Das steckt hinter dem Angriff auf das Kapitol

Die Bilder von einem wütenden, teils skurrilen Mob, der das US-Kapitol angreift, gingen um die Welt. Für viele kam die Aktion nicht überraschend, denn Trump hetzt seine Anhänger*innen schon seit Wochen gegen einen angeblichen Wahlbetrug auf. Wer die Kapitol-Angreifer*innen sind, wie sie rechte Medienplattformen nutzen und und warum sie viel mehr als irrelevante Randfiguren sind, erklärt Tamara Kamatovic. 

Die Bilder vom Angriff auf das Kapitol in Washington sind ein Spektakel, das wie für das Fernsehen gemacht erscheint. Ein selbsternannter Schamane mit Hörnern, Speer und patriotischer Gesichtsbemalung posiert hinter dem Podium des US-Kongresses. Ein anderer Mann verlässt grinsend das Kapitol mit einem Souvenir-Beutestück – dem Redner*innenpult von Nancy Pelosi, der Vorsitzenden des Repräsentantenhauses. 

Folgen der Tabubrüche

Diese teils symbolischen, teils gewaltsamen Tabubrüche forderten fünf Todesopfer und könnten nun zu einem zweiten Amtsenthebungsverfahren von Trump führen. Mehrere seiner Kabinettsmitglieder haben aufgrund der Ereignisse ihren Rücktritt erklärt. Einige behaupten unter Schutz der Anonymität, dass ihnen jetzt klar geworden sei, dass ihr Chef ein „Faschist“ sei.

Der Historiker und politische Analytiker Mike Davis sieht den Kapitolsturm als willkommene Gelegenheit für Republikaner*innen, sich ohne Gesichtsverlust von der Trump-Sekte distanzieren zu können.

Wer sind die Kapitol-Angreifer*innen?

Die Kapitol-Angreifer*innen, die sich als Patrioten in der amerikanischen Tradition der Selbstverteidigung und Bewaffnung verstehen, spiegeln eine postpolitische Kultur des Internets wider. Diese ist hauptsächlich auf Konsum und Klicks ausgerichtet. Die Gruppen, aus denen sich die Kapitol-Angreifer*innen rekrutieren, sind meist dezentral und ohne Hierarchie chaotisch organisiert. Trotz ihrer militaristischen und martialischen Ideologie und entgegen ihrem antidemokratischen und autoritären Anspruch.

QAnon und Neonazis

Ein großer Teil der Kapitol-Angreifer*innen bestand aus QAnon-Verschwörungstheoretikern. Sie glauben an den anonymen Internet-Propheten Q, dem zufolge Trump im Geheimen gegen eine satanistische Gruppe mächtiger Menschen kämpfe. Ihre Logos waren am 6. Jänner überall zu sehen: Q-Fahnen und Bilder eines weißen Kaninchen, das – nach dem Vorbild von Alice im Wunderland – für die Suche nach geheimen Wahrheiten steht. Andere Persönlichkeiten wie Nick Ochs, ein „elder“ (Anführer) der rechtsextremen „Proud Boys“, sind weiße Nationalisten. Tim Gionet, ein Neonazi und antisemitischer Verschwörungstheoretiker, der auf sozialen Medien unter dem Namen „Baked Alaska“ bekannt ist, übertrug seinen Zug durchs Kapitol live im Internet.

In einem Park in der Nähe des Weißen Hauses sprach Trump zu seinen Anhänger*innen. Währenddessen fand im Kongress die offizielle Zählung der Delegiertenstimmen statt. Trump befeuerte einmal mehr die Masse, gegen den angeblichen Wahlbetrug aktiv zu werden: „Wir geben nie auf, wo es sich um Diebstahl handelt. Ihr werdet euer Land nie durch Schwäche zurückbekommen!“ Während er seine Rede hielt, meldete sich Vizepräsident Mike Pence über Twitter zu Wort. Er könne nicht die Verfassung brechen, um die Wahlauszählung zu verhindern. 

Lange und öffentlich vorbereitet

Unter dem Namen „Stop the Steal“ war die Aktion seit Monaten vorbereitet worden. Die Planungen fanden öffentlich statt, vor allem auf sozialen Medien wie Twitter und „Parler“, einer rechten Medienplattform. Auf „TheDonald“, einem rechten Messageboard, kündigte ein Nutzer an, dass er sich „mit einer Pistole und zwei Messern bewaffnet und so viel Munition, wie er tragen kann“ in die Hauptstadt begibt. Nach den Ereignissen im Kapitol sperrten sämtliche Betreiber dieser Plattformen die Benutzerkonten von Menschen, die sie mit den Angreifer*innen in Verbindung brachten. Die Techfirmen Amazon, Apple und Google verbannten „Parler“ aus ihren Appstores.

