„Was mit den Rapid-Fans gemacht wird, kann bald andere treffen“

Am Sonntag hielt die Polizei über 1.300 Rapid-Fans, die ins Stadion wollten, stundenlang in gefährlicher Lage fest. Helmut Mitter von der Rechtshilfe Rapid vermutet dahinter eine bewusste Eskalationsstrategie des FPÖ-Innenministeriums.

Am Montagabend ist Helmut Mitter wieder zu Scherzen aufgelegt. „Mittlerweile bin ich entspannt. Das Telefon läutet nur mehr alle zwei Minuten.“ Mitter ist Sprecher der Rechtshilfe Rapid, eines von Fans geführten Vereins, der anderen bei Bedarf juristisch beisteht. Dementsprechend ernst ist der Anlass der vielen Anrufe.

Die Telefone der Rechtshilfe Rapid glühen nicht wegen der historischen Niederlage gegen den Lokalrivalen Austria Wien (6:1), sondern weil 1.338 Rapid-Fans gar nicht erst ins Stadion kamen. Die Polizei setzte sie auf dem Weg dorthin an einer Engstelle über der Südost-Tangente fest. Angeblich hatten zuvor einige von ihnen Gegenstände – in einem Video sind Schneebälle zu sehen – auf die Autobahn geworfen.

Für Helmut Mitter sind die Wurfgeschoße nur ein Vorwand. Der Polizeieinsatz sei von langer Hand geplant gewesen, sagt er im Gespräch mit Valentin Schwarz – und vermutet einen politischen Hintergrund. Unstrittig ist das Ergebnis der Aktion: Von den 1.338 Personen wurden nach Durchsuchungen und Identitätsfeststellungen eine angezeigt und eine weitere verwaltungsrechtlich festgenommen.

Wie war die Situation im Inneren des Polizeikessels?

Die Polizei hat die Leute, darunter auch Kinder, an einem schmalen Pfad zwischen einem Firmengebäude und der Autobahn gestoppt. Dort mussten sie eng gedrängt stehen bleiben (siehe Foto oben, Anm.). Der Wiesenboden war wegen des Schnees so schlammig, dass man sich nicht hinsetzen konnte. Es hatte minus zwei Grad. Warme Getränke oder Essen gab es nicht, auf die Toilette durfte auch niemand gehen. Das ist gerade für Frauen ziemlich erniedrigend. Zum Glück ist es zu keiner Panik gekommen, sonst wären wohl Menschen auf die Autobahn gestürzt.

Lange Zeit wurden die Fans nicht einmal darüber informiert, was los ist. Erst nach einer Stunde begann die Polizei mit der eigentlichen Amtshandlung. Einer nach dem anderen mussten sich die Fans ausweisen, durchsuchen und fotografieren lassen. Danach durften sie gehen – aber nicht ins Stadion, für das sie ein Ticket hatten. Das hatte die Polizei zur Sicherheitszone erklärt und alle Rapid-Fans weggewiesen. Die letzten kamen erst nach rund sieben Stunden frei.

Wie kam es dazu, dass die Fans überhaupt so einen gefährlichen Weg – sehr eng, unsicherer Boden, über der Autobahn – entlanggingen?

Wir haben die Route von Anfang an kritisch gesehen. Aber die Behörde hat sie so festgelegt – wie übrigens bei früheren Spielen auch schon.

Die Polizei verlautbarte anfangs, Rapid-Fans hätten pyrotechnische Gegenstände, Flaschen, Dosen und Schneebälle auf die Fahrbahn geworfen. In einer späteren Aussendung ist nur noch von einer per Funk durchgegebenen „Wahrnehmung von Bewurf des Fahrzeugverkehrs“ die Rede. In einem Video ist zu sehen, dass Schneebälle fliegen, während unten Autos fahren. Auch das ist ziemlich gefährlich.

Wir können nicht verifizieren, ob etwas runtergefallen ist und in welchem Zusammenhang. Wir haben jedenfalls keine Dosen, Flaschen oder Pyrotechnik gesehen. Die Schneebälle sind natürlich ein No-Go. Ob sie es rechtfertigen, so viele Leute auf so gefährliche Weise festzuhalten, bezweifle ich. Das ist völlig unverhältnismäßig.

Die Rechtshilfe Rapid hat es als „bewusste Falschmeldung“ der Polizei bezeichnet, dass die Rapid-Fans für die Sperre des Verkehrs verantwortlich gewesen seien. Nach der Veröffentlichung des Videos habt ihr das korrigiert.

Unser Tweet basierte auf den Aussagen von zahlreichen Fans uns gegenüber. Es geht dabei nur darum, ob die Straße ein paar Momente früher oder später gesperrt wurde. Meiner Meinung nach ist etwas anderes viel wichtiger:

Wenn die Polizei die Route so eng an die Autobahn legt, muss sie diese sowieso sperren und dafür sorgen, dass die Fans so schnell wie möglich vorbeikommen. Passiert ist das Gegenteil. Wenn die Rapid-Fans so wild sind und den Verkehr gefährden, warum hält die Polizei sie dann stundenlang genau über der Fahrbahn fest und lässt die Autos wieder fahren? Da stimmt doch was nicht.

Ihr werft der Polizei noch weitere Falschmeldungen vor. Welche?

