EU-Asylreform: Kontinuität strategischen Scheiterns

Zaun

Die neuste Verschärfung der EU-Asylregeln ist ein weiterer Schritt Richtung Aushöhlung der Menschenrechte. Seit der Einführung der UN-Menschenrechtscharta änderten sich globale Machtkonstellationen deutlich – und parallel dazu die Bedeutung der Grundrechte, schreibt Dejan Aleksić.

Im letzten Jahr stieg die Anzahl der Asylanträge in der Europäischen Union beträchtlich – ein Symptom, das politische Akteur*innen als Ursache behandeln und immer skrupelloser anprangern. Ende 2023 eskalierte die Lage: Um Migration zu bremsen, verkündete EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen einen repressiven 10-Punkte-Plan, Deutschlands sozialdemokratischer Kanzler Olaf Scholz warb für „Abschiebungen im großen Stil“ und die EU einigte sich offiziell auf die Verschärfung des Asylrechts.

Die Reform ist zum Scheitern verurteilt. Die Verschärfung des Asylrechts wird weder die Zahl der Asylanträge reduzieren noch die der Abschiebungen erhöhen, kritisieren Migrationsforscher*innen und Hilfsorganisationen. Zudem sei das Vorhaben nicht mit den Grundrechten vereinbar. Ein menschenrechtliches Debakel, von dem gewisse Akteur*innen konsequent profitieren. Wie konnte es so weit kommen?

Blick zurück: Die eurozentrische Wende

Offiziell anerkannt wurde das Recht auf Asyl erst unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg. Dazu führte vor allem die Notlage in Europa: Millionen Menschen flohen vor dem Krieg, darunter viele Deutsche. Lang galt das Recht nur für Europa, erst 1967 wurde es auf die gesamte Welt ausgedehnt. Dies ging als die menschenrechtliche Wende in Geschichtsbücher ein. Tatsächlich lagen dieser Entwicklung vor allem die Machtverhältnisse jener Epoche zugrunde.

Europas Selbstverpflichtung zum Schutz von Geflüchteten geschah zu einem Zeitpunkt, als Europäer*innen wie nie zuvor in der Geschichte von Vertreibung betroffen wurden. Solange ebenjene Europäer*innen während der Kolonialepoche Vorherrschaft genossen und sich Gräueltaten überwiegend weit weg vom europäischen Boden abspielten, kam es zu keinem Konsens über ein universelles Recht auf Schutz vor Verfolgung. Zudem pochte der Westen auf Menschenrechte als Kontrastprogramm zum Ostblock, nicht zuletzt aus utilitaristischen Gründen. Große Geflüchtetenbewegungen stellten ein politisches Risiko dar – gerade zu Beginn des Kalten Krieges war die Kontrolle dieses Unruhepotenzials ein strategischer Imperativ.

Pervertierung der Menschenrechte“

Alternative Lösungen zum besorgniserregenden Zustand der Menschenrechte nach dem Zweiten Weltkrieg suchten neben UN-Delegierten auch die im Rahmen der Mont-Pèlerin-Gesellschaft organisierten Theoretiker*innen des Neoliberalismus. Während die UN eine Reihe von sozialen und ökonomischen Grundrechten definierte, beharrte das andere Lager auf einer marktgesteuerten Gesellschaft als einzig legitimen Weg zur Freiheit. So setzten sie die Essenz der westlichen Zivilisation mit individueller Freiheit und Eigenverantwortung gleich, staatliche Interventionen hingegen mit Totalitarismus.

Als emanzipatorische Ideen der Nachkriegszeit mit dem Ende des Kalten Krieges endgültig an Relevanz verloren, etablierte sich die neoliberale Deutungshoheit – eine Entwicklung, die Philosophin Jessica Whyte als Verfälschung und Pervertierung der Menschenrechte bezeichnet. Freiheit und Gerechtigkeit beruhten fortan auf den Gesetzen des freien Markts. Damit einher ging die Akzeptanz der Folgen einer wettbewerbsorientierten Ordnung. Dies implizierte die ethische Legitimität kolonialbedingter rassistischer Machtkonstellationen – ein solider moralischer Ansatz für die Überzeugung, Europa trage keine Verantwortung für Schicksale der Geflüchteten aus dem Globalen Süden. Der Fakt, dass eine neutrale rechtliche Institution – international garantierter Schutz vor Verfolgung – überwiegend nicht-weiße und nicht-christliche Menschen beanspruchen, wird ihr in einem konservativ-rassistischen Klima des späten Neoliberalismus zum Verhängnis.

Krieg gegen Geflüchtete: grausam aber lukrativ

Die moralische Relativierung der Menschenrechte hat auch materielle Auswirkungen. Neoliberale Deutungsmuster bewerten das Recht auf Asyl als illegitim und machen somit Asylsuchende zu Zielscheiben von Ausbeutung und Gewalt. Die Eindämmung von Asylanträgen scheiterte nicht ein Jahrzehnt lang aufgrund unvorhersehbarer Ereignisse, sie war von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Was funktioniert, ist das lukrative Business des „Krieges“ gegen Geflüchtete.

Hinter dem Elend der Menschen auf der Flucht gedeiht ein Netzwerk von Profiteur*innen. In erster Linie gewinnen autoritäre Regime jener Staaten, mit denen EU-Abkommen zwecks Auslagerung des Grenzschutzes schließt. Zudem blüht das Grenzschutz-Business. Das Budget der europäischen Grenzschutzagentur Frontex und der Wert des rapide wachsenden Marktes der Sicherheitstechnologien erreichen inzwischen enorme Ausmaße. Involviert sind ebenso politische Eliten, die einerseits durch den Fang nationalistischer Stimmen und andererseits durch Ablenkung von realen Problemen wie Ungleichheiten, materieller Unsicherheit und Klimakatastrophe politische Punkte sammeln. 

Gerade vor den kommenden Europa-Parlamentswahlen standen Entscheidungsträger*innen unter Zugzwang, sich handlungsfähig zu zeigen – daher die übertrieben feierliche Stimmung nach der Einigung. Zweifellos bleibt aber der Kurs nach der neuen EU-Asylreform unverändert – ein strategisches Scheitern und konsequentes Züchten einer humanitären Krise für egoistische Zwecke. Obwohl die Reform nun feststeht, sind im Falle der Veränderung von Kräfteverhältnissen nach den Wahlen weitere Turbulenzen nicht ausgeschlossen. In Anbetracht des Aufschwungs der rechten Parteien in Europa eine aus menschenrechtlicher Sicht potentiell fatale Entwicklung. Ein Blick in die Geschichte zeigte, dass auch wesentlich größere Fluchtbewegungen zu bewältigen sind. An materiellen Bedingungen fehlt es gewiss nicht, es fehlt nur der Wille.

Foto: Martin Olsen

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