Zum Tod von Stefan Weber: Lederhandschuh, Schnurrbart – 1 roter Stern, extrahart

Er war nie ein Boring Old Fart, ist aber trotzdem gestorben. Ein persönlicher Nachruf auf den Künstler, Musiker und Revolutionär von mosaik-Redakteur Martin Birkner.

Ende der 80er-Jahre: Vier Buben aus der niederösterreichischen Provinz bereiten sich auf ein Konzert in der Hauptstadt vor. Angefaulte Äpfel und Birnen werden behutsam in Plastiksäcke verpackt und tagelang in die Sonne gelegt, vergammelter Quargelkäse reift am sonnenbeschienenen Fensterbrettl für seinen Einsatz. Müffelndes Bundesheer-Tarngewand wird mit anarchistischen und anderen linksradikalen Symbolen geschmückt. Alles für den großen Tag: Drahdiwaberl live!

Als die Hells Angels-Ordner beim Eingang unsere Taschen kontrollieren, sind sie weniger schockiert als freundlich erstaunt über deren Inhalt und winken uns lachend durch. Ein Drahdiwaberlkonzert stand eben für Grenzüberschreitung, und warum, so fragten wir uns, soll das allein für die Akteur_innen auf der Bühne gelten?

Und so warfen wir aus der dritten Reihe Obst und verfaulten Käse auf Stefan Weber und Co, die uns das freudig erregt mit Schweinsleberfetzen und Schlagobers vergalten. Auf der Bühne totales Chaos, viel (nacktes) Fleisch, viele Körpersäfte, Mehl, Rauch, Feuer. Mulatschag, ein Mordskater und blaue Flecken inklusive. Keine Ahnung, wie wir wieder nachhause gekommen sind.

Musikalischer Fixpunkt der radikalen Linken 

Drahdiwaberl waren für junge rebellische Linke dieser Zeit ein fixer Bezugspunkt. Wem, wie mir, die Proletenpassion zu traditionalistisch und Sigi Maron zu liedermacherisch war, dem fiel im hiesigen Musikbetrieb die Wahl nicht schwer. Klar, direkt, radikal, ja grenzüberschreitend – Herz, was willst du mehr? Stets bezugnehmend auf aktuelle politische Skandale, aber auch Bewegungen, ständig bestrebt, die Grenzen des guten bürgerlichen Geschmacks zu überschreiten. Und im Gravitationszentrum des beständig unbeständigen Kollektivs (Falco! Heli Deinböck!! Jazz Gitti!!!) ein Berserker; ein mit Klobürste, Hammer und Sichel, Nietenjacke und Dildos bewehrter Schizopunk, ein Zeichner, ein Zeichenlehrer, ein Professor: Stefan Weber.

Als antiintellektueller organischer Intellektueller zielsicher am politischen Puls der Zeit, sich prinzipiell nix scheissend um theoretische Moden oder politische Korrektheit, immer aber klar gegen die herrschenden Zustände anschrei(b)end. Vielleicht war ein Drahdiwaberlkonzert deshalb eines der seltenen Momente, wo „ganz normale“ Prolos, universitäre Linke und subkulturell sozialisierte Szeneleute zu einer Multitude im widerständigen Rausch verschmolzen. Für mich, für uns war das „Schulschluss-Openair“, stets als das für alle Zeiten letzte der Band angekündigt, lange ein Fixpunkt des Konzertjahres.

Land der Krone, Land des Staberl, Land der Gruppe Drahdiwaberl

Musikästhetisch fiel Drahdiwaberl bei mir bald unter ein ähnliches Verdikt wie die oben genannten Schmetterlinge. In den 90ern interessierte ich mich mehr für Indierock und Britpop, die rockopernhafte Inszenierung der „Waberln“ mit ihrer hard-artrockigen Musikästhetik wurde mir zunehmend fremd. Und dennoch: Keine andere Band hierzulande schaffte es, ihren politischen Anspruch musikalisch (und theatralisch) so glaubhaft auf die Bühne zu bringen wie Drahdiwaberl.

Wenn auch im Post-1989-Zeitalter des ausgerufenen „Endes der Geschichte“ der Glaube an die politische Wirksamkeit von Kunst zunehmend schwand, so war es vielleicht gerade das trotzige Beharren auf direkte politische Intervention und Provokation, das Drahdiwaberl so lange nicht alt aussehen ließ.

Sie sind eine Band der sozialen Bewegungen geblieben. Von den Opernballdemos über die rechtsextreme Regierung der Jahre 2000ff., von US-amerikanischen Kriegen über kirchliche Missbrauchs-Skandale: Webers Texte waren stets straight into the face des Klassenfeindes. Trotz des klar zur Schau getragenen kommunistischen Bekenntnisses war es für Drahdiwaberl klar, gegen den Verkauf des besetzten Wiener Ernst-Kirchweger-Hauses durch die KPÖ zu protestieren. Das einzige mal übrigens, an dem ich, fesch vermummt, die Seiten wechseln durfte, nicht politisch, aber auf die Bühne. Sprayback! EKH bleibt!

Kein Ende der Geschichte!

Mein bester Freund, einer der eingangs erwähnten vier, war schon bald mehr als einen Schritt weiter: Mit einem Eurofighter aus Pappendeckel als Schwanzersatz, gekleidet in seine miliz-soldatische Originaluniform (inkl. Orden), überzeugte seine Performance des – gelinde gesagt – bundesheerkritischen „Stechschrittmambo“ am Volksstimmefest Stefan & Co, sodass er vor über zehn Jahren sich ins Drahdiwaberlsche Universum eingliedern konnte. Sein kometenhafter Aufstieg vom Fan zum Member of the Band wurde allerdings begleitet von der sich zunehmend verschlimmernden Parkinson-Erkrankung Stefan Webers – der sich allerdings bis vor einigen Jahren der Krankheit zum Trotz nicht von der Bühne zurückzog.

Jetzt ist Weber, völlig zurecht Träger des Silbernen Ehrenzeichens der Stadt Wien (Ja, die Verleihung im Rathaus war auch eine Hetz!) mit 71 Jahren gestorben. Er war nie ein Boring Old Fart, er machte nie seinen Frieden mit dem System. Drahdiwaberl ist Geschichte, die Geschichte aber ist noch nicht zu Ende. Auch dank Stefan Weber.

 

Korrektur: Stefan Weber erhielt das Silberne Ehrenzeichen der Stadt Wien, nicht das Goldene, wie zunächst behauptet.

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