen sie. Trumps Mob schrie nicht nur „Hang Mike Pence“, sondern auch „Destroy the GOP“ – die Grand Old Party der Republikaner. 45% der republikanischen Wähler_innenbasis verteidigten in einer Umfrage den Sturm auf das Kapitol.

Mit dem Verlust des Weißen Hauses und der Senatsmehrheit kommt es nun zu einem offenen Machtkampf zwischen den etablierten Big Business-Republikaner_innen wie Mitch McConnell und Liz Cheney einerseits und der Trump-Sekte andererseits. Doch auch wenn Erstere die Kontrolle über die Partei wiedererlangen und selbst wenn Trump die Bühne verlässt: Die rechtsextreme Bedrohung wird weiter wachsen.

Grund dafür sind nicht zuletzt Biden selbst und die Politik der Demokraten. Denn es war das „Business as usual“ der Wall Street-treuen Demokrat_innen, gegen welches Trump sich als Außenseiter inszenierte. Bidens Politik, in einer Zeit der fundamentalen Veränderungen nichts fundamental anders zu machen, ist Wasser auf die Mühlen der Rechtsextremen.

Biden ist nicht dein Verbündeter

Während die Erleichterung über das Ende von Trumps Amtszeit groß ist, sind es die Hoffnungen in Biden kaum. Die 80 Millionen Stimmen bei der Wahl waren vor allem Stimmen gegen Trump, nicht für Biden. Kein Wunder. Biden lehnt die zwei Forderungen kategorisch ab, die in den letzten Jahren mit Abstand am meisten Unterstützung und Enthusiasmus in der Bevölkerung hervorbrachten: Medicare for all und den Green New Deal.

Genauso schmetterte er die populäre Forderung, Gelder von dem hochgezüchteten und strukturell rassistischen Polizeiapparat in sinnvolle soziale Programme umzuleiten, ab. Stattdessen besetzt er sein Kabinett mit Figuren wie Cedric Richmond, der seine Taschen mit Spenden der Ölindustrie füllt. Ein Schlag ins Gesicht für die Klimabewegung. Biden holte weder Bernie Sanders noch irgendeinen seiner Unterstützer_innen in die neue Regierung.

Verantwortung der Hoffnungsträger_innen

Sanders’ Wahlkampagne, die nur durch die vereinten Kräfte des demokratischen Partei-Establishments ausgebremst werden konnte, der kometenhafte Aufstieg von Alexandria Ocasio-Cortez (AOC) und den anderen als „the Squad“ bekannten Mandatar_innen, aber auch das Wachstum der „Democratic Socialists of America“ (DSA) auf mittlerweile über 85.000 Mitglieder zeigen das enorme Potential, welches ein konsequentes linkes Programm in den USA hat. Umso größer ist nun die Verantwortung dieser Hoffnungsträger_innen, sowohl in den nächsten Jahren wie auch unmittelbar in den nächsten Tagen.

Es kann nicht darum gehen, durch „kluges Taktieren“ Biden, Pelosi & Co Zugeständnisse abzuluchsen. Es war bereits ein Fehler, dass „the Squad“ in den Tagen nach dem Sturm auf das Kapitol sein ausschließliches Augenmerk auf das Verfassen einer eigenen zweiten Amtsenthebungs-Anklage gegen Trump richtete. Am Ende unterschied sich diese nicht von der Version Pelosis. Dieses zweite „Impeachment“ ist kaum mehr als ein PR-Stunt.

Antifaschistische Selbstverteidigung

Die unmittelbare Gefahr von Rechts in den Tagen rund um die Angelobung von Biden kann nur durch entschlossene Massenmobilisierungen zurückgeschlagen werden. Als 2017 Rechtsextreme die junge Sozialistin Heather Heyer getötet hatten und dann im ganzen Land aufmarschieren wollten, wurden sie von ebensolchen Mobilisierungen gestoppt. In Boston etwa neutralisierten 40.000 Antifaschist_innen die rechte Gefahr. Anstatt auf Gerichtsprozesse und Social-Media-Konzerne zu hoffen oder den Überwachungsstaat auszubauen, wie Biden ankündigte, ist die Organisation solcher antifaschistischer Selbstverteidigung das Gebot der Stunde.

Statt Biden: Linke muss Regeln brechen

In einem flammenden Appell meinte die sozialistische Stadträtin von Seattle Kshama Sawant letzte Woche: „Die Linke wird so lange eine Sackgasse entlanglaufen, so lange unsere Anführer_innen glauben, dass der Schlüssel zu sozialem Wandel im Meistern parlamentarischer Arithmetik liegt.“ Nicht nur beim Widerstand gegen Rechts sondern auch im Kampf für Medicare for all und den Green New Deal braucht es vor allem eines: Selbstorganisation.

Linke Mandatsträger_innen wie AOC können dabei eine wichtige Rolle spielen. Doch braucht es die Bereitschaft, die Spielregeln zu brechen. Sawant zeigte dies vor, als sie im Sommer einer Black Lives Matter-Demo die Tore zum Rathaus öffnete, was zu einer kurzzeitigen Besetzung führte. Nun will eine Allianz aus Unternehmer_innen und rechten Politiker_innen sie dafür aus dem Amt klagen. Solche Konfrontationen sind unvermeidlich. Ein breites Bündnis aus lokalen Aktivist_innen, Gewerkschafter_innen und sozialistischen Organisationen wie DSA und Socialist Alternative formiert sich zur Verteidigung.

Eine Idee davon, was notwendig sein wird, gibt ein etwas anderer Kapitol-Sturm, der sich dieser Tage zum 10. Mal jährt: Anfang 2011 besetzten tausende Gewerkschafter_innen und Aktivist_innen sozialer Bewegungen das Kapitol des Bundesstaats Wisconsin in Madison im Kampf um ihre Rechte. Und zwar ohne Mob-Gewalt, dafür mit Mitteln des massenhaften zivilen Ungehorsams. An diesen Kapitol-Stürmer_innen gilt es, sich ein Vorbild zu nehmen.

Die kommenden Aufgaben unter Biden

Strukturen, die während der historischen Black Lives Matter-Bewegung 2020 aufgebaut wurden, ebenso wie die der Klimabewegung, werden unter Biden nicht obsolet, sondern umso wichtiger. Verbesserungen werden direkt gegen die Demokraten erkämpft werden müssen – die „Trump-Ausrede“ zieht nicht mehr. Der Kampf um Frauen*- und LGBTQI-Rechte hat in Biden keinen echten Verbündeten. Dafür im neuen Supreme Court einen umso mächtigeren Feind. Kommunale Kürzungen und Zwangsräumungen werden Kämpfe auf lokaler Ebene notwendig machen. Ebenso ist es höchste Zeit, aus den Streikwellen im Gesundheits- und Bildungssystem die Arbeiter_innenbewegung auf einem kämpferischen Programm gegen all die Angriffe wiederaufzubauen. Die zentrale Aufgabe ist es, aus all diesen Kämpfen eine unabhängige politische Kraft aufzubauen, die beiden Parteien des amerikanischen Alptraum-Kapitalismus den Kampf ansagt und eine echte sozialistische Alternative entgegensetzt. 

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