I know I care: Rückschau auf die Wienwoche

Zum achten Mal ging von 13. bis 22. September die Wienwoche heuer über die Bühne – Motto: „Bitches & Witches“. Mosaik-Redakteurin Barbara Stefan war in einem Gemeindebau am Wienerberg. Der dortige Waschsalon bot einer Vielzahl an Installationen zum Thema Sorgearbeit Platz.

„Was ist das da?”, fragen zwei zehnjährige Buben, die in die Waschhalle stürmen. „Hast du eine Mama?“, antwortet Maja, die während der Veranstaltung die Kinderbetreuung übernommen hat. “Ja”, antworten die Kids. „Und putzt sie dein Zimmer?“, fragt Maja. „Ja“, antworten die zwei. „Ist das Arbeit?“ fragt Maja weiter. „Hm, ja“, antworten die Buben erneut leicht zögernd. „Und ist diese Arbeit bezahlt?“ Die beiden Kinder überlegen kurz, dann ruft der eine: „Nein.“ Der andere: „Naja, der Papa…“ Maja entgegnet: „Na siehst du? Das ist das hier.“

Sorge am Wienerberg

Im ehemaligen Waschsalon eines Wiener Gemeindebaus am Wienerberg im zehnten Bezirk werden in performativen, partizipativen, installierten „care stations” die Perspektiven von 17 KünstlerInnen auf (un)sichtbare (un)bezahlte weibliche* Reproduktionsarbeit präsentiert, die sie sich in gemeinsamer Lektüre, Exkursionen und Diskussionen mit geladenen Gästen erarbeitet haben. „I know I care“ ist der Titel der Veranstaltung. Der Veranstaltungsort ist kein Zufall – der Waschsalon ist ein Beispiel für die experimentellen Neuerungen im kommunalen Wohnbau des Roten Wien. Sie versuchten, Leben und Arbeit zu verändern und zu erleichtern. Doch vermochten sie es auch die Rolle weiblicher* Arbeitskraft in Frage zu stellen?

Unter dem Dach der Wienwoche, die dieses Jahr unter dem Titel „Bitches & Witches“ läuft, greifen sie in ihre performativen, kollaborativen und partizipativen Installationen das Thema Sorgearbeit auf. Das Konstrukt der Schlampe und der Hexe diente unter anderem dazu, revolutionäre, nonkonforme Ideen, Gedanken und Praktiken zu verurteilen, auszugrenzen, zu diskriminieren, zu verbannen oder zu töten, um so Frauen nicht zuletzt in die marginalisierte und isolierte Rolle der Fürsorgerin zu zwingen, deren Bedürfnisse, Menschlichkeit, Stimme, Gesundheit und Sexualität ignoriert wurde.

Spielzeuglärm in Dauerschleife

Neben den BesucherInnen der Wienwoche zog das Projekt vor allem auch BewohnerInnen des Gemeindebaus an. „Ich wohne hier seit 21 Jahren”, sagt eine der Besucherinnen zu mir. „Der Raum ist wirklich sehr gut, er sollte nur renoviert werden. Dann könnten wir ihn auch für Parties, Geburtstage und Hochzeiten nutzen.” Sie zeigt auf eine Installation von Lara Erel, Cosima Baum, Franziska Schindler und Inge Wurzer in der Mitte des Raumes, das eine Art Zelt darstellt und, das aus zusammengenähten Röcken besteht.

Darin sind zwei Arbeitsplätze mit Nähmaschinen installiert. Der zusammengenähte Stoff, der nun als Wand und Dach fungiert, suggeriert Schutz, den wir hinter dem Rock der Mutter suchen oder Sicherheit, wenn wir an ihrem Rockzipfel hängen, während sie sich in unbezahlter Reproduktionsarbeit oder schlechtbezahlter Produktionsarbeit verausgabt. Gleich daneben steht ein Tipi, ebenfalls aus Röcken genäht, in das  man sich legen kann, um in geschützter Atmosphäre die Alltagsklänge eines Haushaltes mit Kindern genießen kann, das eine Dauerbeschallung aus Geschrei und Spielzeuglärm darstellt. Die Besucherin deutet auf diese Installationen und sagt: „Ich bin auch Schneiderin von Beruf. Sehr schön sind sie. Beim nächsten Mal kann ich ihnen helfen.”

