Warum Hausbesetzungen mehrheitsfähig sind

Hausbesetzung Wien

En Commun ist eine neue linksradikale Kampagne, die im März mit einer Hausbesetzung in der Wiener Mariannengasse auf sich aufmerksam machte. mosaik-Redakteur Benjamin Herr traf sie zum Gespräch über linksradikale Aktionsformen, Polizeigewalt und Selbstorganisierungsprozesse im Werden.

mosaik: Wie hat sich En Commun gefunden?

En Commun: Hintergrund der Kampagne waren die antifaschistischen Gegenproteste zu den Coronademos. In verschiedenen Redebeiträgen haben wir sehr differenziert eine linke Kritik an den staatlichen Maßnahmen und der Pandemiebekämpfung festgemacht. Was im medialen Mainstream übrig blieb war schlichtweg: „Impfbefürworter*innen“.

Wir stellten fest, dass es über diesen Weg nicht möglich war eigene Inhalte zu setzen und diese medial zu vermitteln. Das war der Ausgangspunkt, an dem wir uns die Frage gestellt haben, wie wir solidarische Antworten auf die kapitalistische Vielfachkrise geben können. Dahinter steht der Gedanke: Raus aus der Defensive! Uns geht es nicht um einzelne Stellschrauben im System, die verbessert gehören, sondern um eine befreite Gesellschaft generell.

Ihr habt eure Kampagne mit einer Hausbesetzung gestartet. Warum?

In dem Haus in der Mariannengasse im neunten Wiener Gemeindebezirk kommt quasi alles zusammen, was schlecht an Österreich ist: Die Mieten steigen und dieser wertvolle Wohnraum wird, nachdem er jahrelang leer stand, an eine Luxusklinik mit Hotelfeeling verkauft. Gleichzeitig war das Haus in jüdischem Besitz – bevor es arisiert wurde und die Besitzerin 1938 vor dem NS-Regime in die USA flüchten musste. Die antisemitischen Kontinuitäten in Österreich treffen auf die Durchsetzung der Zwei-Klassen-Medizin.

Aus diesem Grund war die Hausbesetzung die passende Aktionsform: Eine Hausbesetzung greift ungerechte Eigentumsverhältnisse direkt an. Es ist eine spannende Aktionsform, die auf Themen wie Mietsteigerungen, Leerstand und Zwangsräumungen aufmerksam macht. Außerdem schafft Besetzung Öffentlichkeit und war die perfekte Grundlage, um unsere Inhalte zu transportieren.

Was auffällig war: Recht schnell wurde geräumt, wie das?

Nachdem wir das Haus in der Früh besetzt hatten, wollten wir kurz danach das Haus für die Öffentlichkeit öffnen. Geplant waren verschiedene Dinge wie Workshops oder Konzerte. Doch dazu kam es nie, sobald die Türen offen waren, ging auch schon die Polizei dazwischen, keine Person konnte herein. Da hat sich etwas verändert über die Jahre, früher wurden Hausbesetzungen wochenlang geduldet, manchmal über Monate. Wir sehen eine veränderte Polizeistrategie, möglichst schnell an die Eigentümer*innen heranzutreten, damit diese den Einsatz der Polizei zur Räumung fordern.

Was wir auch sehen: Die Polizei wird immer gewalttätiger. Sei es bei der Hausbesetzung am Rathausplatz, bei der Menschen die Treppen heruntergetreten wurden oder am achten Mai, wo die Polizei Vollgas gab. Ebenso der Skandal am ersten Mai, der keine Konsequenzen für sie hatte. Und dann heißt es in den Polizeiaussendungen, die Polizei wurde von Demonstrant*innen angegriffen. So werden Leute zermürbt.

