Feministische Anti-Gewalt-Arbeit ist in Österreich bitter nötig

“Gewalt ist immer notwendig, um Menschen einen untergeordneten Platz in der Gesellschaft aufzuzwingen”, schreibt die italienische Feministin Silvia Federici. Gewalttaten an Frauen sind, so wie auch rassistische Gewalttaten, nie nur Einzelfälle. Sie (re-)produzieren gesellschaftliche Hierarchien. Der Handlungsbedarf ist groß. Ein Kommentar von Silvia Schröcker.

Die Rate an Frauenmorden in Österreich ist alarmierend. Die Morde an Frauen haben sich seit 2014 mehr als verdoppelt. 2018 kamen in Österreich 36 Frauen durch ihre Partner uns Leben, durchschnittlich drei pro Monat – meistens von ihren (Ex-)Partnern. Das Jahr 2019 ist noch nicht einmal drei Wochen alt, und bereits vier Frauen wurden ermordet. Einem Mord gehen dabei, so der Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser (AÖF), fast immer vorherige Übergriffe voraus. Die Täter kündigen ihre Taten oftmals mit Morddrohungen an, sind vielfach schon behördenbekannt. Diese reagieren aber oft nicht oder nur unzureichend.

Die verharmlosende Perspektive des Täters

Anfang des Jahres kam der Fall einer 25-Jährigen an die Öffentlichkeit, die in den Morgenstunden des 30. Dezembers von einem österreichischen Staatsbürger mit einer Eisenstange lebensbedrohlich verletzt wurde. Die mediale Berichterstattung ließ von haarsträubender Verharmlosung über individualisierende, verzerrende Psychologisierung bis hin zu impliziter Täter-Opfer-Umkehr kein Beispiel dafür missen, wie Medienarbeit zu Gewalt an Frauen nicht erfolgen sollte.

Boulevardzeitschriften betitelten den Vorfall als „gescheiterten Flirtversuch“. Sie machten den „Frust“ des Mannes zum Motiv für sein gewalttätiges Handeln. Obwohl Gewaltschutzeinrichtungen und Geschlechterforschung seit Jahrzehnten Aufmerksamkeit dafür schaffen, dass solche Berichterstattung Gewalt Vorschub leistet, werden Übergriffe weiterhin durch ein solches Wording verharmlost. Die Berichterstattung rückt die (mutmaßliche) Sicht des Täters lindernd in den Vordergrund. Die Botschaft für Frauen: Ihr müsst Gewalt als einen unvermeidbaren Teil eures Lebens akzeptieren.

Eines der Hauptthemen der türkis-blauen Regierung seit ihrem Amtsantritt ist das Thema Sicherheit. Die Sicherheit, die ihre Politik verfolgt, ist eine sehr spezifische: die Absicherung gesellschaftlicher Vorherrschaft einer privilegierten, männlichen Minderheit. Häusliche Gewalt, Übergriffe am Arbeitsplatz, rassistische Gewalt gegen Frauen die Kopftuch tragen, Racial Profiling oder auch soziale Sicherheit fallen selbstverständlich nicht unter den Sicherheitsbegriff der Regierung. Für die Mehrheit der Menschen, die in Österreich leben, scheint das Recht auf ein gewaltfreies Leben nicht zu gelten.

Wie die Regierung Abhängigkeiten produziert

Das autoritäre Projekt von Türkis-Blau setzt zentral auf die Festschreibung vergeschlechtlichter und rassistischer Hierarchien. Diese lassen sich nur mit kontinuierlicher sozialer und ökonomischer Gewalt aufrechterhalten. Wie die feministische Forschung aufgezeigt hat, können individuelle Gewalttaten gegen Frauen nicht vollkommen losgelöst von einer staatlichen Politik verstanden werden, die Menschen in unterschiedliche gesellschaftliche Positionen drängt. So ist beispielsweise die unbezahlte Haus- und Pflegearbeit, die nach wie vor mehrheitlich von Frauen geleistet wird, eine wichtige Grundlage für die türkis-blaue Sozial- und Gesundheitspolitik. Nur durch unbezahlte Arbeit können die Lücken in der staatlichen Kinderversorgung gefüllt und die hochgradig prekären Zustände im bezahlten Pflegesektor aufgewogen werden.

