Russland: Feministischer Widerstand gegen den Krieg

FAR-Aktivistin mit Plakat "Nein zum Krieg"

Monatelang leistete Lydia Widerstand gegen den Krieg in Russland. Im Exil erzählt sie, warum feministische Forderungen und Anti-Kriegs-Proteste nicht zu trennen sind, wie divers Aktivismus sein kann und welche Taktiken die russische Polizei anwendet.

Binnen 48 Stunden nach der russischen Invasion in der Ukraine formierte sich im Februar 2022 die „Feminist Anti-War Resistance“ (FAR, deutsch: Feministischer Widerstand gegen den Krieg), ein Zusammenschluss von feministischen Organisationen und Einzelpersonen in Russland. Die Gruppe hält der staatlichen Repression bis heute stand. Das liegt nicht zuletzt daran, dass Putins Regime den Widerstand von Frauen anfangs nicht als Bedrohung wahrgenommen hat.

Die FAR organisiert sich hauptsächlich über einen Telegram-Channel, um ihre Anonymität gegenüber der russischen Polizei aufrecht zu halten. Ihr Manifest wurde in mehr als 30 Sprachen übersetzt und ruft Feminist*innen im In- und Ausland auf, sich dem Widerstand anzuschließen. „Das Potenzial für feministischen Protest ist riesig“, erzählt Lydia (Name geändert). Sie ist eine Aktivistin der FAR, die Russland mittlerweile verlassen hat. Aktuell sei der Protest mit großen Risiken verbunden. „Es ist schwierig, nicht auszubrennen“.

Hinter Krieg- und Männergewalt steckt dasselbe System

In der FAR verbinden sich Widerstand gegen den Krieg und feministische Forderungen. „Hinter der Annahme, über das Nachbarland verfügen zu können, steckt die patriarchale Vorstellung von Gewalt als ultimative Machtdemonstration“, sagt Lydia. Die Gewalt durch den Krieg sei nicht trennbar von der Gewalt von Männern gegenüber ihren Partner*innen oder Töchtern. Dass Putins Reden mit denen eines typischen häuslichen Gewalttäters zu vergleichen sind, sei kein Zufall. All dies wurzle im selben System. Erst 2017 wurde in Russland ein Gesetz beschlossen, das sowohl eheliche als auch elterliche Gewalt entkriminalisiert. Etwa alle 40 Minuten stirbt in Russland eine Frau durch häusliche Gewalt.

Im Manifest verweist die Bewegung auf den Anstieg sexualisierter Gewalt in Kriegszeiten. Putins Regime berufe sich in der Rechtfertigung des Kriegs nicht selten auf die Verteidigung traditioneller Werte, die durch Geschlechterungleichheit, die Ausbeutung von Frauen und staatliche Unterdrückung gegenüber allen Menschengruppen, die patriarchalen Normen nicht entsprechen, gekennzeichnet sind. „Das russische Parlament schränkt Abtreibungen stark ein, macht Druck auf Personen der LGBTIQ+-Community und fördert mithilfe des Gesetzes Homophobie“, so Lydia.

Polizei-Taktiken sollen Protest in Russland schwächen

Wer sich an Aktionen beteiligt, geht aktuell ein sehr großes Risiko ein. Für das Hochhalten eines weißen Blatt Papiers, ein Zeichen für den Frieden, kommen Aktivist*innen für zwei Wochen in polizeilichen Gewahrsam. Dort drohen ihnen Gewalt und Demütigungen. Einigen Mitglieder der FAR wurde aufgrund ihres Aktivismus die Studienberechtigung entzogen.

Welche Taktiken die Polizei an den Tag legt, zeigen Aktivist*innen der FAR auch in einer kürzlich erschienenen ARTE-Dokumentation. Wenn ein für Russland wichtiges Datum, wie der Nationalfeiertag, bevorsteht, werden polizeilich bekannte Aktivist*innen in ihren Wohnungen für Verhöre abgeholt. Freigelassen werden sie erst, wenn der wichtige Tag vorbei ist. Das soll verhindern, dass Protestaktionen durchgeführt werden können. Steht ein solcher Tag bevor, tauchen viele Aktivist*innen der FAR mittlerweile für ein paar Tage unter.

„Anti-War Inktober“: Sichtbarkeit fördern und Hoffnung geben

Im Oktober veranstaltete die FAR den Anti-War Inktober. Personen aus aller Welt setzten sich künstlerisch mit verschiedenen Aspekten des Kriegs wie z.B. Flucht, Zensur oder Trauer auseinander und machten ihre Werke unter dem Hashtag #antiwartober online zugänglich. „Viele Menschen können die Risiken, die aktuell mit Protest verbunden sind, nicht eingehen“, sagt Lydia, die die Aktion koordiniert hat. Der Anti-War Inktober biete eine sichere Protest-Möglichkeit. Er erfordere nur die Bereitschaft, Zeit und Aufmerksamkeit zu investieren. „Solche Aktionen sind wichtig, um zu vermitteln, dass niemand alleine ist“, so Lydia. Besonders für Menschen, die noch vor Ort in Russland Widerstand leisten, ist diese Art des Protests bedeutend, um die Hoffnung und Energie nicht zu verlieren.

Neben Solidaritätsaktionen ist auch psychologische Hilfe für Aktivist*innen wichtiger Bestandteil der Arbeit der FAR. Die ständige Angst und Erschöpfung führe bei vielen Aktivist*innen mit der Zeit zu Fehlern. Das könnte die Aufmerksamkeit der Strafverfolgung mit sich bringen.

Den feministischen Widerstand unterstützen

„Als Bewegung zu wachsen ist unter den Bedingungen eines totalitären Staates schwierig“, so Lydia. Es sei herausfordernd, Personen für die Anti-Kriegs-Bewegung zu mobilisieren und sie gleichzeitig nicht in Gefahr bringen zu wollen. Viele melden sich, um die FAR im Management, bei Aktionen oder ihrem Online-Auftritt zu unterstützen – auch aus unterschiedlichen Zeitzonen. „Uns hilft es, wenn sich Gruppen selbst organisieren und dann bei uns melden“, erklärt Lydia. Dass sich bereits vor dem Krieg feministische Allianzen gebildet haben, erleichtere dies.

Wer den feministischen Protest unterstützen will, kann das Manifest weiterverbreiten. Daneben verweist die FAR auch auf den Anti-War Fonds. Dieser propagiert seit Beginn des Krieges die Idee von Streiks, Krankenständen (um dem russischen Staat nicht zu dienen) und Sabotagen. Viele Menschen in Russland sind streikbereit, können aber aufgrund der verheerenden ökonomischen Krise, die mit den Sanktionen einhergeht, nicht ihr Einkommen riskieren. Internationale Spenden sollen jene finanziell unterstützen, die bereit sind, sich gegen das russische Regime zu stellen. Die Initiator*innen des Fonds bitten allerdings alle Personen, die nur wenig spenden können, zuerst an die Unterstützung von Personen aus der Ukraine zu denken.

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