Gleichstellung in Corona-Zeiten: Automatisch ändert eine Krise gar nichts!

Unbezahlte Arbeit wird im Haushalt immer noch weitgehend von Frauen getragen. Sie bedeutet eine wesentliche Vorleistung für die gesamte Ökonomie und bleibt dennoch unsichtbar – das verdeutlicht sich in der Krise. Ute Harbacek spricht mit Ökonomin Katharina Mader im Rahmen der ORANGE 94.0-Sendereihe „Post-Normal. Wie wir uns die Zukunft denkenüber Auswirkungen von Krisen auf Frauen und geschlechtergerechtere Zukunftsmodelle.

Ute Harbacek: Du beschäftigst dich mit unbezahlter Arbeit und ihrer geschlechtsspezifischen Verteilung. Ihr habt zwischen April und Juli 2020 eine Studie an der WU zu Mehrfachbelastung unter COVID-19 durchgeführt. Hat sich an der Verteilung etwas verändert gegenüber der Zeit vor der Corona-Krise?

Katharina Mader: In der feministischen Ökonomie gibt es eine lange Tradition von Forschung zu unbezahlter Arbeit. Ich beschäftige mich damit, sichtbar zu machen, welche Vorleistung diese Arbeit für die gesamte Ökonomie darstellt. Der soziale Zusammenhalt wird dort im ersten Schritt geschaffen.

Die allgemeine Annahme war, dass Männer, wenn sie ins Home-Office geschickt werden, in Kurzarbeit oder arbeitslos sind, sehen werden, wieviel unbezahlte Arbeit im Haushalt anfällt und daraufhin aktiv übernehmen. Es zeigt sich allerdings, dass das nicht der Fall ist. Krisen schreiben traditionelle Rollenzuschreibungen fest und sind nicht die Chance für einen Aufbruch. Natürlich können Krisen den Anstoß für politische Maßnahmen geben. Aber automatisch verändert sich aus einer Krise heraus gar nichts in Hinblick auf eine gleichgestelltere Gesellschaft – zumindest nicht in Österreich.

Wie hat sich das während der Corona-Krise konkret geäußert?

Es gab im ersten Lockdown sehr schnell die Warnung: Jetzt müssen wir aufpassen, dass wir nicht in die 50er Jahre zurückgeworfen werden. Aber anhand unserer Zahlen hat es keine Veränderung gegeben. Die 50er Jahre mit ihren Rollenvorstellungen hängen uns noch immer nach. Auch wenn wir am Arbeitsmarkt viele Fortschritte erreicht haben, hängen wir enorm hinterher, was die unbezahlte Arbeit in den Privathaushalten betrifft. Es sind die anderen Frauen, die vor den Lockdowns die Entlastung übernommen haben: Von der Kindergärtnerin über die Lehrerin, die Großmutter, die migrantische Putzfrau – all diese Frauen haben uns Frauen entlastet, aber nicht der eigene Partner im eigenen Haushalt.

Alleinerzieherinnen waren deswegen während des Lockdowns im Frühjahr – nicht überraschend – massiv belastet, sie haben 15 Stunden am Tag gearbeitet, neun Stunden davon unbezahlt. Überraschend war dagegen, dass die Zahlen für Mütter in Paar-Haushalten nicht sehr viel anders waren. Erstmals haben wir bei unseren Befragungen im Frühjahr gesehen, dass Väter, wo sie sich beteiligen, eher Haushaltstätigkeiten übernehmen als Kinderbetreuung. Bislang war das tendenziell umgekehrt. Wenn sich Väter in die unbezahlte Arbeit eingebracht haben, dann gewöhnlich eher bei der Kinderbetreuung und beim Freitzeitanteil davon. Jetzt hat sich dieses Verhältnis gedreht. Durch Home-Schooling und die Tatsache, dass die Kinder 24 Stunden zu Hause sind, sagen Väter tendenziell eher, dass sie die Kinderbetreuung nicht neben der Erwerbstätigkeit schaffen.

Sind die Maßnahmen, die die Regierung gesetzt hat, eher als klassische ökonomische Maßnahmen zu bezeichnen oder siehst du da neue Ansätze?

Die gängige Devise ist, dass der Staat so wenig wie möglich eingreifen soll. Im Gegensatz dazu gilt in Krisenzeiten dann doch, dass es ein aktives Eingreifen und Investieren des Staates braucht. In der Finanzkrise 2008 wurde von den alten Lehrbüchern rund um Keynes einmal kurz der Staub abgeblasen, aber gleich mit Ende der Krise sind sie wieder ins Regal zurückgestellt worden. Ich hoffe, dass Politiker*innen gerade jetzt sehen, wie wichtig der starke Staat ist, um durch die Krise navigieren zu können.

