Das Spiel zwischen den USA und Frankreich ist der vorläufige Höhepunkt der WM. Nicole Selmer spricht im Interview über ihre Erwartungen an das Match und die politischen Verhältnisse im Frauenfußball.
Seit zweieinhalb Wochen läuft die Fußball-Weltmeisterschaft in Frankreich. Heute um 21:00 steigt das zweite Viertelfinale zwischen den USA und Frankreich. Für viele ExpertInnen treffen damit die zwei besten Mannschaften des Turniers aufeinander. Auch US-Kapitänin Megan Rapinoe freut sich darauf: „Das sind die Spiele, von denen man als Kind träumt.“
Auch Nicole Selmer freut sich darauf. Sie ist Teil des Podcast-Kollektivs „Frauen reden über Fußball“ und stellvertretende Chefredakteurin des Fußballmagazins ballesterer. Im Interview spricht sie über die sportliche Entwicklung, Megan Rapinoe und die Kämpfe der Spielerinnen.
Mosaik: Beginnen wir mit dem Sportlichen. Hältst du es für vorstellbar, dass die USA nicht Weltmeisterinnen werden?
Nicole Selmer: Sicher ist es vorstellbar. Sie sind schlagbar, das hat man im Achtelfinale gegen Spanien gesehen. Aber es wurde auch deutlich, wie viel Erfahrung sie haben und wie eingespielt sie sind.
Was macht sie so stark?
Sie spielen alle in der US-amerikanischen Liga. Das ist nicht nur ein Vorteil, weil sie auch bei ihren Teams unter ähnlichen Bedingungen arbeiten. Die Liga in den USA ist die beste der Welt. Die Konkurrenz ist höher als in den europäischen Ligen, wo es jeweils nur einige starke Teams gibt. Dort tut sich auch was, aber noch gibt es eine Kluft.
Wie schätzt du das Niveau bei der WM ein?
Es hat sich auf alle Fälle gesteigert. Man merkt, dass sich in letzter Zeit sehr viel im Frauenfußball getan hat. In Spanien, England, Frankreich und teilweise auch in Italien ist in den letzten Jahren in den Sport investiert worden. Und dadurch gibt es auch taktische Entwicklungen.
Was meinst du damit?
Die kleinen Teams stehen sehr gut. Es ist natürlich leichter, sich hinten reinzustellen, aber auch das muss man erst einmal umsetzen. Es ist den Favoritinnen in der Gruppenphase sehr schwer gefallen, Tore zu schießen. Das Spiel der USA gegen Thailand ist da die Ausnahme, aber Teams wie Chile, Jamaika, Argentinien und Kamerun, die ja auch aufgestiegen sind, haben ein super Turnier gespielt.
War die Aufstockung auf 24 Teams also der richtige Schritt?
Ich glaube schon. Manche Teams haben damit eine Bühne, die sie sonst einfach nicht bekommen hätten. Das ist im Frauenfußball auch noch einmal etwas Besonderes, weil es Funktionärinnen gibt, die seit Jahrzehnten gegen den Widerstand ihrer Verbände kämpfen. Ohne diese Leute würde es in manchen Ländern keine Nationalmannschaft geben. Jamaika ist dafür das beste Beispiel. Der nationale Fußballverband hat 2008 das Nationalteam einfach eingespart. Ohne unermüdliche private Initiative gerade von Cedella Marley würde es heute keines geben. Jetzt waren sie bei der WM und haben im letzten Spiel ein Tor geschossen. Das war der Wahnsinn, da sind Lebensträume in Erfüllung gegangen.
Ohnehin äußern sich viele Spielerinnen politisch. Woran liegt das?
Sie mussten ihre ganze Karriere über Kämpfe führen. Den Verbänden lag über Jahrzehnte hinweg nichts daran, den Frauenfußball zu fördern. Noch immer bekommen sie viel weniger Geld als die Männer und nicht annähernd so viel Unterstützung. Die Spielerinnen wissen, dass sie kämpfen müssen, wenn sie ernst genommen werden wollen.
Megan Rapinoe, deren Satz „I’m not going to the fucking White House“ um die Welt ging, ist dafür das beste Beispiel, oder?
Ja, aber sie ist nicht die einzige. Ada Hegerberg, eine der besten Fußballerinnen der Welt, nimmt aus Protest gegen die schlechtere Bezahlung des norwegischen Nationalteams nicht an der WM teil. Die Schwedin Nilla Fischer ist eine prominente Kämpferin gegen Homophobie und hat quasi im Alleingang Regenbogenfarben bei ihrem bisherigen Klub, dem VfL Wolfsburg, eingeführt. Wohlgemerkt, bei allen Mannschaften, auch den Männern. Marta aus Brasilien hat deutsche JournalistInnen darauf aufmerksam gemacht, dass sie jetzt genauso viele Tore bei Weltmeisterschaften wie Miroslav Klose erzielt hat – inzwischen übrigens eins mehr. Sie hat gefragt, warum sie dazu nicht befragt wird. Das sind tolle Aktionen, die die prominentesten Spielerinnen der Welt setzen. Bei den männlichen Kollegen ist man ja schon froh, wenn sie vage Statements für Respekt und Toleranz machen.
Zuletzt war die gleiche Bezahlung der Fußballerinnen Thema. Du hast auf Facebook geschrieben, dass es bemerkenswert ist, dass niemand darüber spricht, dass die Verbände Entschädigung zahlen sollten. Was meinst du damit?
Eine Freundin von mir, Niki Staritz von Fairplay, hat das auf einer Podiumsdiskussion während der EM 2017 gesagt, und das war sehr einleuchtend. Die Fußballverbände sind gemeinnützige Vereine, deren Aufgabe es, den Fußball zu fördern. Tatsächlich haben sie es aber Frauen in vielen europäischen Ländern über Jahre verboten, auf ihren Plätzen und in ihren Vereinen Fußball zu spielen. Das hat der DFB genauso getan wie der ÖFB. Das widerspricht doch völlig der Satzung. Aber eine Entschädigung steht überhaupt nicht zur Debatte, ich bin mir nicht einmal sicher, ob sich die Verbände jemals entschuldigt haben.
Nach Martas Rekord, den du angesprochen hast, gab es eine Debatte darüber, ob Frauen- und Männerfußball derselbe Sport seien. Erst vor zwei Wochen haben Cathrin Gilbert und Philipp Köster einen Kommentar geschrieben, in dem sie argumentieren, dass es doch besser wäre, Frauenfußball auf kleineren Spielfeldern zu spielen. Woher kommen diese Überlegungen?
Die Debatte wird seit Jahrzehnten geführt. Vielleicht macht diese WM manchen Angst. Sie ist in den Medien ein großes Thema, manche Zeitungen haben sich dafür entschieden, das Turnier nicht Frauen-WM, sondern einfach nur WM zu nennen. Den angesprochenen Kommentar würde ich als Teil einer Gegenbewegung zu diesem Trend sehen. Nach dem Motto: Den echten Fußball spielen aber schon nur Männer. Aber diese Differenzierung ist doch willkürlich. Wenn ich mir die Halbfinalspiele der Champions League anschaue und die 2. Liga in Österreich ist das Niveau doch auch ein anderes. Aber niemand kommt auf die Idee, dass das ein anderer Sport ist.
Das Interview führte Moritz Ablinger.
Podcast-Tipp: FRÜF („Frauen reden über Fußball“) ist ein Podcast-Kollektiv. Frauen sprechen dort über Fußball, der für sie mehr ist als nur ein Sport. In diesem Jahr gegründet, gibt es mittlerweile vier Folgen und zwei Bonusausgaben.