Europa: Die Bewegungslinke ist tot

Podemos-Versammlung 2014

Die Finanzkrise läutete die Ära linker Bewegungsparteien ein. Spätestens mit den spanischen Wahlen ist diese vorbei, schreibt Max Veulliet von der KPÖ. Denn ohne starke Parteistrukturen geht die spontane Energie der Bewegungen verloren.  

Griechenland: Syriza fährt massive Verluste ein. Spanien: Podemos erlebt eine herbe Niederlage bei den spanischen Regionalwahlen. Indes ist “Die Linke” in Deutschland weiterhin in scheinbar auswegloser Situation. 2023 scheint es, als wäre die in Parteiform gegossene Bewegungs- und Bündnislinke knapp 15 Jahre dem Beginn der Eurokrise und etwa acht Jahre nach ihren größten Erfolgen am Ende. Was ist passiert?

Kometenhafter Aufstieg, schleichender Niedergang

Podemos gründete sich 2014 aus der Indignados-Bewegung heraus, die sich ab 2011 auf Spaniens Straßen und Plätzen gegen die Austeritätspolitik in der Eurokrise wandte. Den größten Erfolg feierte die Partei 2015, als sie bei den Parlamentswahlen 20,7 Prozent erreichte. Bei der Wiederholungswahl 2016 schloss man sich mit der alteingesessenen Izquierda Unida (Vereinigte Linke) zusammen, selbst schon ein Wahlbündnis, das in den Jahren davor zwischen fünf und zehn Prozent der Stimmen geschwankt hatte. Der Antritt namens Unidos Podemos erreichte 21,2 Prozent.

Doch Verhandlungen über eine mögliche Regierungsbeteiligung scheiterten. Erst 2019, als man zwei Millionen Stimmen weniger erhalten hatte als 2016, konnte Unidos Podemos eine Koalition mit der spanischen Sozialdemokratie schließen – als Juniorpartner. Die ursprüngliche Energie war verloren und die Partei von inneren Streitigkeiten über ihre Ausrichtung geschwächt. 2023 flog sie bei den Regionalwahlen sogar aus einigen regionalen Parlamenten. „Sumar“, ein weiterer linker Zusammenschluss unter der Führung einer Kommunistin – der Ministerin für Arbeit und Sozialwirtschaft, Yolanda Diaz – dem sich Podemos etwas unwillig in letzter Minute anschloss, konnte diesen Sonntag nicht einmal das schon vergleichsweise schwache Ergebnis von 2019 halten.

Während bei Podemos die Bewegung zur Partei wurde, wurde Syriza in Griechenland eher als Partei zur Bewegung. Syriza als Zusammenschluss linker Parteien hatte bereits seit 2004 bestanden. Mit der Eurokrise erhielt die Partei dann starken Zulauf aus der Protestbewegung gegen die von EU und IWF auferlegten Austeritätsmaßnahmen. 2015 konnte sie mit Wahlergebnissen deutlich über 30 Prozent mit Alexis Tsipras den Ministerpräsidenten stellen. Bei einer Volksabstimmung über das Kürzungsdiktat stimmten die Griech:innen mit „Nein“ – doch die Syriza-Regierung setzte es in einem historischen Vertrauensbruch trotzdem um. Damit war auch der griechischen Antiausteritätsbewegung der Wind aus den Segeln genommen. In Folge verlor man 2019 die Regierungsämter an die konservative Nea Demokratia und erreichte 2023 nur noch 18 Prozent der Stimmen.

