Bauernproteste: Kräfteverhältnisse am österreichischen Land

Wir haben es satt-Demonstration

Seit Anfang Jänner gehen Bilder der deutschen Bauernproteste durch die Medien. Was mit Wut über gestrichene Subventionen begann, warf schnell weitere politische Fragen auf. Wie sieht die Situation in Österreich aus? Wie ist die Macht am Land verteilt, welche Forderungen haben progressive Strukturen und inwiefern werden diese umgesetzt? Das wollte mosaik-Redakteurin Sarah Yolanda Koss von Franziskus Forster, ÖBV – Via Campesina Austria, wissen.

mosaik: Beginnen wir das Gespräch mit einem Blick nach Deutschland. Die Proteste dort hatten ihren Ausgangspunkt in der Streichung der Agrardiesel-Subventionen sowie der Steuerbefreiung landwirtschaftlicher Fahrzeuge. Die deutsche Bundesregierung nahm diese Beschlüsse bald wieder zurück, trotzdem gingen die Proteste weiter. Warum?

Franziskus Forster: Die Proteste in Deutschland haben eine längere Vorgeschichte, die Konflikte sind weitreichend. Das gilt auch für die Protestbewegungen in Frankreich oder den Niederlanden. Viele Betriebe und Höfe stehen mit dem Rücken zur Wand, sie sind ökonomisch stark unter Druck, die Preise schwanken, die Kosten und die Verschuldung sind hoch. Hinzu kommen die Auswirkungen der Klimakrise und gesellschaftlicher Druck, viele fühlen sich als Sündenböcke abgestempelt. Gleichzeitig gibt es eine Reihe von immer neuen bürokratischen Auflagen, die langfristige Planung erschweren. Zugleich wurden von der Politik Fragen zur Zukunft der Landwirtschaft immer wieder aufgeschoben oder ignoriert. Dieser Zustand trifft nahezu alle Höfe – trotz ihrer Diversität. Insofern gibt es bereits lange einen großen Unmut. Die erwähnten Streichungen haben das Fass zum Überlaufen gebracht.

Wichtig ist, dass nun auch jene Bauern protestieren, die bisher vorbildlich das gemacht haben, was ihnen von Politik, Wissenschaft, Beratung und (Agrar-)Medien in der Vergangenheit empfohlen wurde: Sie haben ihre Höfe vergrößert, die Tierzahlen und Produktionsmengen erhöht, die Betriebe durchrationalisiert. Zugleich haben sie negative Folgen (Schulden, Arbeitsüberlastung, ökologische Auswirkungen, Höfesterben etc.) in Kauf genommen. Sie haben alles versucht, um dem Anspruch der Billigproduktion zu genügen, das war und ist mit viel Leid und Druck verbunden.

Von wem genau sprechen wir denn eigentlich, wenn es um „Bäuer:innen“ in Österreich geht? Das ist ja eine diverse Gruppe…

Ja, das ist ein wichtiger Punkt. Es gibt eben nicht „die Landwirtschaft“ oder „die Bauern“. Oft werden Unternehmen mit gegensätzlichen Interessen „der“ Landwirtschaft zugerechnet, etwa Molkereien, Saatgut- Agrarchemie-, Düngemittel- oder Futtermittelindustrie. Bei den Bäuer:innen sollte nach der Größe (Flächen und Kapitaleinsatz), nach der Bewirtschaftungsweise (Was und wie wird produziert?), nach dem Standort (z.B. naturbedingte Nachteile, etwa in der Berglandwirtschaft versus Gunstlagen) und auch nach Vermarktungsweise (Für wen wird produziert? Regional oder Weltmarkt?) differenziert werden. Agrarindustrielle, unternehmerische und bäuerlich-agrarökologische Landwirtschaft haben hier unterschiedliche Strategien und Interessen. Durchschnittswerte sagen sehr wenig aus. Die Unterschiede sind gravierend, die Realitäten dementsprechend auch.

Und diese Betriebe haben unterschiedliche politische Ansprüche…?

Ja. Seit Jahrzehnten wird eine Agrar- und Handelspolitik forciert, die die Ungleichheiten weiter vertieft und die eine Ausrichtung auf „maximale Produktionsleistung“, Wachstum und Weltmarkt forciert. Das geht auf Kosten von kleinbäuerlich-agrarökologischen Strategien. Zugleich sind gerade hier sehr viele Höfe zu finden, die sich dem Höchstleistungsmodell widersetzt haben und aus eigener Kraft alternative Systeme aufgebaut haben. Doch hier liegen viele Steine im Weg, was in der agrarpolitischen Debatte oftmals ignoriert wird.