Da gibt’s eine ganze Liste. Die angeblich geworfene Pyrotechnik, die im Video nicht zu sehen ist, hast du schon angesprochen. Die Polizei behauptet auch, dass die Wartenden mit Heißgetränken und Decken versorgt worden wären. Das ist nicht passiert, wie uns freigelassene Fans bestätigt haben. Als Menschen kollabiert sind und die Rettung gekommen ist, hat die Polizei sie wieder weggeschickt – mit der falschen Begründung, die Betroffenen würden von Polizeisanitätern versorgt. Mich schockieren diese Lügen. Wenn ich dem Staat nicht mehr glauben kann, wo leben wir dann?

Viele Fans sehen den Einsatz als Rache für das Match letzten Donnerstag. Der Block West hat da tausende Zettel hochgehalten, die zusammen die Abkürzung 1312 zeigten, was für ACAB, also All Cops Are Bastards steht. Was sagst du zu dieser Theorie?

Das wäre ein Riesenskandal. Eine Behörde darf sich nicht rächen. Sie muss immer nachvollziehbar agieren, sonst kann der Rechtsstaat nicht funktionieren. Aber das wird sich ohnehin nie beweisen lassen, auch wenn der zeitliche Zusammenhang auffällig ist.

Ihr schreibt von Hinweisen, dass die Polizei dieses Vorgehen schon tagelang geplant habe. Welche sind das?

Zum einen der Grad an Vorbereitung. Die Polizei hatte zig Kameras bereitstehen, stapelweise Zettel mit Wegweisungen für alle festgehaltenen Fans und der Verfassungsschutz war da. Ist das normal, wenn man Fans zum Stadion begleitet?

Auch einige Tage zuvor, bei der Sicherheitsbesprechung für den Marsch, haben Polizisten angedeutet, dass sie auf eine neue Strategie setzen. Die Rapid-Fans könnten das Spiel nicht zu sehen bekommen, haben sie gesagt.

Warum sollte die Polizei das absichtlich tun?

Das war eine bewusste Eskalation, um harte Maßnahmen zu rechtfertigen. Wir kennen dieses Muster, seit Herbert Kickl (FPÖ) Innenminister ist. Nehmen wir das Thema Pyrotechnik im Stadion. Das war lange umstritten, dann gab es eine Einigung aller Beteiligten: Die Fackeln werden nur an behördlich genehmigten Zonen mit Sicherheitsvorkehrungen gezündet.

Obwohl es nie Zwischenfälle gab, hat Kickl die Regelung aufheben lassen. Das hat viele geärgert. Als Reaktion hat jemand im Block ein Anti-Kickl-Banner gezeigt. Noch am selben Tag hat ihn der Verfassungsschutz daheim besucht! Auch da hat der Innenminister bewusst eine Eskalationsspirale in Gang gesetzt. Gegen Kickl waren Sobotka und Mikl-Leitner eine Wohltat! Das sagt alles.

Was könnte das Ziel einer solchen Strategie sein?

Sie soll den Menschen vorgaukeln, dass sie nicht sicher wären. Dann lassen sie sich leichter einreden, dass die Gesetze verschärft, dass alles verboten werden muss. Ein mittelfristiges Ziel könnte die Einschränkung der Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit sein. Man muss sich nur anschauen, wie Strache auf die Anti-Regierungs-Demo am Samstag reagiert hat.

Es gibt die Theorie, dass die Polizei an Fußballfans ausprobiert, was sie später auf andere Gruppen ausweitet. Ein Beispiel dafür ist der sogenannte Landfriedensbruch, nach dem jemand verurteilt werden kann, der selbst keine Straftat begangen hat, aber am falschen Ort war. Dieser Paragraf wurde zuerst gegen Rapid-Fans eingesetzt, dann auch gegen einen Teilnehmer an der Demo gegen den Akademikerball. Was sagst du dazu?

Ich bin überzeugt, dass das, was heute mit Rapid-Fans gemacht wird, bald viele andere treffen kann. Die Befugnisse der Polizei wurden zwanzig Jahre lang nur ausgeweitet. Jetzt nützen sie ihren Spielraum aus und verschieben die Grenzen des Akzeptierten. Leider erkennen das viele nicht, die es auch treffen könnte, zum Beispiel kritische JournalistInnen.

Warum ist das so?

Die Rapid-Fans bieten natürlich viel Angriffsfläche. Sie sind laut, unbequem und schroff. Auch linke, bürgerliche JournalistInnen schauen deshalb auf die „Rapid-Proleten“ herab.

Das gilt auch für viele andere Menschen, die sich als links oder fortschrittlich verstehen. Gerade im urbanen Raum haben sich viele im eigenen Kosmos eingeigelt. Es ist ihnen egal, wenn andere auf die Pappn kriegen, die sie ungehobelt finden, auch wenn sie die gleichen politischen Ziele verfolgen. Das gegenseitige Verständnis ist verloren gegangen. Das ist auch der Grund, warum die Sozialdemokratie viele ArbeiterInnen nicht mehr erreicht.

Was für politische Ziele sind das, die urbane Linke und Fußball-Fans teilen?

Beide sind gegen den Polizeistaat und autoritäre Politik. Es mag viele überraschen, aber unter den Rapid-Fans wird immer öfter diskutiert, dass beim angeblichen Kampf gegen den Terror oder den politischen Islam letztlich uns allen Rechte weggenommen werden.

Die Rapid-Fans sind eine Randgruppe – und jede Minderheit braucht eine Politik, die ihr die Freiheit gibt, zu existieren. Die Mechanismen, die uns unterdrücken, sind die gleichen.

Helmut Mitter ist Aktivist der Rechtshilfe Rapid.

Interview: Valentin Schwarz

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