Solange Frauen aber unbezahlte oder schlecht bezahlte Arbeit verrichten, sind sie in heterosexuellen Paarbeziehungen auch einer größeren ökonomischen Abhängigkeit ausgesetzt. Das ist eine der Hauptursachen dafür, sich nicht zu trennen. Geplante Maßnahmen der Regierung wie die Abschaffung der Notstandshilfe oder Kürzungen der Mindestsicherung werden viele Frauen zusätzlich in verstärkte Abhängigkeit drängen.

Rassistischer Missbrauch

Wenn die Bundesregierung Gewalt an Frauen thematisiert, dann zumeist als Instrument rassistischer Zuschreibungen. Die Law-and-Order-Politik, die die FPÖ seit Jahrzehnten propagiert, will einerseits die Wahrnehmung von Gewalt an Frauen hin zu sensationellen Einzelfällen verlagern, statt sie als einen strukturellen Teil des Alltags eines großen Teils der Bevölkerung zu problematisieren. Andererseits ist ein Ziel dieser Politik, bestimmte Männer weiter zu kriminalisieren. Denn härtere Strafen werden überproportional gegen Männer aus migrantischen Communities und POC (People of Color) angewandt – eine politische Strategie, die schwarze AktivistInnen in den USA bereits hinlänglich analysiert haben.

Gleichzeitig wird dem Kampf gegen Gewalt an Frauen der materielle Boden entzogen. Frauenorganisationen werden die Mittel gekürzt, Fallkonferenzen in der Gewaltprävention abgeschafft. Besonders betroffen von den Kürzungen sind migrantische Frauenorganisationen und Organisationen, die sich für die Rechte von Sexarbeiterinnen einsetzen. Ansätze, die zur Veränderung von Geschlechtervorstellungen in ethnisierten Communities am effektivsten beitragen würden, nämlich feministische Arbeit mit und von migrantischen Organisationen, wird erschwert. Unter diesen Vorzeichen gibt eine strengere Strafgesetzgebung jenen Institutionen mehr Handlungsspielraum, die für die Probleme mitverantwortlich sind.

Männlichkeitsvorstellungen verändern

Feministische Anti-Gewalt-Arbeit wird in Österreich in den kommenden Jahren bitter nötig sein. Aufgrund des epidemischen Ausmaßes von Gewalt an Frauen und des Zusammenwirkens vieler Ursachen muss sie an vielen Fronten gleichzeitig passieren. Sie muss unabhängig sein, und sie muss strukturelle Veränderungen zum Ziel haben. Es ist wichtig, auf die materiellen Grundlagen von Gewalt hinzuweisen und individuelle Gewalttaten im Kontext von Einsparungsspolitik zu politisieren. Die britische Selbstorganisierung von Gewaltbetroffenen, „Sisters Uncut“, macht das schon seit Jahren mit einigem Medienecho.

Neben der unschätzbar wichtigen Arbeit von Gewaltschutzeinrichtungen und Beratungsstellen ist auch gendersensible Männer- und Bubenarbeit von großer Bedeutung. Denn dass das Ausmaß der Gewalt an Frauen in Österreich so hoch ist, liegt auch an der Allgegenwart von Männlichkeitsvorstellungen, die auf Aggression und Übergriffigkeit aufbauen. In Österreich werden solche Männerbilder etwa von Burschenschaften und anderen männlichen Seilschaften gezielt in die politischen Institutionen getragen. Diesen Bildern müssen andere Formen der Männlichkeit entgegengesetzt werden, die Empathie und einen konstruktiven Umgang mit den eigenen Emotionen stärken.

Immer, aber ganz besonders unter der derzeitigen Regierung, heißt Kampf gegen Gewalt an Frauen auch antirassistische Arbeit. Die Gewalt, die Frauen aufgrund rassistischer Ressentiments in allen Bereichen des Alltags oder aufgrund der autoritären Asyl- und Migrationspolitik auf Fluchtrouten und in extrem ausbeutenden Arbeitsverhältnissen in Österreich erfahren, muss stärker in den Fokus rücken.

Silvia Schröcker ist Politikwissenschaftlerin und interessiert sich für feministische Theorie und Praxis, kritische Psychologie und Antirassismus.

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