Nach anfänglicher Euphorie ist Bernie Sanders zum Außenseiter geworden. Sein Gegenkandidat Joe Biden zieht in Umfragen immer weiter davon, in den Vorwahlen eilt er von Sieg zu Sieg. Es ist das Verdienst der demokratischen Partei, die Sanders um jeden Preis verhindern wollte, schreibt Adam Baltner.
Für einen kurzen Moment sah es aus, als würde es leicht werden. Nach dem Bernie Sanders bei den Vorwahlen in Iowa, New Hampshire und Nevada die meisten Stimmen erhielt, konnte die US-amerikanische Linke ihre Aufregung kaum unterdrücken. Nie zuvor hatte einE KandidatIn die ersten drei Bundesstaaten gewonnen und war dann nicht PräsidentschaftskandidatIn geworden. Was viele bis vor wenigen Monaten schlicht für unmöglich hielten – einE sozialistischeR PräsidentschaftskandidatIn im Epizentrum der kapitalistischen Weltordnung –, erschien nun geradezu wahrscheinlich.
Doch nach einer heftigen Wende der Ereignisse seit Ende Februar, sieht die Situation ganz anders aus. Barack Obamas ehemaliger Vizepräsident Joe Biden ist nun der klare Favorit im Rennen um die Nominierung, Sanders wieder Außenseiter. Wie kam es dazu?
Das Establishment konsolidiert sich
48 Stunden vor dem sogenannten Super Tuesday am 3. März war das Feld der demokratischen KandidatInnen fragmentiert. Insgesamt gab es sechs KandidatInnen mit ernstzunehmenden Chancen: den Establishment-Fackelträger Biden, seine jüngeren aber ebenso neoliberalen Gegenstücke Amy Klobuchar und Pete Buttigieg, den konservativen Milliardär Michael Bloomberg, die technokratische Sozialliberale Elizabeth Warren und Sanders. In den Umfragen stand Sanders bei etwa 20–30 Prozent, die anderen lagen zwischen 5 und 20 Prozent.
Das änderte sich jedoch nach dem 29. Februar. Nach seinen überraschenden Niederlagen in den ersten drei Bundesstaaten, erzielte Biden an diesem Samstag einen deutlichen Sieg in South Carolina. Gleich am Tag darauf stellte Pete Buttigieg – in den ersten zwei Vorwahlen Sanders’ stärkster Konkurrent – seine Kampagne ein und gab eine Unterstützungserklärung für Biden ab. Montagmittag machte Amy Klobuchar dasselbe. Laut Berichten koordinierte die Partei das. Obama habe mit Buttigieg gesprochen, der ehemalige demokratische Senatsfraktionschef Harry Reid mit Klobuchar. Endlich hatte sich das Establishment für einen Anti-Sanders entschieden.
Kurz nach dem 3. März beendete Bloomberg seine Kampagne, auch er mit einer Unterstützungserklärung für Biden. Mittlerweile ist auch Warren aus dem Rennen ausgetreten – ohne sich für Biden oder Sanders auszusprechen. In den Medien als Linke gehandelt, lässt ihr Schweigen Sanders isolierter erscheinen als je zuvor. De facto wirkt es wie eine Unterstützungserklärung für Biden.
Durch die einstimmigen Unterstützungserklärungen sendete die demokratische Partei auch eine klare Botschaft an ihre WählerInnenschaft: Wenn ihr Trump schlagen wollt, stellt ihr euch am besten hinter Biden. Und das machten die WählerInnen auch. Biden gewann in zehn der 14 Super-Tuesday-Bundesstaaten und in mindestens vier der sechs Bundesstaaten, die eine Woche danach am 10. März abstimmten.
