Theaterautor Amir: “Rojava verdient unsere Solidarität”

Ibrahim Amir ist einer der aufstrebenden Theaterautoren in Wien. Sein neuestes Stück „Rojava“ handelt vom kurdischen Befreiungskampf und wird im Volkstheater aufgeführt. Ein Gespräch über konservative Bühnen, Solidarität und Heval Șahin.

Ibrahim Amir sitzt nach der Generalprobe seines Stückes „Rojava“ am Wiener Volkstheater in der kleinen Bibliothek des Hauses. Es ist sein erstes Stück, das im Volkstheater aufgeführt wird. 2016 sagte das Haus nach langen Diskussionen die Aufführung von „Homohalal“ ab. Er hat sich davon aber nicht aus dem Konzept bringen lassen, sagt er am Rande des Interviews, er schreibe weiterhin politische Stücke.

Amirs Lebensgeschichte ist ohnehin eine sehr politische. 2002 kam er mit 18 Jahren aus Aleppo nach Wien, weil ihn die Uni seiner Heimatstadt exmatrikulierte, nachdem er sich einer linken kurdischen Gruppe angeschlossen hatte. In Wien studierte er zunächst Medizin, begann aber bald wieder mit dem Schreiben. 2009 erhielt er den Exil-Literaturpreis, 2013 wurde sein Stück „Habe die Ehre“ mit dem Nestroy für die Beste-Off-Produktion ausgezeichnet. „Es hat eine Zeit gedauert, bis ich mich wohlfühlte, auf Deutsch zu schreiben.“

Mosaik: Warum hast du ein Stück über Rojava geschrieben?

Ibrahim Amir: Ich bin zwar nicht im kurdischen Gebiet Syriens aufgewachsen, aber meine Großeltern sind aus Afrin. Ich habe in meiner Kindheit viele Sommerferien dort verbracht. In Afrin waren auch kurdische BefreiungskämpferInnen, die zu alt oder verletzt waren, um noch an Kampfhandlungen teilzunehmen.

Kanntest du sie persönlich?

Ja, sehr gut. Viele dieser Leute haben Workshops angeboten: Für die Erwachsenen waren sie politisch, für uns Kinder gab es eine Theatergruppe. Geleitet hat sie Heval Șahin. Das war sein Deckname, seinen echten Namen kenne ich nicht. Er hat in Istanbul Dramaturgie studiert und ist dann zum Kämpfen in die Berge gegangen. In seinem rechten Oberschenkel hatte er eine Schusswunde. Er hat gehinkt und konnte nicht mehr kämpfen. Er war es, der mich zum Theater gebracht hat.

Wie viel hat das mit den aktuellen Geschehnissen in Rojava zu tun?

Diese lange Erfahrung hat ein solches Projekt überhaupt erst ermöglicht. Dass es die KurdInnen waren, die im Zuge des syrischen Bürgerkriegs damit begonnen haben, sich selbst zu verwalten, war kein Zufall. Sie hatten das Wissen, wie so etwas gehen könnte. Es ist nicht perfekt und ich will die Zustände in Rojava nicht romantisieren, aber für was die Menschen dort kämpfen, verdient Achtung und Solidarität.

Siehst du dich als Teil dieses Projekts?

Ich war nie Mitglied einer Gruppe, die gekämpft hat. Aber ich habe das Gefühl, dass ich etwas zurückgeben muss: an die Leute in Afrin, an meine FreundInnen von damals und an Heval Șahin. Gleichzeitig kann ich damit den WienerInnen zeigen, was gerade in Rojava passiert, dass dort Menschen in widrigsten Umständen, für das kämpfen, was sie für richtig halten. Sie wollen eine neue Welt aufbauen, auch wenn das utopisch klingt.

In deinem Stück geht Michael aus Österreich nach Rojava, um dort zu kämpfen. Verstehst du das?