Andererseits gibt es viele Betriebe, die sich auf die Vorgaben von der Politik die extrem schwierigen Auflagen und Verhandlungsbedingungen gegenüber Supermärkten und Händlern ausgerichtet haben und mit diesen tagtäglich ringen.

Es braucht hier insgesamt neue und gangbare Perspektiven und Auswege. Aus meiner Sicht braucht es zugleich auch eine Diskussion darüber, was uns in diese Lage gebracht hat. Das würde helfen, um aus dieser frustrierenden Sündenbock-Zuweisung herauszukommen und politische und ökonomische Rahmenbedingungen, aber auch die Widersprüche bei gesellschaftlichen Ansprüchen klarer und offener zu diskutieren.

Ein weiterer wichtiger Punkt: Meistens sprechen wir in der männlichen Form von „den Bauern“.  Die Frage der Geschlechtergerechtigkeit, wie es Bäuerinnen und Frauen am Land geht, geht häufig unter. Auch bei den aktuellen Bauernprotesten. Dabei stecken gerade in dieser Frage viele Möglichkeiten, Agrarpolitik anders zu denken.

Stichwort Agrarpolitik anders denken: In Deutschland gab es gerade die Demonstration des Bündnisses „Wir haben es satt“. Welche progressiven Kräfte gibt es am österreichischen Land?

Diese Demonstration in Deutschland gibt es alljährlich, sie findet immer zu Beginn der „Grünen Woche“ statt. Das Bündnis dazu existiert schon lange, dabei sind Umweltorganisationen, Entwicklungsorganisationen und die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL). Die AbL ist ebenso wie wir eine Mitgliedsorganisation bei La Via Campesina.

Auch in Österreich arbeiten wir in Bündnissen. Gemeinsam versuchen wir, Druck aufzubauen. Neben unserer agrarpolitischen Allianz geht es bei der Plattform „Anders Handeln“ um eine andere Handelspolitik. Am Land arbeiten wir über unsere Arbeits- und Regionalgruppen an konkreten Initiativen, wir organisieren Veranstaltungen und basisorientierte Bildungsarbeit. Wir arbeiten auch immer wieder mit Kulturinitiativen, ernährungspolitischen Initiativen, kritischen Wissenschafter:innen und anderen sozialen Bewegungen zusammen. Wir wollen  Alternativen sichtbar machen und stärken. Ein wichtiger Ansprechpartner ist dabei auch die Nyéléni-Bewegung für Ernährungssouveräntität

Welche Themen einen die Bäuer:innen im Hinblick darauf, wie divers ihre Realitäten sind?

Der Anspruch, dass man von der eigenen Arbeit leben kann, dass es Anerkennung und verlässliche Rahmenbedingungen braucht und dass es Handlungsspielräume direkt vor Ort geben muss.

Zugleich sind alle mit einer Agrarlobby konfrontiert, die darauf setzt, wichtige Fragen aufzuschieben, Lösungen zu blockieren und in Allianz mit der Agrarindustrie ein „Weiter wie bisher“ fortzusetzen. Das kam in den letzten Jahren besonders stark bei den Debatten zum „Green Deal“ zum Ausdruck. Der Agrarlobby ist es weitgehend gelungen, progressive Forderungen abzuwehren. Wir haben eine soziale und agrarökologische Wende und mehr Verteilungsgerechtigkeit eingefordert. Zwar haben sich neue Spielräume geöffnet, aber letztlich ist die Agrarlobby in ihrer Abwehr erfolgreich gewesen.

Agrarpolitisch wäre es aber dringend notwendig, Fragen der wirtschaftlichen Absicherung mit einer Vision der Landwirtschaft zu verbinden, die auch Klima- und Biodiversitätsziele besser einlösen kann. Diese Verknüpfung fehlt weiterhin. Auch daher kommt die Unzufriedenheit der Bäuer:innen. Vielen ist klar: Es braucht eine Vision, in der sichere Arbeits- und Existenzbedingungen konkret mit einer sozialökologischen Wende verbunden werden.

Unter dem Begriff „sozialökologische Wende“ kann ich mir gleichzeitig einiges und wenig vorstellen. Hast du Beispiele eurer Arbeit zu diesem Schwerpunkt?