Der Faktor Wählbarkeit
Sanders’ Wahlstrategie lautet wie folgt: die ArbeiterInnenklasse in ihrer ganzen Vielfalt um ein für US-Verhältnisse radikales Umverteilungsprogramm zu vereinigen. Aber ähnlich wie 2016 schneidet er unter AfroamerikanerInnen schlecht ab. Sanders erhält auch in manchen Bundesstaaten kleinere Stimmenanteile der ländlichen weißen WählerInnenschaft als damals – 2016 brachten ihm vor allem ländliche weiße WählerInnen Siege in Bundesstaaten wie Minnesota und Michigan, die er dieses Jahr verlor. Angesichts dessen würde man vermuten, die oft erwähnte „multiracial working-class“-Basis für Sanders’ Politik sei ein Mythos.
Doch erzählen Umfragen am Wahltag eine andere Geschichte. Bisher haben etwa 60 Prozent der WählerInnen angegeben, sie seien für die Ersetzung aller privaten Krankenkassen durch eine staatliche Gesundheitsvorsorge – die Hauptforderung von Sanders’ Plattform. Auf die Frage, wie sie zum Wirtschaftssystem der USA stehen, haben etwa 50 Prozent geantwortet, das System brauche „eine Generalüberholung“. Das erinnert an einen berühmten Spruch von Sanders: „The system is rigged!“
Viele KommentatorInnen erklären Sanders’ aktuelle Schwierigkeiten mit der Behauptung, er sei zu radikal für die AmerikanerInnen. Doch das stimmt eindeutig nicht. Viel wahrscheinlicher ist, dass Vorstellungen von Wählbarkeit unter der demokratischen WählerInnenschaft wegen des jetzigen Präsidenten Trump eine viel größere Rolle spielen als 2016. Tatsächlich haben in allen bisherigen Umfragen die Mehrheit der Befragten angegeben, es sei ihnen wichtiger, eineN KandidatIn zu nominieren, der/die Trump besiegen kann, als eineN, der/die ihre politischen Positionen teilt. Dass Sanders unter manchen marginalisierten Gruppen weniger stark abschneidet als erhofft, lässt sich an einer ganz einfachen Wirklichkeit erklären. Oft haben solche Gruppen unter einer republikanischen Präsidentschaft am meisten zu verlieren.
Bidens Schwächen gegen Trump
Doch Biden ist ein schwacher Gegner für Trump. Deswegen hat die Partei auch so lange gebraucht, um sich hinter ihn zu stellen. 2016 gewann Trump mit dem Wahlversprechen, er würde den „Sumpf“ des Washingtoner Establishments trockenlegen (sprich: „Drain the swamp!“). Kaum jemand verkörpert diesen Sumpf mehr als Biden, ein ehemaliger Senator aus dem Bundesstaat Delaware – der berühmtesten Steueroase der USA – mit langjährigen Beziehungen in die Finanzindustrie und zu Kreditkartenfirmen.
Aber Bidens Schwächen hören nicht bei seinem politischen Profil auf. Dem 77-Jährige unterlaufen zahlreiche sprachliche Pannen und er vergisst manchmal grundlegende Tatsachen wie etwa den Namen Barack Obamas. Viele vermuten einen altersbedingten kognitiven Abbau. Dass die demokratische Parteiführung ihn trotzdem nominieren will, lässt vermuten, dass es ihr wichtiger ist, Sanders aufzuhalten, als Trump zu schlagen.
Es sieht nun so aus, als würde Biden der demokratische Präsidentschaftskandidat. Aber egal was passiert, die Lehre für die US-Linke ist schon jetzt klar: Die demokratische Partei wird vor nichts Halt machen, um die Klasseninteressen ihrer SpenderInnen zu schützen. Sanders’ Wahlkampf – ein Kampf gegen das Kapital – wäre niemals einfach.
Allerdings gibt es für die US-Linke einen Hoffnungsschimmer: Wenn man den Umfragen glaubt, gibt es bereits soziale Mehrheiten für ihre Positionen. Man muss sich nur fragen, wie lange die institutionelle Hegemonie der neoliberalen DemokratInnen noch andauern wird.