Bildung in der Pandemie: Was das Schul-Chaos mit den Betroffenen macht

Home Office, Distance Learning, Videokonferenzen, Stress, und Hilfsbereitschaft. Betroffene berichten von ihren Erfahrungen rund um das Thema Schule zu Corona-Zeiten.

Ob Schüler*innen, Pädagog*innen, Schulleitungen oder Eltern – sie alle mussten dieses Jahr ganz besonders widerstandsfähig sein. Nicht nur sind die Schulen, inklusive Pflichtschulen, schon das zweite Mal für den Unterricht geschlossen. Das Empfehlungs- & Verordnungschaos der Bundesregierung macht auch vor dem Bildungsbereich nicht Halt, ganz im Gegenteil. Wir haben bei unterschiedlichen Betroffenen in Wien nachgefragt, wie sie mit den (oft kurzfristig angekündigten) Maßnahmen umgegangen sind, was für sie die größten Versäumnisse der Politik waren – und wie es ihnen zur Zeit geht. 

Edin, 17, Lehrling, Berufsschüler aus Ried im Innkreis:

“Ich lerne seit März Einzelhandelskaufmann beim Hofer. Von September bis Mitte November hatte ich meinen zweiten Lehrgang in der Berufsschule. Der wurde am Schluss auf e-Learning umgestellt. Es hat schon ein bisschen besser funktioniert als im Frühling, aber viele Probleme sind geblieben. Bei uns gibt es keine Videokonferenzen, das ist in vielen Berufsschulen so.

Wir müssen also alles selber machen und uns die Antworten für unsere Aufgaben auf Google oder Wikipedia zusammensuchen.

Wenn wir Fragen an die LehrerInnen haben, antworten sie oft recht spät und manchmal auch gar nicht. 

Der erste Lockdown war eine komplette Katastrophe. Ich hatte von März bis Juli meinen Lehrgang, der war ausschließlich digital. Aber niemand hat sich ausgekannt. Die LehrerInnen nicht und viele meiner KollegInnen wussten nicht einmal, wie sie ihre Aufgaben hochladen können. Das habe ich dann übernommen und geschaut, dass alle halbwegs damit klar kommen. Unterstützung von der Schule gab es dafür kaum.

Gerade bin ich im Betrieb, das ist schon sehr stressig. Am Montag vor dem Lockdown war unglaublich viel los. Wir waren zu neunt nur am arbeiten, obwohl normalerweise vier Leute pro Schicht eingeteilt sind. Die Menschen kaufen einfach mehr ein als normal. Auch jetzt noch. Es kommt viel öfter vor, dass es Einkäufe über 100 Euro gibt. Das ist für uns harte Arbeit.

Noch dazu kommen wir kaum in der öffentlichen Debatte vor. Es geht viel um Volksschulen, aber über Lehrlinge lese ich sehr wenig.”

Sandra, 35, Teamlehrerin in einer Volksschule in 1150 (davor Nahtstellenlehrerin in einer NMS). Mutter von 2 Kindern (Emma, 9 Jahre & Valentin, 4 Jahre alt):

„Der erste Lockdown war Horror. Mein Partner und ich waren beide im Home Office, gleichzeitig waren beide Kinder daheim: Emma im Home Schooling und Valentin zur Betreuung. Mal drei Stunden am Stück zu arbeiten – unmöglich. Ich hatte damals Glück, weil ich die einzige unter meinen Kolleg*innen mit kleinen Kindern war, weswegen ich zu Hause bleiben konnte. 

Damals bin ich hauptsächlich den Schüler*innen per WhatsApp „nachgerannt“, damit der Kontakt gehalten wird und sie nicht verloren gehen. Jetzt, im 2. Lockdown, funktioniert vor allem das Distance Learning besser. Derzeit habe ich 12 Stunden Präsenzunterricht in der Schule und 4 Stunden Distance Learning. Auch wenn es meinen Kindern und mir und meinem Partner zur Zeit gut geht – die Situation an der Schule ist einfach schlimm. Die FFP2-Masken für das Schulpersonal sind noch immer nicht da; jene Kinder, die in die Betreuung kommen, haben alte oder keine Masken. Fixe Gruppen oder Schichtbetrieb wären für die Betreuung notwendig:

Schulschließungen ohne Sicherheitskonzept machen einfach keinen Sinn! 

Warum da im Sommer nichts passiert ist, ist mir absolut unverständlich; auch der Schulbeginn im Herbst wurde so begangen, als gäbe es keine Pandemie. Und wenn dann der Hut brennt, geht es bei Kindern nur um die Frage: übertragen sie, ja oder nein? Dass Schulen nur wenig am Infektionsgeschehen beteiligt sind, wurde von Meinungsmacher*innen mantraartig wiederholt, richtiger ist es in den letzten Monaten dadurch auch nicht geworden.”

Manfred, 60, Beratungslehrer an einer Volksschule & Supervisor im Schulbereich (unter anderem für Sonderschulpädagog*innen):

„Grundsätzlich ist es ein großes Problem, dass die gesamte Sonderschulpädagogik auch jetzt, während der Pandemie, ein Randthema ist. Da fühlen sich viele komplett alleine gelassen, gerade auch von offizieller Seite. Anderes als im ersten Lockdown ist es derzeit so, dass die Sonderschulen im Präsenzunterricht weiter arbeiten. Für viele Sonderpädagog*innen ist klar, dass die Schule geöffnet bleibt, wenn es um Kinder mit Mehrfach- oder Schwerstbehinderung geht, die die Betreuung brauchen. Aber auf der anderen Seite gibt es auch Unverständnis dafür, dass Kinder kommen müssen, die eigentlich fit für Distance Learning sind und sich da schon im ersten Lockdown bewährt haben. 