Gleiches Ziel, visueller Kontrast

Trotz Ankündigung zogen weder Trump, noch sein treuester Verbündeter Rudy Giuliani mit dem Mob zum Kapitol. Während sich tausende Unterstützer*innen auf den Weg dorthin machten, taten einige Republikaner*innen wie Arizona-Senator Paul Gosar und Texas-Senator Ted Cruz im Kapitol das ihre, um die Legitimität der Wahl in Zweifel zu ziehen. Noch bevor die Aktivist*innen ihr Ziel erreichten, stellten sie einen Galgen und ein Kreuz auf und skandierten, dass sie Vizepräsident Mike Pence wegen seines „Verrats“ aufhängen wollten.

Diese Gruppe der Senator*innen und Kapitol-Angreifer*innen verfolgten das gleiche Ziel. Dennoch konnte der visuelle Kontrast zwischen dem Einspruch der Wahlauszählung im Kapitol und dem Mob auf der Straße nicht größer sein. Draußen chaotisch, drinnen durch verklausulierte, bürokratische Sprache – aber mit dem gleichen Ziel: eine demokratische Wahl delegitimieren.

Zögerliche Polizei

Journalist*innen, Think-Tanks und Muriel Bowser, die Bürgermeisterin von Washington DC, waren vorgewarnt und informiert. Die Kapitol-Polizei verfügt über ein Budget von 460 Millionen Dollar und 2.300 Bedienstete. Trotz der Warnungen entschied sie, keine Hilfe von der Nationalgarde anzufordern. Und sie koordinierte sich im Vorfeld nicht mit anderen Bundesbehörden.

Die Auseinandersetzungen zwischen der Kapitol-Polizei und den rechtsextremen Kapitol-Angreifer*innen verliefen nicht friedlich. Trotzdem liegt der Verdacht nahe, dass das zögerliche Vorgehen mit Sympathie für die Anliegen der Trump-Unterstützer*innen zusammenhängen könnte. Ein Polizist machte ein Selfie mit einem Angreifer. Berichte kursieren, dass andere Polizisten bei der Überwindung von Barrikaden geholfen haben sollen.

Erfolg der Aktion?

In den Mainstream-Medien herrschen gespaltene Einschätzungen über den Erfolg der Aktion. Einige behaupten, sie sei ein gelungener medialer Coup, während andere sich über die Angreifer*innen als Lumpenproletariat empören. In seinem Ekel über die Vorgänge ließ sich der CNN-Moderator Anderson Cooper dazu herab, sich über die geschmacklose Kleinbürgerlichkeit der Aktivist*innen zu mokieren. 

Einigkeit besteht darüber, dass die Taten symbolträchtig seien und die USA durch sie einen Prestigeverlust als Exporteurin der Demokratie zu beklagen hätten. Weitere Aktionen der Rechtsextremen sollen am Tag der Angelobung folgen, obwohl jetzt mit deutlich mehr Polizeipräsenz gerechnet werden muss.

Was der Angriff aufs Kapitol zeigt

Der amerikanische Sicherheitsapparat ist ein schwarzes Loch, das vor allem seit den Anschlägen vom 11. September 2001 jährlich Billionen Dollar verschlingt. Wie fragil er dennoch ist, zeigt der Angriff aufs Kapitol. Die halbherzige Reaktion der Polizei auf die Rechtsextremen steht in einem krassen Missverhältnis zu der brutalen Repression bei Black Lives Matter-Demonstrationen im Sommer 2020.

Wer die treibende Kraft hinter dem Ansturms auf das Kapitol darstellt, ist klar. Donald Trump hat den Mob über die letzten Monate hinweg aufgehetzt. Aber „Stop the Steal“ begann nicht mit Trump, die Verachtung von Demokratie existiert im Kern der Republikanischen Partei. Ihr größter Coup fand im Jahr 2000 statt, als George Bush die Wahlauszählung in Florida aufhielt und nur so US-Präsident wurde. Die Republikanische Partei will seit Jahrzehnten Bürger*innen, die ihr nicht genehm erscheinen, von demokratischen Prozessen ausschließen.

Kein kleiner, absurder Rand

Es handelt sich bei den Kapitol-Angreifer*innen nicht um einen kleinen absurden Rand und Narrensaum von Extremist*innen. Vielmehr sind sie die Früchte der antidemokratischen Tendenzen der Republikanischen Partei. Es darf nicht zugelassen werden, dass die 147 republikanischen Politiker*innen, die im Kapitol einen Putsch vollziehen wollten, zu widerständigen Helden und Beschützer*innen der Demokratie verklärt werden. 

David Sirota, ein Journalist und ehemaliger Redenschreiber von Bernie Sanders, weist auf die dringliche Notwendigkeit hin, die materiellen Lebensbedingungen der Amerikaner*innen sofort zu verbessern. So könne der Zulauf zum rechten Lager verhindert werden. Mit der knapp gewonnenen Mehrheit im Senat hat die Demokratische Partei die nötigen Voraussetzungen, um diese Maßnahmen einleiten zu können. 

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