Hier geht es um viele gesellschaftliche Fragen: Billigst produzierte Lebensmittel gehen mit einer sozial-ökologischen Wende nicht zusammen. Wir arbeiten daran, Alternativen sichtbar zu machen. Es geht um eine Landwirtschaft, die standortangepasst, nachhaltig und regional wirtschaftet. Ein solidarisches Wirtschaften auf Augenhöhe, faire Preise und gute Arbeitsbedingungen. Eine Landwirtschaft, in der nicht nur einzelne auf Kosten von allen anderen ihre Gewinne maximieren, sondern in der die vielen Dimensionen der Landwirtschaft Platz haben. Dabei geht es um eine gute Versorgung mit Lebensmitteln für die Menschen, es geht um Vermarktungskanäle jenseits der machtkonzentrierten Supermärkte, es geht um Infrastrukturen für ein agrarökologisches Ernährungssystem.

Wir arbeiten an Bündnissen mit Konsument:innen und an Initiativen zur Bündelung von gemeinsamen Interessen. Hier leisten wir seit 50 Jahren Bildungs- und Organisierungsarbeit und unterstützen dabei, konkrete Initiativen voranzubringen. Ausgangspunkt sind dabei immer die Realitäten auf den Höfen.

In Österreich sind Bäuer:innen durch die ÖVP stark im Parlament verankert. Wie wirkt sich das auf die landwirtschaftliche Praxis aus?

In Österreich haben wir eine große Dominanz des Bauernbunds, das ist bereits sehr lange der Fall. Die Verankerung in der „dreifaltigen“ Ausprägung reicht von der Landwirtschaftskammer über die Raiffeisen-Ableger bis ins Landwirtschaftsministerium und das Parlament. Diese Übermacht macht es anderen Kräften schwer, Einfluss zu nehmen.

Im Alleinvertretungsanspruch und Standesdenken des Bauernbunds werden die Problemlagen und Unterschiede unter den Bäuer:innen nivelliert und Alternativen an den Rand gedrängt. Dadurch werden viele reale Konflikte nicht ausgetragen und bearbeitet, teilweise aus Loyalität, teilweise aus Ohnmachtspositionen heraus. Insgesamt stützt der Bauernbund ein Agrarmodell, bei dem seit Jahrzehnten wenige gewinnen und das Höfesterben von vornherein mitakzeptiert, ignoriert oder als individuelles Versagen verbucht wird. Deswegen braucht es eine Demokratisierung der Agrarpolitik und eine bessere Repräsentation der unterschiedlichen Interessen. Wir sind jetzt an einem Punkt, an dem die Rechnung einer jahrzehntelangen Blockadehaltung präsentiert wird. Darum brauchen wir dringend neue Perspektiven.

In Deutschland kaperten rechte Gruppierungen die Proteste der Bäuer:innen, ähnliches versuchte die FPÖ vergangene Woche in Wien. Wie realistisch ist eine rechte Vereinnahmung bäuerlicher Ansprüche?

Ich würde die Bauernproteste auf keinen Fall pauschal als rechts abstempeln, viele haben sich klar abgegrenzt und das ist wichtig. Aber die Gefahr der Verschiebung nach rechts und der Vereinnahmung von rechts existiert. In den letzten Jahren wurden vor allem über Social Media viele rechte Netzwerke aufgebaut, so funktioniert auch der internationale Austausch. Die Zahl von Höfen und Initiativen am Land wächst, die hier in rechten Netzwerken aktiv sind. Abgrenzung alleine wird nicht reichen, um mit diesen Prozessen umzugehen. Die FPÖ-Demo war letzten Freitag nur mäßig erfolgreich, aber das sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass es hier Gefahren gibt. Deswegen ist es wichtig, sich weiter einzumischen, die Probleme nicht zu negieren und gleichzeitig klare Kante zu zeigen. Da sind wir mittendrin. Wichtig wird auch die Frage sein, wie die kommenden Wahlen ausgehen werden.

Was bedeutet das konkret? Also, was ist dementsprechend der aktuelle Fokus eurer Arbeit bei der ÖBV-Via Campesina?

Wir arbeiten in unserer Bildungsarbeit zu diesen Themen: Der erste Schritt ist der Austausch von Erfahrungen und die gemeinsame Entwicklung von Strategien. Zugleich sind wir als La Via Campesina international vernetzt und entwickeln hier gemeinsame solidarische und demokratische Positionen und Strategien. In Bündnissen und in unserer täglichen Arbeit versuchen wir, das umzusetzen. Aber auch hier braucht es zugleich immer auch breite gesellschaftliche Antworten.

Foto: Nick Jaussi/www.wir-haben-es-satt.de

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