Repression abseits der Straße: Der Polizeieinsatz am “Akademikerball” 2015

Geht man von ihren eigenen Handbüchern aus, hat die Polizei heuer viel richtig gemacht. Sie hat gemäßigt agiert, Polizeigewalt weitgehend vermieden und das Protestereignis ziemlich unter Kontrolle gehabt. Repressiv ist ihr Vorgehen trotzdem, betrachtet man die von ihr rechtlich gesetzten Schritte rund um den Protest.

Dieses Jahr ist es beim Akademikerball weitgehend friedlich geblieben. Die im Vorfeld von manchen Medien und Parteien heraufbeschworenen „Gewaltexzesse“ sind ausgeblieben. Nicht nur verhielten sich die Demonstrierenden im Vergleich zum Vorjahr gemäßigt. Auch die Polizei wartete auf der Veranstaltung mit ungewohnter Zurückhaltung auf. Während diese für ihren Einsatz im letzten Jahr scharf kritisiert wurde und sich den Vorwurf gefallen lassen musste, sie sei unverhältnismäßig und übertrieben gewaltsam vorgegangen, so kann davon heuer, von einzelnen Vorfällen abgesehen, keine Rede sein.

Kaum Kessel, kaum Pfeffersprayeinsätze

Im Gegensatz zu den letzten Jahren kam es weder zu Polizeikesseln, noch zu großen Schlagstock- und Pfeffersprayeinsätzen. Zur Seite gestellte Schilde, hochgeklappte Visiere und abgenommene Helme sollten vielerorts friedfertige Stimmung signalisieren. Anstatt Kessel zu bilden, löste die Polizei ungewollte Protestdynamiken eher mittels durchlässiger Polizeiketten auf. Ansammlungen von „StörerInnen“ wurden nicht festgesetzt, sondern nur zerstreut. Mit massiver Polizeipräsenz, der Zurschaustellung von Wasserwerfern und dem Einsatz einer maulkorbbestückten Hundestaffel schien sie vor allem auf die abschreckende Kraft der Inszenierung ihres Gewaltpotenzials gesetzt zu haben.

Twitter statt Pfefferspray – zumindest ein Stück weit schien das der interne Leitspruch der Polizei für die Demonstration gewesen zu sein. In der Kriminalsoziologie konnte nachgewiesen werden, dass deeskalatives Vorgehen der Polizei tendenziell dazu führt, dass sich auch die Demonstrierenden eher gewaltfrei verhalten. Vielleicht besteht ja auch für den hier behandelten Einsatz ein Zusammenhang.

Twitter statt Pfefferspray – wirklich?

Die Polizeistrategie deshalb als generell versammlungsfreundlich und deeskalativ einzustufen, wäre jedoch verkürzt. Der Protest gegen den Akademikerball gehört zu jenen Demonstrationen, die, da sie nicht von Gewerkschaften oder anderen etablierten Interessengruppen angemeldet werden, von der Polizei eher als Bedrohung denn als Grundrechtsausübung wahrgenommen wird.

Dazu kommt, dass die Polizei bei Protesten mittlerweile stark präventiv ausgerichtet ist: Im Vordergrund steht nicht mehr das bloße Reagieren auf Straftaten, sondern der Versuch, Straftaten und Gefahren zu verhindern, noch bevor sie passieren. Die präventive Logik legt es dabei nahe, sich stets am Worst Case zu orientieren – denn nur so kann man für alle Eventualitäten gerüstet sein.

Der konkrete Verdacht auf persönlich zurechenbares und tatsächlich strafbares Handeln tritt als Voraussetzung für polizeiliches Handeln immer stärker in den Hintergrund. Stattdessen spielen für den Umgang mit Versammlungen immer öfter auch diffuse Einschätzungen eine Rolle. Strafrechtlich nicht verbotene Alltagsgegenstände wie etwa Sturmhauben können da schon mal zu gefährlichen Gegenständen und damit zu Indizien für besondere Gefahrenlagen mutieren. Massive – auch rechtswidrige – Einschränkungen der Versammlungsfreiheit und die mediale Vorfeldkriminalisierung von VersammlungsteilnehmerInnen sind die Folge. Und das wiederum kann auch eskalierende Wirkung haben.

