Von Barcelonas Mietenkampf lernen: Verknüpfung von Klassen- und Umweltpolitik

Syndikat in Barcelona

Es ist ein Dilemma. Bezahlbarer Wohnraum ist Mangelware. Doch Neubau treibt die ökologische Krise voran. Soziale Bewegungen, die für einen ökologischen Umbau des Wohnungssektors kämpfen, können vom katalonischen Mietenkampf lernen, argumentiert Aeve Ribbons. Auch wenn der auf den ersten Blick keine explizit ökologische Agenda hat.

Soziale Gerechtigkeit und ökologische Nachhaltigkeit in Einklang zu bringen, ist im Bereich Wohnen eine große Herausforderung. Denn meist trägt Wohnungspolitik in kapitalistischen Volkswirtschaften eher dazu bei, soziale Ungleichheiten und ökologische Ungerechtigkeiten zu reproduzieren. Auf soziale Probleme, wie steigende Mieten oder den Mangel an Sozialwohnungen, ist die Antwort meist der Neubau von Wohnungen. Doch dieser führt zu mehr Flächenversiegelung und trägt zur Klimaerhitzung bei. Um Antworten auf diese Probleme zu finden, sollte sich die Umweltbewegung die Perspektive einer radikalen, basisdemokratischen Klassenpolitik aneignen.

Unzureichende Antworten auf die Wohnungskrise

Bisher drängten ökologische Bewegungen Klassenfragen jedoch oft an den Rand. Extinction Rebellion reproduziert beispielsweise rassifizierte und soziale Ausgrenzungen und betreibt eine weiße Mittelschichtspolitik, wie schon des Öfteren kritisiert wurde. Für Strategien zur Umgestaltung des Wohnungssektors in Richtung größerer sozialer und ökologischer Gerechtigkeit gilt daher: Sie müssen erstens auf einer umfassenden Analyse der vorherrschenden Machtstrukturen aufbauen. Und zweitens mittels Organizing auf eine breite Einbindung der Arbeiter:innenklasse und rassifizierter Minderheiten hinarbeiten.

Leider werden dem viele Ansätze aus der ökologischen Bewegung nicht gerecht. Zum Beispiel Initiativen wie Ökodörfer, Co-Housing und Tiny Houses. Trotz bester Absichten können sie ausgrenzend wirken und bestehende Klassenverhältnisse und rassifizierte Ungleichheiten reproduzieren. Dies liegt vor allem daran, dass die Teilnahme bestimmte körperliche Fähigkeiten, finanzielle Ressourcen, zeitliche Kapazitäten und/oder soziales Kapital erfordert. Für viele ist das unerreichbar. Zusätzlich stellen diese Ansätze den bestehenden Wohnungsmarkt und die sich darin manifestierenden ungleichen Machtstrukturen nicht in Frage und tragen nicht dazu bei, sie zu verändern.

Spaniens Mietenkampf

Eine Inspiration dafür, wie sich dieses Manko überwinden lässt, sind die Mieter:innengewerkschaften (sindicats d’habitatge) in Katalonien. Dabei handelt es sich um stadtteilbezogene Kollektive, die aus gemeinsamen Kämpfen für das Recht auf angemessenes Wohnen hervorgegangen sind. Sie beruhen auf gegenseitiger Unterstützung, Selbstorganisierung und direkter Aktion. Sie nutzen horizontale Formen der Organisierung und des kollektiven Wissensaustauschs. Die Kollektive unterstützen ihre Mitglieder bei der Lösung ihrer Wohnprobleme und wehren sich gegen Gentrifizierung und steigende Mieten in ihren Vierteln.

Klassenbewusstsein und eine antikapitalistische Perspektive sind für die sindicats d’habitatge von zentraler Bedeutung. Das liegt auch daran, dass sie aus Menschen bestehen, die der Arbeiter:innenklasse angehören, sozial ausgegrenzt werden, von Eigentümer:innen abhängig sind und aus Menschen, die durch die Gentrifizierung aus ihren Vierteln verdrängt werden.

