So können wir den Schüler*innen das Jahr retten

Diese Woche demonstrieren Schüler*innen in mehreren Städten Österreichs gegen die unverantwortliche Bildungspolitik in Corona-Zeiten. Was jetzt passieren muss, damit sich die Situation für alle Schulklassen verbessert, haben Mosaik-Redakteurinnen Franziska Wallner und Sarah Yolanda Koss recherchiert.

Klassenfrage: Ungleichheit vermindern 

Je länger die Pandemie andauert, desto größer wird die Schere der Ungleichheit. Soziale Ungleichheit ist ein Grundproblem im normalen Schulbetrieb, verstärkt sich aber in der jetzigen Situation. Denn ein funktionierender Computer und eine gute Internetverbindung sind in vielen Fällen Voraussetzungen, um überhaupt am Unterricht teilnehmen zu können. Dass es das Bildungsministerium nicht geschafft hat, allen Schüler*innen rechtzeitig Laptops zur Verfügung zu stellen, hält Mati Randow, Schulsprecher am Wiener Gymnasium Rahlgasse, für unverantwortlich: „Alle haben schließlich unterschiedliche Rahmenbedingungen zu Hause.“

Zu manchen Schüler*innen schaffen es Lehrer*innen im Distance Learning gar nicht, Kontakt zu halten. Andere machen aus ungeklärten Gründen ihre Hausaufgaben nicht oder die Internetverbindung bricht ständig ab, wie eine Lehrer*innenbefragung des Wiener Institut für Höhere Studien und wissenschaftliche Forschung ergibt. Auch Flora Gürth, stellvertretende Schulsprecherin am GRG 21 Ödenburgerstraße, erzählt, dass es in den vergangenen Monaten oft an der Motivation einzelner Lehrer*innen lag, die Schüler*innen aufzufangen. Passiert das nicht, fallen manche Schüler*innen durch das soziale Sicherheitsnetz. Veronika Wöhrer, Professorin für Bildung und Ungleichheit der Universität Wien, sieht hier großen Handlungsbedarf, mit dem Lehrer*innen nicht alleine gelassen werden dürfen: „Man könnte sich überlegen, diesen Schüler*innen Vorrang im Präsenzunterricht zu geben. Es braucht mehr Ressourcen, wie zusätzliche Begleitpersonen und finanzielle Mittel, zum Beispiel um allen einen guten Internetzugang zu ermöglichen.“

Klassenübergreifend: Psychologische Betreuung

Die Prognose von Josef Zollneritsch, stellvertretender Leiter der Österreichischen Akademie für Schulpsychologie, ist vernichtend: „Im Sommersemester wird sich nicht viel ändern. Wir müssen uns auf das Schlimmste einstellen“. Junge sind stärker von der sozialen Dauerbelastung durch Covid-19 betroffen und gerade ältere Schüler*innen scheinen sich mit dem fortschreitendem Home Learning schlechter zu fühlen. Im Frühling gab es aufgrund der verstärkten psychischen Belastung eine eigene psychologische Telefonhelpline.

Heute ist ein umfassendes, kostenloses, psychologisches Angebot dringend notwendig. „Alle Angebote der Schulpsychologie müssen kostenfrei sein“, betont Zollneritsch. Das sei schließlich die Verantwortung des Schulsystems. Österreich hinkt im Bereich der kostenfreien Psychotherapie schon lange hinterher. 2018 wurden die Therapiezuschüsse der Gebietskrankenkassen erstmals seit 1991 (!) angepasst. Die Akademie für Schulpsychologie arbeitet gerade daran, ihre Erreichbarkeit und ihre Möglichkeit der Online-Beratung mit einem Journaldienst auszubauen. 

Klassisches Problem: Zu hohe Anforderungen

Schon lange können Lehrer*innen und Schüler*innen die normalen Anforderungen des Schulunterrichts nicht mehr erfüllen. Während es laut Umfragen Maturant*innen ein Anliegen zu sein scheint, ihren Lernstoff zu bewältigen, werden viele Kinder und Jugendliche noch immer einem zu hohen Leistungsdruck ausgesetzt. Gerade in Corona-Zeiten führt dieser zu Überforderung. „Wir stehen unter einer enormen Belastung“, erzählt die stellvertretende Schulsprecherin Gürth.

Das Wahrnehmen von Bedürfnissen sollte jetzt vor jedem konventionellen Leistungsanspruch gehen. So hebt auch Zollneritsch hervor: „Wir müssen, wo immer es im schulischen Bereich geht, ein Beziehungsangebot ermöglichen und die Bedürfnisse der Schüler*innen wahrnehmen, sowohl im Präsenz- als auch im Distanzunterricht.“ Allgemeines Wohlbefinden statt Konkurrenz- und Leistungsdruck – das ist eine Verlagerung von Prioritäten, die schon längst passieren hätte sollen. Auch für die Schulsprecher*innen sind die wichtigsten Maßnahmen: Für alle Jahrgänge Lehrstoff vom Lehrplan kürzen, das Durchfallen aussetzen und die mündliche Matura streichen.

Klassenzimmer: Sicherheit erhöhen

Bildungsminister Faßmann spielte das gesundheitliche Risiko an Schulen lange herunter – auch gegen wissenschaftliche Belege. Der Fokus lag auf einem Sicherheitsgefühl statt auf tatsächlicher Sicherheit. Die Trefferquote der Corona-Tests, die jetzt an den Schulen angewandt werden, liegt für asymptomatische Personen (und junge Menschen wie Schüler*innen haben tendenziell öfter keine Symptome) bei rund 50 Prozent. Um tatsächlich mehr Sicherheit zu schaffen, braucht es ordentliche Lüftungssysteme und zusätzliche Maßnahmen, um sich testen zu lassen. Auch mittels PCR- oder Antigen-Tests. Den Schulsprecher*innen geht es außerdem um Planungssicherheit. Dazu gehört, sich freitags darauf einstellen zu können, ob man montags in die Schule geht.

Klasse wäre: Mitsprache

Schüler*innen werden auch in der Krise nicht in die Entscheidungsfindung der Politik miteinbezogen. Gürth dazu: „Wir mussten selbst Initiativen starten, auf die Straße gehen, damit uns einmal zugehört wird.“ Abgesehen davon braucht es laut Gürth und Randow auch eine Demokratisierung der Bundesschüler*innenvertretung. Konkret soll eine Direktwahl durch alle Oberstufenschüler*innen aus ganz Österreich erfolgen. Derzeit wählen Schulsprecher*innen die Bundesschüler*innenvertretung, diese bestimmt wiederum den/die Bundesschulsprecher*in. Randow und Gürth fühlen sich deswegen von der amtierenden Bundesschulsprecherin nicht vertreten. Trotzdem ist sie es, die sich mit Minister Faßmann trifft und bei Pressekonferenzen auftreten darf.

Im Schulbereich gibt es sehr viele unterschiedliche Beteiligte mit komplexen Bedürfnissen, wie Bildungsexpertin Wöhrer hervorhebt. Deswegen fordern die Schülervertreter*innen ein größeres Mitspracherecht. Bisher, meinen sie, treffen Politiker*innen die Entscheidungen vom Minoritenplatz aus über ihre Köpfe hinweg. „Aber gerade in der Krise hätten wir es verdient, dass unsere Stimme gehört und ernst genommen wird.“

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