Einschränkung der Versammlungsfreiheit

Verbote und Beschränkungen der Versammlungen im Vorfeld des Protests sind denn auch wie im Vorjahr kennzeichnend. Nach wie vor betrifft das die Größe der Sperrzone, die in diesem Jahr schon fast als Normalität galt. Da diese die Hofburg großzügig umgrenzte, wurde ein Protestieren in Hör- und Sichtweite des Protestanlasses für einige der angemeldeten Demonstrationen unmöglich gemacht. Immerhin war dieses Jahr wieder eine Kundgebung auf dem Heldenplatz möglich. Sie war im Jahr zuvor verboten worden, da sie in der polizeilich definierten Sperrzone lag. Dennoch wurden auch heuer wieder Demonstrationen und Kundgebungen verboten. Busse mit anreisenden Demonstrierenden aus anderen Teilen Österreichs wurden zu anlasslosen und damit rechtswidrigen Identitätsfeststellungen festgehalten und so zeitweise vom Ort des Protests ferngehalten. Busse aus anderen Ländern wurden rechtswidrig am Weiterfahren gehindert, nicht zum Protest durchgelassen und sogar zur Grenze zurückgeschickt.

Einschränkung von Grundrechten durch diffuse Strafrechtsparagraphen

Nicht anders als im letzten Jahr bediente sich die Polizei zudem auch heuer nicht allein des Sicherheitspolizeigesetzes, sondern zusätzlich besonders diffuser Strafrechtsparagraphen. Damit wechselt sie zu einem weitaus stärker in BürgerInnenrechte eingreifenden Befugnis- und Maßnahmen-Repertoire, das im Recht eigentlich stets nur das allerletzte Mittel darstellen sollte. War es im Jahr 2014 der Landfriedensbruch – wir erinnern uns an den damit prominent verbundenen Fall Josef S. –, so ist es diesmal eine Anzeige wegen Verdachts auf Bildung einer kriminellen Organisation nach § 278a gegen unbekannte Personen des NoWKR-Spektrums pünktlich zum Protesttag.

Wie auch der Landfriedensbruch interessiert sich der § 278a keineswegs nur für strafrechtliche Belange – was ihn besonders anfällig für Fehler und Willkür, und manchmal sogar für politische Unbotmäßigkeit macht. Er gehört zur Sorte der Vorbereitungsdelikte und richtet sich deshalb auch auf Sachverhalte, die für sich genommen strafrechtlich bedeutungslos sind. Nicht nur Verdachtsmomente, sondern schlichtweg Szenezugehörigkeiten können hier dazu führen, ins polizeiliche Raster zu geraten. Dazu zeigt der Einsatz des Strafparagraphen, dass er zumeist gar nicht zur Straftatenverfolgung genutzt wird sondern dazu, politisch aktive Gruppen auszuforschen.

Es muss deshalb angenommen werden, dass die Polizei sich mit der Anzeige eine Grundlage geschaffen hat, um weit über den engeren Kreis der im NoWKR-Bündnis Aktiven hinaus DemonstrationsteilnehmerInnen auszuforschen. Auch ist zu vermuten, dass die Anzeige auf Grundlage des §278a dazu dienen soll, Demonstrierende einzuschüchtern. Man denke nur an die angeblich 500 anhängigen Ermittlungsverfahren wegen Landfriedensbruch gegen Unbekannt aus dem letzten Jahr, von denen bis heute, soweit bekannt, lediglich zwei vor Gericht kamen – dies waren die höchst umstrittenen Fälle von Josef S. und Hüseyin C.

Alles wie gehabt?

Auch wenn die Fortschritte der Polizei im Bereich Deeskalation auf der Veranstaltung selbst anerkennend hervorzuheben sind: Mit den beschriebenen rechtlichen Maßnahmen rund um den Protest führt die Polizei ihre Linie der Einschränkung der Versammlungsfreiheit, der Vorfeldkriminalisierung und der Ausforschung politisch aktiver Milieus fort – wenn auch diesmal stärker hinter den Kulissen. Der Polizeieinsatz wirft damit weiterhin ein fahles Licht nicht nur auf das Rechtsstaats-, sondern auch auf das Demokratieverständnis der Exekutive. Zumindest im Nachhinein wird über die Frage der Rechtmäßigkeit verschiedener Untersagungen und Festsetzungen noch juristisch gestritten werden.

 

Andrea Kretschmann ist Soziologin und Kriminologin an der Universität Bielefeld und beschäftigt sich unter anderem mit Polizeiforschung. Aktuell arbeitet sie an einem Projekt zum Thema Polizeimonitoring.

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