Am 25. Oktober wurde die neue Tiroler Landesregierung angelobt. Wäre es nach den Wählern unter 29 gegangen, hätte die FPÖ Tirol den Auftrag zur Regierungsbildung bekommen. Alles Nazis oder was? Das fragen sich Josefa und Alto in Innsbruck.
Drei Jahre nach dem Ibiza-Skandal sind die Freiheitlichen hinter der ÖVP zweitstärkste Partei in Tirol. Mit 18,8 Prozent erreichten sie bei der Wahl zum Tiroler Landtag rund drei Prozent mehr Stimmanteile als 2018. Obwohl Innsbruck und Umgebung tendenziell linker wählen als die Städte und Dörfer im Tiroler Ober- und Unterland, unterschied sich bei der diesjährigen Landtagswahl das Ergebnis nur unwesentlich: Auch in der Hauptstadt wählten 17,5 Prozent die FPÖ. Wenn wir nur das Ergebnis der unter 29-Jährigen betrachten, gewinnt die FPÖ sogar die Wahl: Fast ein Viertel wählte Rechtsaußen. Formale Bildung (Maturaabschluss) und Geschlecht sind ebenso Faktoren: Der klassische FPÖ-Wähler ist in Tirol ein junger Mann ohne Matura, also ein Proletarier.
Die Ergebnisse jeder Wahl sind ein Bild davon, welche Debatten und Diskurse die wahlberechtigte Bevölkerung ansprechen. Sie zeigen auf, in welchen Gesellschaftsbereichen Menschen mitbestimmen möchten und wie vergangenen Entscheidungen der Regierung eingeordnet werden. Warum also war die FPÖ so erfolgreich?
Der Wahlkampf der FPÖ Tirol
Die FPÖ-Wahlkampagne zur Tirol Wahl beginnt bereits vor dem Sommer und damit früher als bei allen anderen Parteien. Sie ist gut eingebettet in das nationalistische Parteiprogramm. Zunächst wirbt die Partei mit ihrem Dauerthema Asyl. Riesige Plakate mit einem Flugzeug, das „kriminelle Asylanten“ abschieben soll, werden landesweit aufgestellt. Später ersetzen andere Bilder den üblichen Rassismus: Frauen mit langen Haaren oder kleine Kinder mit blauen Augen vermitteln klassische Familienbilder. Inhaltliche Schwerpunkte sind aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen wie die Teuerung, geringe Löhne, Corona-Maßnahmen oder die Frage der Neutralität Österreichs im Ukraine-Krieg. Gegen Ende des Wahlkampfs wird vermehrt mit bürgerlich-freiheitlichen Schlagwörtern geworben. Provokant inszeniert sich die FPÖ im Duell mit der Tiroler ÖVP, der traditionell stärksten Macht im Bundesland.
Österreich zuerst!
In Österreich, besonders in Tirol, besitzt die arbeitende Bevölkerung kaum Klassenbewusstsein. Das hängt mit der Geschichte des Landes zusammen, das auf keine größeren Klassenkämpfe zurückschauen kann. Die wenigen Auseinandersetzungen zwischen Proletariat und besitzender Klasse wurden in der Nachkriegszeit durch Sozialdemokratie und Sozialpartnerschaft erfolgreich (schein-)befriedet. Wer kein Bewusstsein für seine soziale Herkunft hat, bezieht sich schnell auf seine Heimat als Identität. Eine falsche Trennlinie zwischen einem nationalen Innen und einem bedrohlichen Außen entsteht.
Die FPÖ Tirol tritt im Wahlkampf als jene politische Kraft auf, die diese fremdenfeindlichen Gefühle offen aus- und anspricht und Handlungsvorschläge (direkte Ausgrenzung, Repression, Abschiebung) dazu formuliert. Die Partei benutzt dazu eine plumpe Sprache und dockt an die Ablehnung von „Political Correctness“ an. Rassismus wird so zu einem Pseudo-Widerstand, der sich von der Gesamtgesellschaft abgrenzt.
Mutter, Vater, Kind
Ähnlich wie in anderen europäischen Ländern greift der Neoliberalismus in den letzten Jahrzehnten den relativen Wohlstand der Arbeiter*innen an. Widerstand dagegen gibt es kaum. Klassisch sozialistische Werte wie Solidarität oder Gemeinschaft werden durch neoliberale Ideale – zum Beispiel Konkurrenzdenken, Individualismus und Selbstoptimierung – verdrängt. Die Einsamkeit, die daraus resultiert, treibt Menschen in die traditionelle Einheit der Kernfamilie.
