Protest beim Flugverkehrs-Gipfel: “Wir haben es auf die Agenda geschafft”

Im Rahmen des europäischen Gipfels für Flugverkehr, des “European Aviation Summits”, beraten in Wien PolitikerInnen mit VertreterInnen der Fluggesellschaften über die Zukunft des europäischen Flugverkehr. NGOs waren nicht erwünscht. Für die Aktivistin Mira Kapfinger Grund genug, zu intervenieren. Während EU-Kommissarin Violeta Bulc über die Zukunft des Flugverkehrs referierte, betrat Kapfinger die Bühne und ergriff das Wort. Wir haben sie wenige Minuten danach interviewt.

mosaik: Wie zufrieden bist du mit der Aktion?

Mira Kapfinger: Es war noch besser, als wir es uns vorgestellt haben. Sie haben mich drei Minuten sprechen lassen. Ich habe darüber geredet, dass es keinen “grünen” Flugverkehr gibt und dass eine Frechheit ist, dass die Betroffenen am Gipfel nicht teilnehmen dürfen. Bei den Redebeiträgen danach haben sich die PolitikerInnen, zum Beispiel auch Norbert Hofer, immer wieder auf meine Intervention bezogen und in gewisser Weise auch gerechtfertigt. Wir haben es also geschafft, die Agenda zu beeinflussen. Auch wenn das die OrganisatorInnen verhindern wollten.

Warst du überrascht davon, dass du nicht von der Bühne geführt worden bist?

Um ehrlich zu sein, ja. Aber das ist wohl die Strategie. Die Leute geben sich offen und tolerant und wollen zumindest nicht den Eindruck vermitteln, dass sie nur drüberfahren. Aber das ist nicht aufrichtig. Wir haben uns um die Teilnahme am Gipfel bemüht, sind aber nicht zugelassen worden. Das wollten wir nicht hinnehmen. Jetzt haben wir uns so eine Stimme verschafft.

Ihr habt euch für euren Protest die Pressekonferenz des „European Aviation Summits“ ausgesucht, des Europäischen Luftfahrtgipfels. Was passiert dort eigentlich genau?

Auf dem Gipfel treffen sich die Spitzen von Politik und Luftfahrt-Industrie. Dazu gehören die EU-Verkehrskommissarin Violeta Bulc, VerkehrsministerInnen wie Norbert Hofer, VertreterInnen von Luftfahrtbehörden und von Flugunternehmen. Das Programm ist nicht öffentlich und Medien werden bis auf die Pressekonferenz nicht zugelassen. Auch Zivilgesellschaft und NGOs waren ausgeschlossen. Ich konnte nur herausfinden, dass Umwelt und Klima kein Thema sind.

Was stört euch so am Fliegen?

Das Flugzeug ist das klimaschädlichste Verkehrsmittel, das es gibt. Noch dazu steigen die Emissionen, also der Ausstoß von Schadstoffen, in diesem Bereich am stärksten. Und die Industrie will weiterwachsen: In den nächsten zwanzig Jahren will sie die Anzahl der Flugzeuge und der geflogenen Kilometer verdoppeln. Derzeit sind weltweit 1.200 neue Flughäfen oder Ausbauten geplant.

Aber die EU bekennt sich doch zum Pariser Klimavertrag und dazu, den CO2-Ausstoß zu reduzieren.

Ja, aber sie tut das Gegenteil. Die EU stellt das ständige Wachstum des Flugverkehrs nicht in Frage. Im Gegenteil, er wird sogar massiv staatlich gefördert. Es gibt keine Diskussionen darüber, wie der Verkehr auf die Schiene verlagert oder das Urlaubsverhalten der Menschen geändert werden könnten. Zugleich zeigt die EU mit dem Finger auf Trump, weil der aus dem Pariser Vertrag ausgestiegen ist. Das ist einfach verlogen.

Eine positive Ausnahme ist Labour in Großbritannien. Sie haben nach viel zivilgesellschaftlichem Druck nun eine progressive Ticketsteuer in ihr Parteiprogramm aufgenommen. Wer einmal im Jahr fliegt, soll kaum Steuern zahlen. Wer dagegen ständig ins Flugzeug steigt, zahlt immer mehr. Das finde ich sinnvoll, denn Studien zeigen, dass Fliegen ein Klassenphänomen ist. Weltweit fliegen nur die reichsten zehn Prozent der Bevölkerung, und auch innerhalb Europas fliegen vor allem die wohlhabenderen Menschen.

Du hast gesagt, dass der Flugverkehr staatlich gefördert wird. Wie?

Anders als Treibstoffe wie Benzin, Diesel oder Heizöl wird Kerosin in so gut wie keinem Land der Welt besteuert. Auch Flughäfen zahlen fast überall, auch in Österreich, keine Grundsteuer. Und Flugtickets sind sogar von der Mehrwertsteuer befreit. Es gibt nur kleine Abgaben darauf, und die österreichische wurde gerade halbiert.

Brot und Milch sind deutlich höher besteuert als Kerosin und Flugtickets. Fliegen ist aber im Gegensatz zu essen kein Grundbedürfnis! Wenn ich von Wien nach Brüssel möchte, stehe ich vor der Wahl: Nehme ich das Flugzeug oder den teilweise doppelt so teuren Zug? Dieser Preisunterschied ist politisch gemacht und könnte auch umgekehrt sein.

