4 Dinge, die das Gewaltschutzpaket zum Problem machen

Am Mittwoch hat der Nationalrat das Gewaltschutzpaket beschlossen. Schon im Vorfeld regte sich Kritik. Warum das so ist und warum sie nicht verstummen wird, erklären Sophie Hansal und Andrea Kropik.

Kurz nach der Angelobung der türkis-blauen Regierung erregte eine Reihe von Frauenmorden die öffentliche Aufmerksamkeit. Vor diesem Hintergrund kündigte Anfang 2018 die damalige Staatssekretärin Edtstadler (ÖVP) die Gründung einer Task Force zu Strafrecht und Opferschutz an. Diese Arbeitsgruppen sollten gemeinsam mit Expert_innen politische Maßnahmen zur Verbesserung des Gewaltschutzes erarbeiten. Das daraus entstandene Gewaltschutzpaket umfasst unter anderem Gesetzesänderungen im Strafgesetzbuch, im Sicherheitspolizeigesetz und im Ärztegesetz.

Expert_innen üben Kritik

Opferschutzeinrichtungen, Richter_innen, Staatsanwält_innen und Strafrechtsexpert_innen kritisieren das Maßnahmenpaket der türkis-blauen Regierung jedoch und fordern eine Überarbeitung der vorgelegten Gesetzesentwürfe. In mehr als 60 Stellungnahmen wiesen Expert_innen aus verschiedenen Bereichen auf Mängel und Unklarheiten in den Gesetzesentwürfen hin und stellen die Sinnhaftigkeit einiger Maßnahmen in Frage.

ÖVP und FPÖ brachten dennoch einen gemeinsamen Fristsetzungsantrag im Nationalrat ein, der es möglich macht, dass die geplanten Gesetzesänderungen wenige Tage vor den Neuwahlen in unveränderter Form beschlossen werden konnten.

Was sind nun die zentralen Kritikpunkte am Gewaltschutzpaket?

1. Law & Order statt inhaltlicher Politik

„Strengere Strafen bei Gewalt gegen Frauen” Das mag auf den ersten Blick nicht so schlecht klingen. Tatsache ist aber: Es gibt keine Untersuchungen, die darauf hindeuten, dass höhere Strafen Täter abschrecken. Expert_innen sind sich weitgehend einig, dass der Strafrahmen für Gewalt gegen Frauen in Österreich ausreichend ist. Das Problem ist eher: Der bestehende Strafrahmen wird viel zu selten ausgeschöpft. Nach wie vor endet nur ein Bruchteil der Anzeigen in Verurteilungen. Bei Vergewaltigungen wird beispielsweise in mehr als 90 Prozent der Fälle (!) das Verfahren eingestellt oder es kommt zu einem Freispruch. Die hohe Dunkelziffer von Frauen*, die gar keine Anzeige erstatten, ist hier noch nicht einmal berücksichtigt.

Strengere Strafen lösen dieses Problem nicht. Im Gegenteil: höhere Strafen können dazu führen, dass noch weniger Frauen Anzeige erstatten. Gerade bei Gewalt in der Familie stehen Täter und Opfer oft in einem Nahe- und/oder Abhängigkeitsverhältnis. Wenn es sich beim Täter um den Partner/Ehemann/Vater/Bruder/… handelt, schrecken höhere Strafen schlimmstenfalls Betroffene davon ab, eine Anzeige zu erstatten.

Auch die geplante Anzeigepflicht für medizinische und therapeutische Berufe wird nicht zu höheren Verurteilungsraten führen, sondern könnte bewirken, dass Betroffene weniger professionelle Hilfe in Anspruch nehmen.

Wirkungsvoller wäre es, die Mittel für Staatsanwaltschaften aufzustocken. Diesen fehlen oft die Ressourcen für eine adäquate Ermittlung und Beweissicherung. Genauso wichtig wäre es, in die Sensibilisierung von Richter_innen für das Thema Gewalt an Frauen zu investieren.

2. Mangelnde Umsetzbarkeit

In Bezug auf das Sicherheitspolizeigesetz wird die praktische Umsetzbarkeit mancher Änderungen in Frage gestellt. Geplant ist eine Art „Bannmeile”, die ein Annäherungsverbot im Umfang von 50 Meter rund um das Opfer vorsieht. In der Praxis wird es jedoch schwer dies geltend zu machen. Wie sollen Betroffene beweisen, ob es sich im Fall einer vermeintlichen Übertretung des Annäherungsverbots um 40 oder 50 Meter gehandelt hat? Die Beweislast liegt – wie in so vielen Fällen – wieder bei den Betroffenen.