Die Mehrheit der Mitglieder hat kein Interesse daran, ein Ökodorf oder ein Cohousing-Projekt zu gründen. Sie wollen es sich leisten können, in einer qualitativ hochwertigen und erschwinglichen Wohnung in ihrer Nachbarschaft zu leben. Deshalb setzen sie sich dafür ein, dass Wohnen ein allgemein garantiertes Recht wird. Und sie schaffen neue Handlungsansätze, soziale Beziehungen und Räume innerhalb des regulären Wohnungssektors. Um diesen gerechter, fairer und lebenswerter zu gestalten.

Wöchentliche Basis-Versammlungen für gerechtes Wohnen

Ein Hauptmerkmal der sindicats d’habitatge sind wöchentliche Basis-Versammlungen. Während diesen besprechen die Kollektive aktuelle Fälle und bearbeiten sie durch asesoramiento colectivo, kollektive Fallarbeit. Entscheidungen zu Aktionen, Strategien und der Verteilung von Aufgaben treffen sie gemeinschaftlich. Diese Herangehensweise fördert bottom-up Wissensaufbau, bindet Mitglieder aktiv mit ein und vermeidet im Idealfall, dass sich im Kollektiv Hierarchien herausbilden.

In der Praxis gelingt das jedoch nicht immer. So können Hierarchien etwa durch Wissensunterschiede zwischen den Mitgliedern entstehen. Oder weil manche mehr Zeit für das Syndikat aufbringen können als andere. Um diese Dynamik zu brechen, werden Aufgaben gleichmäßig verteilt und rotieren wöchentlich. Doch die  Umsetzung ist oft schwer. Darüber hinaus hat sich die durch die Corona-Pandemie verursachte soziale Krise auch nachteilig auf die Mietenkampf-Bewegung ausgewirkt. Während die Zahl der Bedürftigen zunahm, sind viele Aktivist:innen ausgebrannt oder haben wegen anderer Verpflichtungen weniger Zeit sich einzubringen.

Erfolge der kollektiven Organisierung

Trotz dieser Herausforderungen haben die kollektive Organisierung und direkten Aktionen zu einer Reihe von Erfolgen geführt: So wurden beispielsweise viele Zwangsräumungen durch Mieter:innengewerkschaften und Organisationen wie die ‚Plattform für von Hypotheken betroffene Menschen‘ (PAH) verhindert. Außerdem wurden leerstehende Wohnungen ‚befreit‘, eingerichtet und bedürftigen Familien zur Verfügung gestellt.

Die Mieter:innengewerkschaften haben oftmals keine explizit ökologische Agenda. Doch ihre Aktionen und Erzählungen unterstützen ein Wohnmodell, das sowohl ökologisch nachhaltig als auch sozial gerecht ist. Durch die Besetzung ungenutzter Gebäude wird vorhandener städtischer Raum genutzt und recycelte Materialien und Einrichtungsgegenstände kommen zum Einsatz. Sie bieten eine nachhaltige Alternative zum wachstumsbasierten Wohnmodell, das auf eine verstärkte Bautätigkeit mit hochindustrialisierter Produktion und Materialgewinnung setzt.

Sozial-gerechtes, ökologisches Wohnen

Es gibt Möglichkeiten, ökologische und soziale Gerechtigkeit im Wohnungssektor miteinander in Einklang zu bringen und vorhandenen Wohnraum effektiver und gerechter zu nutzen. Dies erfordert jedoch kontinuierliche Basis-Organisierung sowie institutionellen Wandel. Eine engere Zusammenarbeit mit Basisbewegungen im Wohnbereich, wie den sindicats d’habitatge in Barcelona, würde der Klima- und Umweltbewegung dabei helfen, die sozial-ökologischen Ungerechtigkeiten, die dem derzeitigen wachstumsorientierten Wohnungssektor zugrunde liegen, wirklich anzugehen. Die Gesetzeslage etwa zu Hausbesetzungen unterscheidet sich zwar je nach nationalem Kontext und beeinflusst das Handlungsrepertoire sozialer Bewegungen. Nichtsdestotrotz können die Strategien und Narrative der katalanischen Mietenkampf-Bewegungen eine Inspirationsquelle für Kämpfe in anderen Ländern sein, die sich gegen Spekulation, Gentrifizierung und Umweltzerstörung richten.     

Foto: Aeve Ribbons
Redigatur und Übersetzung: Mathias Krams

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