Umso wichtiger ist es, dass wir unsere eigenen Strukturen haben. Auch wenn wir keine Vollzeitstellen für die Pressearbeit haben, gelingen uns Erfolge. Bei der Hausbesetzung waren wir zum Beispiel sehr gut vorbereitet, wir konnten pro-aktiv kommunizieren und unsere Positionen sind inhaltlich durchgekommen. Das geht natürlich nicht immer so. Aber einen eigenen Zugang zu Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zu haben, ist enorm wichtig. Dasselbe gilt für Foto- und Videodokumentation, mit der man oftmals belegen kann, das offizielle Polizeidarstellungen unrichtig sind. Gerade wenn der bürgerliche Mainstream uns ausklammert ist es wichtig, dass wir unsere eigenen Kommunikationskanäle haben. Das schafft Öffentlichkeit und Öffentlichkeit schafft einen gewissen Schutz.  

Und wie haben die Anrainer*innen auf eure Aktion reagiert?

Wie viele positive Reaktionen uns von Passant*innen und Anwohner*innen entgegengebracht wurden, war schön zu sehen. Das zeigt, wie mehrheitsfähig linksradikale Ideen sind. Schlussendlich sind fast alle für eine befreite Gesellschaft.

Man unterschätzt es oftmals, wie sehr es Menschen auffällt, wenn das Haus in ihrer Straße für lange Zeit leer steht. Das Problem ist, es gibt zu wenig Lösungsansätze. Menschen finden sich mit der Situation ab, finden es aber umso besser, wenn andere dann etwas gegen solche Missstände machen.

Foto: En Commun

Positiv hat auch die SPÖ-Bezirksvorsteherin reagiert. Ist eine politische Allianz mit der Sozialdemokratie vielleicht die Zukunft?

Es ist zynisch zu sagen, dass es schlecht wäre, wenn unsere Aktionen dahingehend einen Einfluss haben. Und es ist eh auch nett, wenn die Grünen oder die SPÖ das Thema im Bezirksrat aufgreifen. Uns muss aber immer auch klar sein, dass unsere Fragen und Antworten tiefer gehen. Uns geht es um den größeren gesellschaftlichen Zusammenhang, den wir kritisieren, und um das gesellschaftliche Neue, das wir aus dieser Kritik heraus wagen.

Und wie sieht die Zukunft der Kampagne aus?

Für uns ist es ein fortlaufender Lernprozess und eine neue Art des Arbeitens. Im Vordergrund steht nicht die kurzfristige Arbeit von Aktion zu Aktion, sondern langfristige Strukturen einer linksradikalen Selbstorganisierung aufzubauen. Ein Beispiel für wichtige Inhalte, derer wir uns annehmen wollen, sind die Zwangsräumungen: In Wien finden täglich fünf bis sieben Zwangsräumungen statt, viele auch in Gemeindebauten. Das ist ein Feld politischer Arbeit, wo wir an der Spitze des Eisbergs stehen und die politische Mobilisierung von Betroffenen ein wertvoller Ansatzpunkt ist.

Vorhin haben wir über die positiven Reaktionen von Anrainer*innen gesprochen. Daran lässt sich ansetzen, weil wir als radikale Linke zu oft abstrakt Politik machen. Als En Commun ist uns wichtig Antworten darauf zu finden, wie wir an konkreten Orten und konkreten Kämpfen Zugänge finden. Die Zukunft von En Commun ist definitiv auch Zugänglichkeit zu schaffen. Abseits von Social Media flyern wir in Briefkästen und plakatieren auf der Straße – und zwar viersprachig.

In den nächsten Monaten wird uns auch beschäftigen, wie wir interessierte Menschen hineinholen können. Sind unsere Sitzungen und Plena tatsächlich der politische Raum, der gewünscht ist? Oder braucht es andere, weniger zeit- und ressourcenintensive Formen, wie zum Beispiel ein Straßenfest? Wie wir uns in dieser Hinsicht öffnen können ist eine wichtige Frage, die wir uns derzeit stellen. Denn es ist notwendig eine Zugang zu linksradikalen Räumen für jene Menschen zu schaffen, die ihn bisher nicht hatten.

Interview: Benjamin Herr

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