Total. Mir war es ganz wichtig, dass er nicht naiv wirkt. Michael basiert ja auf realen Figuren, auf Menschen aus Italien, England, Kanada oder Deutschland, die nach Rojava gingen, um zu kämpfen. Ich würde diese Leute niemals verspotten.

Kommen wir zu Österreich. Du hast dem Profil vor einem Jahr ein Interview gegeben, in dem du gesagt hast, dass das Theater konservativ ist. Ist es in Wien fortschrittlicher oder noch schlimmer als anderswo?

Die Off-Szene hier ist sehr mutig, aber die großen Häuser sind es nur manchmal. Die sagen sehr oft, dass das Publikum kein Interesse an modernem Theater hätte und deswegen spielt man die selben, klassischen Stücke sehr oft. Das ist in Berlin beispielsweise anders, Wien ist zurückhaltender.

Woran liegt das?

Man traut dem Publikum sehr wenig zu. Es mag sein, dass es aufgrund der langen Theatertradition ein Interesse an den Klassikern gibt, aber die großen Häuser dürfen sich damit nicht abfinden. Es spricht ja nichts dagegen einen Nestroy neu und sozialkritisch zu inszenieren, man müsste es nur tun.

Die Schauspielensembles der großen Häuser sind sehr homogen, es gibt kaum Leute mit anderen Hautfarben. Würdest du dir mehr Diversität wünschen?

Ja, das ist unfair. Das Theater hat sich mit der Stadt nicht mitentwickelt. Auf der Straße hörst du Serbokroatisch, Türkisch und immer mehr Arabisch. Das ist ja gerade das Schöne an Städten: dass sie sich so schnell verändern können. Aber im Theater ist das nicht angekommen.

Fühlst du dich da als Provokateur?

Ich provoziere nicht bewusst, aber ich greife Themen auf, die aktuell und kontrovers sind. Aber im Vordergrund steht dabei für mich der Humor. Der kann ganz unterschiedlich ausfallen, ob subtil, ironisch oder weniger versteckt. Aber ich brauche das Lustige: Ich merke mir Geschichten auch besser, wenn sie mich zum lachen bringen.

Du hast in einem Interview einmal gesagt, der syrische und der österreichische Humor hätten gewisse Parallelen. Wie hast du das gemeint?

Nein, der Wiener Humor! Der hat dieses subtile, dieses unaufgeregte, das in Syrien auch sehr weit verbreitet ist. Das war mir, als ich nach Wien kam, überhaupt nicht neu. Deswegen sehe ich mich gerne als Wiener Autor, auch wenn die Rechten das anders sehen. Aber von denen lasse ich mir das nicht wegnehmen.

Wo hast du diesen Humor kennen gelernt?

Im Spital, in dem ich gearbeitet habe. Dort lernt man das echte Wien kennen, aber nicht nur das. Mich haben auch die Krankenschwestern total beeindruckt. Sie haben es jeden Tag mit dem Patriarchat aufgenommen und waren sehr starke Frauen und Feministinnen, obwohl sie sich vielleicht nicht so bezeichnet hätten. Da ist viel über den Humor gelaufen.

Wie siehst du die politischen Entwicklungen in Österreich?

Sie machen mich ratlos. Ich warte auf diesen Moment, an dem die Bevölkerung sagt: „Nein, genug. Wir wollen diesen Innenminister nicht mehr.“ Aber er kommt nicht, es gibt nicht einmal eine Debatte. Es ist völlig egal, dass diese Regierung autokratische Tendenzen hat. Die Haut der Menschen ist sehr dick geworden, sie haben sich daran gewohnt und es stört sie nicht.

Welche Rolle kann das Theater spielen, um das zu ändern?

Wichtig ist, dass das Theater diese Zeiten überlebt. Die Einsparungen im Kulturbereich bedrohen uns existenziell. Da müssen wir Widerstand leisten. Auch wenn sie uns unsere Häuser zusperren, dürfen wir nicht aufgeben. Dann müssen wir auf die Straße gehen, dort Theater machen und zeigen, dass wir da sind.

Interview: Moritz Ablinger

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