Ein Glaserl Muttermilich

„Wollen Sie vielleicht ein Glas Muttermilch?”, fragt mich Lara Erel, eine der KünstlerInnen, die gerade an der installierten Milchbar steht. „Sehr gerne“, antworte ich. „Mhm, sehr erfrischend. Danke schön.“

„Musik gibt’s auch da. Super!“, sagt eine von zwei Frauen mit Hunden. Im Hintergrund ist  „the ultimate cleaning list“ zu hören – eine Playlist aus Liedern, die Leute gerne beim Putzen hören und singen (wenn sie nicht schreien). „Ich wohne seit 31 Jahren da“, sagt die eine. „Ich bin hier geboren“, sagt die andere. „Letzten Dienstag ist hier auch schon was passiert. Und nächsten Dienstag gibt es wieder was.“

Die Milch schlemmend schaue ich auf ein Video von Olya Shapovalova, in dem zwei orangene Handschuhe, die an einem unsichtbaren Körper hängen, Badewanne, Herd, Tisch und Wohnung putzen. Nach getaner Arbeit zieht der unsichtbare Körper die Handschuhe aus. Er erscheint im Kleid und stellt Blumen auf den Tisch. Eine andere Besucherin sagt: „Reproduktionsarbeit ist so wichtig. Unbezahlte Arbeit sollte endlich sichtbar werden.“

Deutliche Ergebnisse

Um genau jene unbezahlte Arbeit sichtbar zu machen, hat Tiana Wirth eine Umfrage zum Aufhängen an der Wäscheleine gestaltet, in welcher BesucherInnen ihre Zeit für unbezahlte Reproduktionsarbeit, ihre bezahlte Lohnarbeitszeit, geteilte Arbeitszeit sowie fehlende Stunden, die man sich mehr an Zeit für sich selbst wünscht, dazu das Geschlecht. Die Ergebnisse sind deutlich…

Ich gehe weiter zum „Haus der Fürsorge“. Das Modell von Swantje Höft, zeigt ein kleines Gebäude, das mit sehr viel Liebe zum Detail gebaut wurde. Swantje erzählt, dass sie sich solch ein Haus für jeden Bezirk wünscht. Im Keller befindet sich ein Raum zum kollektiven Bluten, wo man bei Sauna und Schwimmbecken gemeinsam über die Tage der Menstruation entspannen kann. ArbeitgeberInnen sollten Frauen an diesen Tagen freigeben. Hygieneartikel gibt es dort umsonst. Im Gebäude befindet sich außerdem eine feministische Bibliothek und ein Lernraum zur Weiterbildung, Schlafplätze für obdachlose Frauen, ein Kost-Nix-Laden, eine Tauschbörse, 24h-Kinderbetreuung und nicht zuletzt ein Streikbüro, von wo aus effektive Frauenstreiks geplant werden sollen, um auch noch die letzten Etappen zur Gleichberechtigung zu schaffen.

In einer kostenlosen Beratungsstelle vor Ort, die auch Teil des Fürsorgehauses sein könnte, bietet Maria Sokolova nach einem Interview Psychoanalyse mit konkreten Lösungsvorschlägen. Beispielsweise geht es auch darum, Hausfrauen mit niedrigem Selbstwertgefühl zu vermitteln, wie man die eigene Arbeit und sich selbst wieder höher bewertet, um so auch wieder mehr Selbstbewusstsein zu erlangen.

Harte Arbeit

Gleich daneben eine weitere Videoinstallation, in welcher Sexarbeiterinnen in Mazedonien von ihren täglichen Übergriffen, (Gruppen-)Vergewaltigungen, von physischer und psychischer Gewalt, von Freiheitsentzug seitens der Polizei und von Kunden berichten. Die Tatsache, dass sie ihren Lohn mit Sexarbeit verdienen, dient als Grundlage, ihnen ihre Menschlichkeit und damit ihre Rechte als Menschen abzuerkennen.

Am Ende des Raumes sticht eine grüne Abwasch ins Auge. Eine Installation der Projektleiterin Jelena Micić. „Wie von vielen Frauen aus dem ehemaligen Jugoslawien war auch mein erster Job Putzfrau.” erzählt sie. „Ich habe für unterschiedliche Unternehmen gearbeitet. Eines davon hat mich in einen Kurs geschickt, wo man sich im Putzen weiterbildet und am Ende ein Zertifikat erhält. Rot steht für Klo, Grün für Küche, Gelb für Bad und Blau für Büro.

Unser Gespräch wird von einer Performance von Željka Aleksić uand Sladica Aleksić, unterbrochen. Zwei Generationen Frauen in schwarz gekleidet versuchen mit dem Daumen kurz abwechselnd Zeige-, Mittel, Ring- und kleinen Finger anzutippen. Eine Übung, die sie vom Arzt empfohlen bekamen. Aufgrund der jahrelangen Lohnarbeit als Putzkraft und Verkäuferinnen leiden sie unter schweren körperlichen Beeinträchtigungen. Eine der Performerinnen beginnt zu weinen. Ihre Hände verkrampfen, die schwere körperliche Tätigkeit hat ihre Gesundheit geraubt.

Fotos: Anahita Asadifar

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