Polen: Weichenstellung für eine progressive Zukunft

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Die Wahlen in Polen markieren den Sieg einer demokratischen, modernen Ausrichtung, getragen von Frauen und jungen Wähler*innen, analysiert Magdalena Baran-Szołtys.

Polen hat gewählt: Die regierende national-konservative und rechtspopulistische PiS-Partei (Recht und Gerechtigkeit) unter Jarosław Kaczyński erzielte mit 35,38 Prozent Platz Eins. Die liberale, EU-freundliche Opposition bildet mit 53,71 Prozent die Mehrheit. Diese Unterstützung verteilt sich auf verschiedene Parteien: die Bürgerkoalition mit 30,70 Prozent, den Dritten Weg mit 14,40 Prozent und das Linksbündnis mit 8,61 Prozent. Die chauvinistische Konföderation erhielt 7,16 Prozent der Stimmen und belegte den letzten Platz unter den ins Parlament einziehenden Parteien. Damit hat sie nicht genügend Stimmen, um mit der PiS eine Mehrheit im polnischen Parlament (Sejm) zu bilden.

Die Wahlen signalisieren eine Abkehr von reaktionärer, frauenfeindlicher und minderheitenfeindlicher Politik, die in den Parteien PiS und Konföderation sichtbar war. Die offene und vereinende Politik der Opposition, die sich insbesondere gegen Ende des Wahlkampfs solidarisch zeigte, triumphierte indes. Auch die hohe Wahlbeteiligung von 74,38 Prozent zeugt vom Wunsch der polnischen Gesellschaft nach Offenheit und einer klaren Abwendung von reaktionären Tendenzen. Dieses Ergebnis ist nicht nur ermutigend für Polen, sondern auch für Europa, wo wir zuletzt in einigen Ländern den Aufstieg faschistischer Bewegungen beobachten konnten. Die Stärkung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Polen ist somit ein wichtiges Signal für die gesamte Europäische Union.

Die Macht der Frauen und jungen Wähler*innen

Der Wahlsieg ist das Ergebnis der starken Mobilisierung von drei Hauptwähler*innengruppen: den Nichtwähler*innen, den Frauen und den jungen Bürger*innen. Anfangs war unklar, ob der polarisierende Wahlkampf politische Apathie oder Mobilisierung hervorrufen würde. Letztendlich konnte die Opposition erfolgreich mobilisieren. Die Wahlbeteiligung unter den Frauen war höher als unter den Männern. Junge Wähler*innen wurden in einem bisher ungekannten Ausmaß mobilisiert.

Dies ist einerseits auf eine gezielte Kampagne zurückzuführen, die stark auf diese Gruppen ausgerichtet war. Dazu gehörten ein Kurzfilm auf Netflix und diverse Einschaltungen sowie Wahlaufrufe von polnischen Prominenten in den unabhängigen Medien. Andererseits haben die Schwarzen Proteste der letzten Jahre ebenfalls maßgeblich dazu beigetragen. Die vom Polnischen Frauenstreik organisierten feministischen Proteste gegen das verschärfte Abtreibungsgesetz, die 2016 und 2020 ihren Höhepunkt erreichten, führten zu einer nachhaltigen Politisierung und Mobilisierung der jungen Generation, die sich nun in den Wahlen niederschlägt. Das Empowerment der Frauen entwickelte sich vor allem aus dem Ärger über die Machtausübung seitens der PiS, die sich symbolisch im Abtreibungsgesetz manifestierte. Frauen haben daraus gelernt, selbst aktiv zu werden. Viele Polinnen stellten sich bereits vor der Wahl den restriktiven Abtreibungsmaßnahmen entgegen. Sie tauschten Informationen aus, organisierten landesweite Demonstrationen, betrieben Crowdfunding und boten rechtliche sowie finanzielle Unterstützung bei Abtreibungen im Ausland und bei damit verbundenen Gerichtsverfahren an.