Ich persönlich bin als Beratungslehrer derzeit an meiner Einsatzschule, einer Volksschule, präsent – das Problem ist aber, dass ich viele Kinder nicht erreiche, weil sie nicht in die Betreuung geschickt werden. Da geht es um sozial und emotional benachteiligte Kinder, z.B. Kinder mit Gewalterfahrung oder Kinder aus extrem instabilen Familien.

Ich befürchte, dass da in der Folge einige Kinder am Weg verloren gehen.

Ich habe von einer Direktorin an einer Wiener Mittelschule gelesen, die das proaktiv angegangen ist, und jene zwei Drittel der Schüler*innen, für die Distance Learning nicht gut funktioniert, tageweise abwechselnd und in kleinen Teams in die Schule holt. Das ist super, aber eben eine Einzelaktion von unten. 

Aus meiner Arbeit in der Supervision weiß ich, dass viele Lehrer*innen am Rande ihrer Kräfte sind. Ein großes Problem ist die mangelnde Kommunikation von der Bildungsdirektion und vom Ministerium, was zu enorm viel Verwirrung und Chaos geführt hat. Die Lehrer*innen und Eltern fühlen sich oft im Stich gelassen. Das ist aus meiner Sicht wirklich ein großes Versagen der Politik.“ 

Magdalena*, Schülerin, 11 Jahre alt, (Gymnasium, 1210 Wien):

“Es ist einfach total stressig zur Zeit. Wir haben jeden Tag fünf Stunden Videokonferenzen, die den Unterricht ersetzen sollen und dazwischen gerade einmal fünf Minuten Pause. Ich weiß, das ist beim regulären Unterricht genauso, aber es ist einfach was anderes, wenn du dabei vorm Computer sitzt. Und dann musst du am Nachmittag noch Hausübungen machen.

Was fehlt, ist die Freizeit. Du sitzt halt den ganzen Tag zu Hause und sollst Sachen für die Schule machen. Du kannst nicht mehr Einkaufen gehen und dich mit deinen FreundInnen treffen. 

Dabei habe ich es sicher verhältnismäßig gut, es ist von Schule zu Schule unterschiedlich. Bei uns in der Schule hat der Direktor gesagt, dass wir nicht jede Unterrichtsstunde mit Videokonferenzen ersetzen müssen. Bei meinem Bruder ist das anders. Der hat ganz normal Schule, nur halt vor dem Laptop. Außerdem gibt es Kinder, die eben keinen Laptop oder kein eigenes Zimmer haben. Ich glaube, dass die LehrerInnen versuchen, darauf Rücksicht zu nehmen. Aber sie können ja nicht für alle einen Laptop kaufen. Bei uns in der Schule gibt es eine Liste, wo sich die SchülerInnen, die einen Computer brauchen, draufschreiben können. Wie gut das funktioniert, weiß ich aber nicht. 

Du bist zur Zeit einfach auf dich alleine gestellt.

Die Klassengemeinschaft fällt weg und du musst dich anstrengen, dass du dran bleibst. Viele von meinen FreundInnen gehen spät ins Bett, die sind dann bei den Videokonferenzen immer total fertig. Wir können ja nicht viel länger schlafen. Nur die Fahrtzeit in die Schule fällt weg. Uns beschäftigt das natürlich alle sehr. Wir haben zwar eine Chatgruppe, aber da geht es nur um die Hausübungen. Dass wir uns fragen, wie es uns geht, geht total unter.”

Mara, 41, Home Office, Mutter von Antonia (9 Jahre alt, 3.Schulstufe in einer Mehrstufenklasse):

„Die Gesamtsituation im Frühling, als die Schulen mehrere Wochen geschlossen waren, war sehr belastend. Ich war im Home Office und Antonia im Home Schooling. Die Ankündigung, kein neuer Lernstoff kommt, hat nicht gestimmt – es wurde großteils in den Büchern weiter gearbeitet, also neuer Lernstoff vermittelt. Dadurch hat Antonia natürlich auch Anleitung von mir gebraucht. Ich habe 35 Stunden gearbeitet, de facto oft mehr. Da haben wir viele Dinge für die Schule erst am späten Nachmittag oder am Wochenende erledigen können.

Mein Arbeitgeber hat zwar Sonderbetreuungszeit angeboten, aber es gab niemanden der meine Arbeit hätte übernehmen können. Das hat mir also nicht weitergeholfen. Nach dem ersten Lockdown gab es dann einen Schichtbetrieb in Antonias Schule, der uns vor neue Herausforderungen gestellt hat. Ich war zu der Zeit auch nicht mehr nur im Home Office, sondern auch im Büro. Das war nicht leicht zu organisieren. Jetzt, im zweiten Lockdown, funktioniert vieles besser, auch das Distance Learning. Das liegt vor allem am Engagement der Lehrer*innen.

In meinen Augen hätte es zwei Dinge gebraucht: Einerseits bessere technische Kommunikationsmittel und andererseits, und das ist ganz essentiell, pädagogische Hilfestellung und Anleitung für Eltern.

Erstens sind wir keine Lehrer*innen und zweitens kann man nicht davon ausgehen, dass alle Eltern die Kompetenzen beherrschen, die die Kinder lernen müssen.

*Wir haben auf Wunsch der Interviewten alle Namen geändert.

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