Die FPÖ kann existierende patriarchale Ungleichheiten in ihrem Sinne nutzen. Unverhüllte Frauen*, Homo- und Transfeindlichkeit werden zu einem vermeintlich rebellischen Markenzeichen, das sich gegen Belehrungen „von Oben“ wehrt. Ähnlich wie bei der konservativen ÖVP wird auch auf das traditionell weiße Familienbild angespielt. Mit dem Unterschied, das viel offensiver auf eine Trennung von Männern und Frauen gepocht wird, denen natürliche Charaktereigenschaften und Rollen zugeschrieben werden.
Privateigentum vor Allem
Beobachten wir die FPÖ von ihrer Gründung bis heute, fällt uns nicht nur ihre Kontinuität zur NSDAP auf. Ein großer Teil jener, die etwas zu sagen haben, sind Burschenschafter (haben also Uni-Abschlüsse), stammen aus reichen Familien-Dynastien oder besitzen im größeren Stil Produktionsmittel, wie Fabriken, Großunternehmen oder Konzerne. Auch die politischen Vorschläge der „sozialen Heimatpartei“ könnten die Kapitalinteressen kaum offener vertreten. So setzte sich die Partei in der Vergangenheit dafür ein, die Arbeitszeit zu erhöhen, die Mieten zu verteuern und die Mehrwertsteuer und damit die Preise anzuheben. Gleichzeitig laufen die Einsparungswünsche der FPÖ auf eine völlige Zerschlagung des Sozialstaats hinaus.
Trotzdem kann die Partei auch bei sozialen Themen wie der Teuerung punkten. Vom Wahl-Slogan „Löhne rauf und Kosten runter“ fühlen sich vor allem Proletarier*innen aus einkommensschwächeren Schichten angesprochen. Diese spüren die Preissteigerungen bereits massiv – zum Beispiel bei den hohen Treibstoffkosten oder beim Einkaufen im Supermarkt. Entsprechend steigt die Angst, sich Miete, Heizen und Nahrungsmittel noch leisten zu können – und leere Versprechungen fruchten.
Immerwährende Neutralität
Auch Krieg und Corona-Pandemie sind Gründe für Wähler*innenstimmen. Hier waren es vor allem die Versprechen der Partei, sich für Frieden und ein Ende der Freiheitsbeschränkungen einzusetzen. Die FPÖ schlägt ein neutrales Österreich vor, das sich für den Krieg in der Ukraine nicht interessieren sollte. In Krisenzeiten, so das patriotische Argument, muss man „an sich selbst denken“ – und sich mit Russland einen wichtigen Energielieferanten sichern.
Weniger zentral für die Wahlentscheidung der Wähler*innen, aber dennoch Teil des aufmüpfigen Images, ist die „Corona-Politik“ der Partei: Die FPÖ repräsentiert als einzige Großpartei die Corona-Leugner*innen und ihre antisemitischen Verschwörungstheorien.
Widerständische Antwort auf die FPÖ Tirol
In Tirol wie auch im Rest Österreichs baut die FPÖ ihren Erfolg auf einer scheinbaren „Opposition“ auf. Überspitzungen, Lügen, Fake-News, Stereotype, Sündenböcke und Witze auf Kosten anderer sind ihre populistischen Werkzeuge. Der typische Rechtsaußenwähler ist aber kein Rebell, sondern einer, der die „gute alte Zeit“ zurück möchte. In ständiger Angst zu sinken, tritt er nach unten und um sich.
Wer den österreichischen Freisinn wählt, ist nicht unbedingt Neonazi oder Faschist*in. Aber er und sie* haben das Potential dazu. Im Verkennen der eigenen Klasse und dem Kompensieren durch rassistische und patriarchale Denk- und Handlungsweisen nähern sich Menschen – wie schon Erich Fromm feststellte – dem autoritären Charakter und entwickeln damit das Potential, einer faschistischen Ideologie zu folgen.
Für die fortschrittlichen Kräfte in Tirol bedeutet das Wahlergebnis, dass proletarische junge Erwachsene gezielt angesprochen werden müssen. Es gilt der falschen Trennung zwischen nationalem Innen und bedrohlichen Außen aktiv etwas entgegenzusetzen, indem wir unsere ausführliche Kritik am Bestehenden und unsere Perspektiven einer befreiten Gesellschaft zugänglich machen. Dabei sollten wir aber nicht verkennen, dass es gefestigte Rechtsextreme gibt, die nicht von ihren menschenverachtenden Überzeugungen ablassen werden. Diesen Teil der Bevölkerung müssen wir als Gegner eines guten Lebens erkennen. Das sind wir den Betroffenen der von ihnen ausgeübten Diskriminierung und Gewalt schuldig.