Gleichzeitig sollen Betretungsverbote in Kinderbetreuungseinrichtungen und Schulen zukünftig durch das Annäherungsverbot ersetzt werden. Das könnte zum Beispiel zur Folge haben, dass Schulen warten müssen, bis das Kind zur Schule kommt, bevor ein gewalttätiger Vater von dort weggewiesen werden kann. Das Kind müsste dann möglicherweise diese Wegweisung durch die Polizei mit ansehen, was eine zusätzliche Belastung in einer ohnehin schwierigen Situation bedeutet.

3. Unausgereifte Konzepte

Die Einführung von bundesweiten Täterarbeitseinrichtungen gilt als Errungenschaft des Gewaltschutzpakets. Grundsätzlich ist der Ausbau von Täterarbeit gut und wichtig. In der derzeit geplanten Form mangelt es aber noch an konkreten Konzepten für die sogenannten Gewaltpräventionszentren. Geplant ist, dass alle Personen, gegen die ein polizeiliches Betretungs- und Annäherungsverbot ausgesprochen wurde, Kontakt zu einem Gewaltpräventionszentrum aufnehmen müssen. Im Jahr 2018 wären das österreichweit mehr als 8.000 Personen gewesen. Ziel ist dabei, diese sogenannten „Gefährder” von (weiteren) Gewalttaten abzuhalten.

Unklar ist jedoch, wie im Rahmen von wenigen Beratungseinheiten eine solche Verhaltensänderung erreicht werden soll. Denn Verhaltens- und Einstellungsänderungen lassen sich nicht einfach anordnen. Sie erfordern ein hohes Maß an Reflexion und intensive Arbeit an sich selbst. Es ist fraglich, ob diese Bedingungen erfüllt sind, wenn alle Gefährder (ohne gerichtliche Verurteilung) zu punktuellen Beratungsgesprächen verpflichtet werden. Bezahlen müssen die Gefährer diese Gespräche laut Entwurf selbst – Kostenpunkt 250 Euro. Auch das fördert vermutlich nicht unbedingt die Bereitschaft zur „aktiven Teilnahme an den Beratungsgesprächen“, wie sie im Gesetzesentwurf festgeschrieben ist. Für einkommensschwächere Familien kann es außerdem eine Belastung des Familienbudgets bedeuten, die sich auch negativ auf die Opfer auswirkt.

Zudem könnten Polizeibeamt_innen davon abgehalten werden, Betretungsverbote als präventives Instrument einzusetzen, wenn dies verhältnismäßig hohe Kosten für die weggewiesenen Personen zur Folge hat. Deutlich zielführender wären mehr finanzielle Ressourcen und Weisungen zu Therapien und Anti-Gewalt-Trainings für Personen mit erhöhtem Gefährdungspotenzial durch die Straf- und Familiengerichte.

4. Keine Zusammenarbeit

Bedenklich ist schließlich auch, dass der Gesetzesentwurf die Zusammenarbeit zwischen Opferschutzeinrichtungen und den geplanten Gewaltpräventionszentren überhaupt nicht berücksichtigt. Diese Zusammenarbeit wäre jedoch die Voraussetzung für eine opferschutzorientierte Täterarbeit, bei der die Sicherheit von Opfern gewährleistet wird und zugleich Manipulation und einseitigen Darstellungen von Gefährdern entgegenwirkt werden kann.

Überarbeitung bitter nötig

Das türkis-blaue Gewaltschutzpaket ist in vielen Aspekten mangelhaft und nicht durchdacht. In manchen Punkten wirken die Gesetzesentwürfe sogar dem Schutz gewaltbetroffener Personen entgegen. Darüber ist sich die Mehrzahl derer, die tagtäglich mit den Gesetzen arbeiten, einig. Das Gesetz in seiner jetzigen Form zu beschließen, heißt, die Erfahrung und das Fachwissen von Personen zu ignorieren, die seit Jahrzehnten für Opferrechte kämpfen. Beim Durchboxen unausgegorener Gesetzesentwürfe dürfte es der ehemaligen FPÖVP-Regierung kurz vor der Wahl mehr um den Verkauf von politischen Erfolgen gehen, als um Verbesserungen im Gewaltschutz.

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