Warum Frauen* in der Schweiz streiken

Barbara Stefan und Klaudia Rottenschlager sprachen mit Yara Notz von der Bewegung für den Sozialismus über den geplanten Frauenstreik in der Schweiz am 14. Juni.

Mosaik: Wieso seid ihr der Meinung, dass ein Streik in der Schweiz sinnvoll und erfolgreich sein könnte?

Yara Notz: Frauen streikten in der Schweiz erstmals 1991. Dabei wurde viel erreicht, wie beispielsweise ein legaler Schwangerschaftsabbruch, eine Mutterschaftsversicherung oder die gesetzliche Gleichstellung von Mann und Frau. Heute, 28 Jahre später, hört frau oft, dass wir als „privilegierte“ Frauen* in der Schweiz nichts zu bestreiken hätten. Das stimmt aber nicht. Es gibt noch viel zu tun. Wenn frau keinen Grund zum Streik sieht, dann kann aus Solidarität gestreikt werden für all jene, die viele Gründe zu streiken haben. Der Streik ist intersektional, wir erkennen unsere Differenzen, lassen uns aber nicht spalten.

Beim Streik am 14. Juni geht es um „Gleichberechtigung für mehr als auf dem Papier“, denn verschriftlichte Gesetze, die 1991 erreicht worden sind, sind nicht gleichzusetzen mit deren Umsetzung und Verankerung in der Gesellschaft. Frauen* verdienen heute real 35 Prozent weniger als Männer, jede fünfte Frau* erfährt sexualisierte Gewalt, Frauen* leisten hunderte Stunden an unbezahlter Arbeit, die kaum wertgeschätzt werden, Frauen* und deren Umfeld sind von Rassismus betroffen*, um nur einige der Ungleichheiten zu nennen. Es ist an der Zeit, einen ernsten gesellschaftlichen Diskurs darüber zu starten und aufzuzeigen, wie groß die Lücken sind, die entstehen, wenn Frauen* streiken und wie stark struktureller Sexismus eigentlich verankert ist.

Wie ist es überhaupt möglich, dass Frauen* streiken? Es geht ja nicht nur um den Lohnarbeitssektor, sondern Frauen* übernehmen die Mehrarbeit der bezahlten und unbezahlten Care- und Reproduktionsarbeit?

Das ist tatsächlich ein Problem. Da viele Frauen* in care-Berufen arbeiten, ist es ihnen nicht möglich, einfach nicht zur Arbeit zu erscheinen. Klar ist, dass Patient*innen oder Kinder weiter Pflege brauchen. Das heißt aber nicht, dass sie nicht streiken werden. Denn der Streik kennt viele Formen. Die Missachtung der Kleiderordnung, Bummel- oder längere Mittagspause, Plakate, Buttons oder Ähnliches. Das Spezielle des Frauen*streiks ist, dass er auf vielen Ebenen, an vielen Orten, auf bunte und verschiedene Arten und Weisen passieren wird. Was die unbezahlte Arbeit zuhause angeht, soll diese für einen Tag liegen gelassen werden. Wenn Frau* Kinder hat, dürfen die zu solidarischen Männern* in die Kinderbetreuung gebracht werden. Toll wäre, wenn alle entstehenden Lücken von Männern* gedeckt werden, um Frauen* zu ermöglichen, einen vollen Tag nicht zu arbeiten. Doch gerade in feminisierten Berufen, ist das besonders schwierig.

Da die Gewerkschaften den Frauen*streik unterstützen, werden aber sowohl Frauen* in care-Berufen, wie auch in anderen Arbeitsbereichen rechtlich informiert, beraten und im Fall der Fälle unterstützt.

Internationale Erfahrungen zeigen, dass das bürgerliche Lager den Frauen*streik oft nicht unterstützt. Wie geht ihr damit um?

Würden sie den Frauen*streik unterstützen, dann hätten wir gar nicht erst so viel zu bestreiken. Es sind Gründe wie reaktionäre Rollenbilder, die auf den Schultern von Frauen* getragene Austeritätspolitik, eine rassistische und sexistische Migrationspolitik, die Weigerung, care-Arbeit staatlich zu bezahlen oder bürgerliche Medien, die sexualisierte Gewalt banalisieren und legitimieren, die unseren Streik motivieren. Eine Unterstützung des Streiks ihrerseits wäre unter diesen Bedingungen fadenscheinig. Es war nie unser Ziel, bürgerliche Frauen* aktiv in den Streik miteinzubeziehen. Diese sehen sich oft als gleichberechtigt, weil sie erfolgreich seien, ohne zu erwähnen, dass ihre Wohnung von einer anderen, oft migrantischen, schlecht bezahlten Frau geputzt wird. Solche reaktionären Ansichten machen uns wütend und spornen uns noch mehr an, für unsere Rechte einzustehen. Der berufliche Aufstieg einiger Frauen* beinhaltet immer noch die Ausbeutung anderer Frauen*.