Die Industrie wirbt damit, dass das Wachstum der Luftfahrt ab 2020 „CO2-neutral“ werden soll. Was die Flugzeuge an Schadstoffen ab 2020 zusätzlich ausstoßen, soll an anderer Stelle eingespart werden. Ihr kritisiert das als „Greenwashing“, also als PR-Strategie, mit der sich die Flugindustrie ein umweltfreundliches Image gibt, ohne etwas zu ändern. Warum?

Es gibt keine CO2-neutralen Flüge, das ist Unsinn. Hinter der Behauptung stecken sogenannte Offsets, also Ausgleichsmaßnahmen für die freigesetzten Schadstoffe. Sie sind das Herzstück eines neuen UNO-Abkommens namens CORSIA, auf Deutsch „Kohlenstoff-Ausgleichs- und Reduzierungssystem für den internationalen Flugverkehr“. Dieses Abkommen tritt 2021 in Kraft.

CORSIA folgt dem Prinzip: Eine Firma baut zum Beispiel ein Wasserkraftwerk in Brasilien. Für die Schadstoffe, die dadurch vermieden werden, erhält sie Emissions-Zertifikate. Diese verkauft sie an Fluglinien in Europa oder den USA, die dafür weiterwachsen.

Was ist daran falsch?

Eine Studie des deutschen Ökoinstituts für die EU-Kommission hat gezeigt, dass nur 2 Prozent der Offset-Bauten zusätzlich entstehen. Die meisten anderen Projekte waren ohnehin geplant. Das Wasserkraftwerk aus dem Beispiel wäre sowieso gebaut worden, weil es Profite abwirft.

Oft kommt es bei diesen Projekten auch zu Menschenrechtsverletzungen. Ein Beispiel dafür ist ein Waldschutz-Projekt in Madagaskar, dessen Effekt künftig als Offset-Zertifikat verkauft werden könnte. Eine Untersuchung der Uni Bangor hat gezeigt: Um den Wald zu schützen, wurden die dort lebenden Menschen an ihrer traditionellen Landwirtschaft gehindert. Für die Ernteausfälle haben sie wenig bis gar keine Kompensation erhalten. Das Projekt schadet insgesamt 27.000 Menschen.

Arme Menschen im globalen Süden, die nichts für die Klimakrise können und von ihren Folgen ohnehin besonders stark betroffen sind, müssen also ihr Leben über den Haufen werfen, damit reiche Menschen im Norden ihre imperiale Lebensweise länger aufrechterhalten können. Umweltorganisationen warnen bereits, dass die Flugindustrie als Folge von CORSIA zu einem neuen globalen Treiber von Entwaldung, Landraub und Menschenrechtsverletzungen werden könnte.

Die BefürworterInnen argumentieren: Der Markt wird zumindest dafür sorgen, dass die Zertifikate teurer werden und damit der finanzielle Druck auf die Fluglinien steigt, wodurch sie effizienter werden.

Die zuständige UNO-Organisation ICAO schätzt selber, dass die Offset-Kosten 2030 zwischen 0,5 und 1,5 Prozent der Gesamteinnahmen der Flugindustrie betragen werden. Das ist weniger, als Schwankungen des Kerosinpreises ausmachen. Alleine das zeigt, dass dieses Instrument völlig zahnlos ist.

Bis 2030 sollten die Flugverkehrs-Emissionen eigentlich gegenüber 2005 um 39 Prozent gefallen sein. Nur dann können wir den globalen Temperaturanstieg auf 2 Grad begrenzen und die schlimmsten Folgen der Klimakrise verhindern. Davon kann keine Rede sein.

Der Markt ist das falsche Mittel, um unsere Lebensgrundlagen zu retten. Wir müssen den Flugverkehr politisch begrenzen und wo irgendwie möglich durch andere Transportmittel ersetzen.

Es ist klar, dass wir das Klima nur retten können, wenn sich die große Politik ändert. Aber wie groß ist die Verantwortung, die wir als einzelne tragen? Bringt es etwas, weniger zu fliegen?

Ja, das bringt auf jeden Fall etwas. Jeder einzelne Flug hat eine Auswirkung auf das Klima. Allerdings werden Änderungen im individuellen Verhalten nicht ausreichen, wenn sich die politischen Rahmenbedingungen nicht ändern. Um das durchzusetzen, müssen wir aber auch sichtbar machen: Eine Lebensweise, die nicht mit ständigem Fliegen verbunden ist, kann schön sein. Ich fliege seit vielen Jahren nicht mehr und vermisse es nicht.

Eure Aktion ist Teil von weltweiten Aktionswochen des Netzwerks „Stay Grounded“. Wer ist das?

„Stay Grounded“ ist ein neu gegründetes Netzwerk, das das ungebremste Wachstum des Flugverkehrs stoppen will. Über 110 Organisationen aus 19 Ländern von Österreich bis Marokko, von den USA bis Indonesien sind dabei. Wir haben diese Woche einen Aktionsplan vorgestellt, der zeigt, wie wir mit 13 Schritten das Transportsystem ökologisch und sozial gerecht umbauen können.

Mira Kapfinger koordiniert das Netzwerk Stay Grounded und ist bei System Change, not Climate Change aktiv.

Interview: Valentin Schwarz und Moritz Ablinger

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