Abkehr vom Rechtsruck

Ein symbolisches Beispiel für den Wunsch der Wähler*innen nach eine Abkehr von einer frauenverachtenden Politik war das Scheitern der Konföderation. Der Grund ist mitunter in einem Video von der Gründungssitzung der parteinahen Stiftung mit dem allsagenden Namen „Patriarchat“ zu suchen. Darin fordert die Stiftung die Abschaffung des Frauenwahlrechts und stellt Frauen als Eigentum ihrer Männer dar. Sogar die konservativen, antifeministischen potenziellen Wähler*innen der Konföderation empfanden dies als zu extremistisch. Weitere bedeutende Themen für die jungen Wähler*innen waren der Umgang mit der LGBTIQ-Community und die Umwandlung der öffentlich-rechtlichen Medien in ein Propagandainstrument der PiS. Diese demografische Verschiebung weist auf eine zukünftig progressive politische Entwicklung hin.

Für eine Abkehr vom Rechtsruck in Polen steht auch das gescheiterte Referendum mit einer Teilnahme von lediglich 44 Prozent – deutlich unter dem erforderlichen 50-Prozent-Quorum. Dieses enthielt vier Fragen, von denen Kritiker*innen meinten, sie seien tendenziös. Menschen, die die polnische Debatte nicht verfolgen, könnten diese auch als schockierend empfinden. „Unterstützen Sie die Aufnahme tausender illegaler Einwanderer aus dem Nahen Osten und Afrika gemäß dem von der europäischen Bürokratie auferlegten Zwangsverteilungsmechanismus?“, so eine der Fragen.

Zusätzlich zu dieser menschenverachtenden Rhetorik und Politik trugen weitere Faktoren zur Niederlage der PiS bei: veraltete Erinnerungspolitik, verschiedene Korruptionsaffären und die Abkehr von solidarischer Unterstützung für die Ukraine. Auch der Streit mit der EU samt finanzieller Sanktionen sowie die Forderungen nach einem Polexit (Austritt aus der EU) gegen Ende des Wahlkampfs stimmten potenzielle Wähler*innen unzufrieden.

Zukunft in Polen: Hürden der neuen Regierung

Die Bildung einer neuen Regierung wird Zeit in Anspruch nehmen. Präsident Andrzej Duda wird diese Aufgabe wohl zunächst an eine von der PiS ernannte Person delegieren. Dafür hat er 30 Tage nach den Wahlen Zeit, ein weiterer Monat folgt, bis die Regierung ein Vertrauensvotum erhält. Die PiS wird wohl keine Regierung mit einer Mehrheit bilden können. Denn keine der anderen Parteien hat sich bisher gesprächsbereit erklärt und alleine haben sie nicht die benötigten Mandate. Aber sie brauchen diese Zeit, um Spuren der Unrechtmäßigkeiten aus ihrer Regierungsperiode zu tilgen. Erst danach werden die oppositionellen Parteien mit ihrer Mandatsmehrheit eine neue Regierung bilden können.

Der voraussichtliche nächste Premierminister, der 66-jährige ehemalige EU-Ratspräsident Donald Tusk von der Bürgerkoalition, wird vor erheblichen Herausforderungen stehen. Dazu gehören die unbekannte finanzielle Lage des öffentlichen Sektors und mögliche Zusammenbrüche in Bereichen wie dem Gesundheitswesen vor dem Hintergrund globaler Krisen. Er wird dies in einer Umgebung angehen müssen, die von einer unkooperativen Opposition, einem voraussichtlich widerstrebenden Präsidenten, einem politisierten Verfassungsgericht und einer ebenso politisch besetzten Nationalbank geprägt ist. Es wird nicht nur darum gehen, wie der Staat nach acht Jahren illiberaler Politik repariert und demokratisiert werden kann. Sondern auch darum, wie eine handlungsfähige Regierung aus drei Parteien unter dem enormen Druck von allen Seiten aufrechterhalten werden kann.

Foto: Bianca Fazacas

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