Keine Bewegung hält für immer

An Syriza und Podemos orientierten sich zu ihrer erfolgreichen Zeit viele europäische Parteien, auch Die Linke in Deutschland (mit der Strömung „Bewegungslinke“) und die KPÖ in Österreich. Doch im oben beschriebenen Niedergang zeigt sich das grundlegende Problem einer Linken, die sich von Bewegungen ihre politische Richtung vorgeben lässt: Gelingt es ihr anfänglich, die spontane Energie der Straße aufzufangen, so muss sie danach starke Parteistrukturen aufbauen und kontinuierliche Basisarbeit leisten. Denn keine Bewegung hält für immer – und auf immer neue Bewegungen zu hoffen, ist ein Lotteriespiel. Die Proteste rund um Eurokrise und Austerität bildeten den Grundstein für die größte europäische sozioökonomische Bewegung seit langem. Die Klimabewegung ist dafür kein Ersatz.

Man kann nun entgegnen, dass sowohl in Spanien als auch in Griechenland linke Parteien weiterhin stärkere Wahlergebnisse erzielen als vor der Eurokrise. Gesellschaftlich gesehen wurde hingegen nichts Dauerhaftes gewonnen. Weder wurde der links-liberale Parteienblock gegenüber dem rechtskonservativen Block gestärkt, noch wurden Nichtwähler:innen in relevanter Zahl davon überzeugt, dass sich mit der Wahl einer linken Partei in ihrem Leben etwas zum Besseren verändern kann.

Ein neues Erfolgsrezept

Erfolg haben in Europa mittlerweile andere Formen linker Parteien – und das mit eher klassischen Rezepten. Ein Beispiel ist das starke Wachstum der Partei der Arbeit Belgiens (PVDA/PTB). Sie setzt auf eine direkt an den Alltagsproblemen der arbeitenden Menschen ansetzende Politik, orientiert am Marxismus und ergänzt durch jahrelang verfolgte, selbstorganisierte Solidaritätsprojekte. Strukturell zeichnet die PVDA/PTB ein modernisierter demokratischer Zentralismus aus. Mit ähnlichen Rezepten erzielte die KPÖ in der Steiermark und in Salzburg respektable Ergebnisse.

Vor der Zusammenarbeit mit Bewegungen muss eine Partei wissen, wo sie hinwill und was ihre Strukturen sind. Das ist seit dem Zerfall der Sowjetunion nur wenigen linken Parteien in Europa gelungen. Die europäische Linke war jahrzehntelang in konstantem Umbruch. Für eine kurze Zeit schien es, als hätte die Finanzkrise nach 2008 für die Etablierung eines bestimmten Typus linker Bewegungsparteien gesorgt. Diese kurze Ära ist nun zu Ende. Das müssen wir anerkennen, um unsere Lehren daraus zu ziehen. Wie können wir unsere Parteien und unsere Politik organisieren, um Kontinuität am Weg zum Sozialismus und zu einer befreiten Gesellschaft zu schaffen?

Die flüchtige Energie in Strukturen gießen

Zentral ist: Politische Erfolge, die aus temporären Situationen entstehen, müssen rasch in Parteistrukturen gegossen werden. Wahlsiege verschaffen einer Partei für kurze Zeit sehr viel Aufmerksamkeit und Zulauf. Doch ergeben sich daraus nicht Gruppen auf lokaler oder betrieblicher Ebene, die viele Menschen einbinden können; entwickelt man aus den Aktivgewordenen nicht fähige Führungskräfte, die Parlamentarismus als Werkzeug und nicht als Zweck verstehen sowie fähig sind, zentrale soziale Themen verständlich zu kommunizieren; und startet man keine Projekte vor Ort mit einem Mehrwert für die Bevölkerung; dann wird der Erfolg nicht von Dauer sein.

Was sich schließlich am Beispiel Syriza auch gezeigt hat: Es kann sich lohnen, für langfristige Ziele lieber auf kurzfristige Regierungsmacht zu verzichten. Eine starke linke Partei mit Vertrauen der Bevölkerung ist ein Projekt von Jahrzehnten und braucht entsprechendes Commitment für den Knochenjob vor Ort. 

Max Veulliet ist Büroleiter bei KPÖ PLUS Salzburg. Zuvor war er bei der Jungen Linken aktiv.

Foto: fotocalvito

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