Bei unserem Streik mitmachen sollen all jene, die sich mit unseren Forderungen identifizieren können. Wenn dies eine bürgerliche Frau* kann und will, dann streikt sie ebenfalls.  Ein antikapitalistischer politischer Standpunkt ist für mich in diesem Zusammenhang klar nötig, um unsere Forderungen durchsetzen zu können. Denn das kapitalistische System ist ein patriarchales und das Patriarchat, das wollen wir abschaffen.

Wie geht ihr mit inhaltlich unterschiedlichen Positionen und unterschiedlichen Arten von Diskriminierung von Frauen* innerhalb der Frauen*streik Bewegung um?

Wir sind in Kollektiven unabhängig von Parteien und Gewerkschaften organisiert, wo viele verschiedene Stimmen Platz haben sollten, ohne sich gegenseitig auszuschließen. Wir arbeiten an einem inklusiven Streik, mit Forderungen, in denen jede* eine Stimme hat. Die Manifeste der Kollektive sind demnach lang und breit gefächert, was aber toll ist. Wir sind nicht alle gleich und stehen oft vor ähnlichen und dann wieder verschiedenen Problemen in unterschiedlichen Zusammenhängen und Momenten. Die Probleme im Allgemeinen sind nicht individuell, sondern politisch und strukturell. Die Erkenntnis, dass wir nicht alleine sind damit, ist zentral.

Mit der Erarbeitung der Forderungen konnten wir viele Frauen* gewinnen und sensibilisieren. Auch verschiedene Arten des Streiks und verschiedene Aktionsformen haben Platz, es sind keine Grenzen gesetzt. Diese Diversität ist das, was wir wollen. Eine homogene Masse sind wir nicht und wollen wir auch nicht sein.

Welche Rollen spielen Männer* im Frauen*streik?

Es gibt ein Unterstützungskollektiv von solidarischen Männern*, die am Tag selber eine Streikküche stellen, Kinderbetreuung anbieten oder kleine Arbeiten übernehmen, ähnlich wie beim feministischen Streik in Spanien am 8. März. In der Vorbereitungsphase haben sie Flyertexte übersetzt, Spendengelder aufgetrieben, uns während unserer Sitzungen mit Essen versorgt und vieles mehr. Aber grundsätzlich ist uns für den Tag des Streiks wichtig, dass Männer* sich im Hintergrund halten. Schließlich ist es der Tag, an dem Frauen* sich Raum nehmen – ein Privileg, das an anderen Tagen im Jahr Männern* vorbehalten bleibt. Wir Frauen* wollen zeigen, wie stark und wie viele wir sind und was ohne unsere Arbeit wo fehlt. Es soll sichtbar werden, dass wir unseren Kampf selbst emanzipiert führen können. Unterstützung von solidarischen Männern ist sehr wichtig und toll, denn für die Gleichberechtigung müssen alle mitziehen.

Warum muss ein lokaler Frauen*streik über die nationalen Grenzen hinaus vernetzt sein?

Internationale Solidarität, Unterstützung und Vernetzung machen uns stark und bieten Perspektiven, wie eine andere Welt ohne Grenzen aussehen könnte. Diverse Kämpfe inspirieren und vereinen. Solidaritätsbotschaften an die Bewegung „Ni una menos“ in Argentinien, an die kämpfenden Frauen* in Rojava oder die Thematisierung der vom spanischen Staat geforderten Auslieferung Nekane Txapartegis, obwohl sie dort in Haft gefoltert und sexualisierter Gewalt ausgesetzt wurde, sind wichtig und notwendig. Der Austausch mit spanischen Aktivistinnen* über ihre feministischen Streiks motivieren uns und geben neue Ideen. Die Kolleginnen* aus Spanien wiederum sind stolz darauf, anderen Kraft für einen Streik zu geben. Der Frauen*streik muss unbedingt im globalen Kontext gesehen werden, denn Gleichberechtigung muss global erkämpft werden. Das benötigt international vernetzten Widerstand.

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