Die derzeitige Situation wird sich wohl noch weit ins nächste Jahr hineinziehen, wir befinden uns in einer Veränderungsperiode. Wird sich die Wirtschaftsstruktur ändern müssen, um da durchzukommen?

Wir erleben die größte Wirtschafts- und soziale Krise in der 2. Republik. Wir hatten seit dem 2. Weltkrieg nie so viele Arbeitslose. Leute können ihr Leben nicht mehr finanzieren. Dafür werden wir uns gesamtgesellschaftliche, solidarische Lösungen überlegen müssen. Entweder mehr Arbeitslosengeld oder grundsätzlich andere Konstrukte wie ein bedingungsloses Grundeinkommen. Arbeitszeitverkürzung könnte jetzt helfen, indem sie nicht nur die Arbeit zwischen den Geschlechtern, sondern insgesamt umverteilt.

Es gibt im Moment das Phänomen, dass die einen gar keine Arbeit mehr haben und die anderen völlig überlastet sind. Und die Überlasteten jammern nicht, weil sie froh sind, eine Erwerbsarbeit zu haben. Es ist eine Frage der Zeit, wie lange sie das aushalten. Und zur Finanzierung der Krise muss es Solidaritätsbeiträge von denen geben, die das Geld haben.

Sind ökonomische Zukunftsmodelle jenseits von Wirtschaftswachstum ein realistisches Modell?

Ich kann mir kein mittelfristiges Zukunftsszenario vorstellen, in dem wir nicht über Postwachstum diskutieren müssen, also über eine Wirtschaftsform, die sich statt am Wachstumsgedanken am Wohlergehen aller und dem Erhalt unserer ökologischen Lebensgrundlagen orientiert. Wir werden Kriterien entwickeln müssen, die etwas mit dem guten Leben von Menschen zu tun haben, weil wir sonst politische Unruhen generieren. Menschen brauchen ein Einkommen und sinnstiftende Arbeit, inkludiert in die Gesellschaft. Wenn wir diese beiden Faktoren vernachlässigen, bringt uns Wachstum nichts.

Wir haben schon die letzten 15 Jahre viele Konzepte in der Lade, Solidarwirtschaft zum Beispiel oder Projekte auf zivilgesellschaftlicher Ebene, die Veränderung auf gesamtgesellschaftlicher Ebene bringen, wie zum Beispiel Tauschbörsen, Reparaturcafés, Baugruppen, lokale Foodcoops oder globale Initiativen für fairen Handel. Aber es gibt meines Wissens nicht die eine große Utopie und handhabbare Schritte dazu.

Wenn wir einen Blick in die „post-normale“ Zukunft werfen, gibt es da eine Chance auf eine positive Veränderung für Frauen?

Ich wünsche mir kurz- und mittelfristige Programme, die es Frauen ermöglichen, weiterhin erwerbstätig und finanziell unabhängig zu sein. Und wir dürfen Gleichstellung nicht als Luxusproblem abtun, mit dem wir uns dann beschäftigen, wenn die Wirtschaft wieder läuft. Langfristig wünsche ich mir, dass diese Krise gezeigt haben wird, was wirklich wichtige gesellschaftlich notwendige Arbeiten sind. Und dass wir die umverteilen und mit Maßnahmen beginnen wie getrennten Karenzzeiten – sodass es für Väter ganz normal wird in Karenz zu gehen.

Ein Rechnungshofbericht hat gerade gezeigt, dass nur 4% aller Karenzzeiten von Vätern genommen werden, in Island gehen 90% aller Väter in Karenz. Das verändert natürlich die Arbeitswelt, weil andere Lebensrealitäten eintreten und klar wird, dass Väter nicht nur Arbeitsmaschinen sein wollen. Und mit Arbeitszeitverkürzung könnten wir allen ein Stück mehr freie Zeit zuschaufeln, die sie dann mit unbezahlter Arbeit, Gemeinwohlarbeit, Ehrenamt und politischer Arbeit füllen könnten.

Das Gespräch hat Fiona Steinert zusammengefasst. Das ganze Interview ist in der Sendereihe „Post-Normal. Wie wir uns die Zukunft denken auf ORANGE 94.0 am Donnerstag, 26.11. um 16:00 zu hören. Zum Nachhören findet ihr es ab 27.11. hier.


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