Aus Corona nichts gelernt: Wie unser Gesundheitssystem weiter kaputtgekürzt wird

Die Corona-Krise hat gezeigt, dass unser Gesundheitssystem erhalten und ausgebaut werden muss. Doch im Hintergrund passiert das Gegenteil, zeigt Wilfried Leisch: ÖVP-nahe Chefs wollen die Allgemeine Unfallversicherung AUVA zerschlagen und Krankenhäuser zusperren. Sie erhoffen sich profitable Immobiliengeschäfte mit freiwerdenden Gebäuen und Grundstücken.

Die ÖVP-FPÖ-Regierung hat 2018 dafür gesorgt, dass Unternehmen weniger in die Allgemeine Unfallversicherung AUVA einzahlen müssen  mosaik hat darüber berichtet. Seither warnen die AUVA-Beschäftigten vor den nachteiligen Folgen für Patient*innen. Nun drohen die Befürchtungen Realität zu werden. Große Teile des Reha-Zentrums Weißer Hof sollen zum Unfallkrankenhaus Meidling verlagert, die mobile Reha dort ausgebaut werden. Der Weiße Hof soll bis 2026 in der derzeitigen Form geschlossen werden, eine „Nachnutzung“ sei vorgesehen.

Private Baukonzerne und Immobilienentwickler reiben sich schon jetzt die Hände. Pläne für einen schon einmal von der Bevölkerung abgelehnten Golfplatz werden wieder gewälzt. Der Klosterneuburger ÖVP-Bürgermeister Schmuckenschlager nennt als Beispiel für eine mögliche Nachnutzung des Weißen Hofs das private „Gesundheitsressort Donaupark“. Statt eines öffentlichen Rehabilitationszentrums für alle soll es also eine Privatklinik für betuchtes Klientel geben.

Weniger Betten, weniger Qualität

Auch das Unfallkrankenhaus Lorenz Böhler (LB-UKH) in Wien ist bedroht. Im Jänner 2020 informierte die AUVA-Generaldirektion die Beschäftigten, dass es in Zukunft eine „Kooperation“ mit anderen Krankenhäusern geben soll. Ab Oktober 2020 soll eine verpflichtende Rotation alle drei Monate beginnen. Für Beschäftigte, Gewerkschaft, Ärztekammer und prominente Ärzte ist das der Beginn vom Ende des LB-UHK.

Für die Patient*innen der bald Zwei-Millionen-Stadt Wien sind das schlechte Nachrichten. Statt die hohe Behandlungs- und Heilungsqualität zu erhalten und das Gesundheitssystem auszubauen, werden Betten abgebaut. Die Rotation bringe keine „Verbesserung der Fachkenntnisse“, sondern führe nur „zur Zerstörung von gut eingespielten Teams und damit zu einem Qualitätsverlust“, so der Vizepräsident der Ärztekammer Wien, Wolfgang Weismüller. Würden künftig große Operationen nur mehr in Meidling durchgeführt, könne das zu einem „Verlust der OP-Kapazitäten und zur schlechteren Versorgung der Patienten führen“.

Auch für die Betriebsräte des Unfallkrankenhauses Lorenz Böhler ist die drohende Abwicklung des Krankenhauses, das etwa hervorragendes Know-How im Traumazentrum bündelt, untragbar. Rudolf Silvan, Mitglied des AUVA-Verwaltungsrates, hat die Online-Petition Rettet das Lorenz Böhler UKH gestartet. Ob das genügt, ist fraglich. Denn vieles passiert im Hintergrund. Die Begehrlichkeiten von Industriellenvereinigung, privater Gesundheits- und Immobilienwirtschaft sind groß. Die türkis-grüne Regierung und die ÖVP-Führung in der AUVA wollen diese möglichst still und leise aushungern. So wollen sie rechtzeitigen und wirksamen Widerstand gegen ihre Pläne verhindern.

Wie die AUVA ausgehungert wird

Schon Türkis-Blau senkte die Beiträge der Unternehmen zur AUVA  und kürzte damit ihr Budget um 150 Millionen Euro. Das ist rund ein Zehntel des jährlichen Gesamtbudgets der AUVA. Selbst ihr gesamter Verwaltungsbereich kostet nur 90 Millionen Euro. Diese Kürzung ist also nicht durch „Sparen im System“ zu bewältigen. Eine weitere Senkung der Beiträge ist zwar laut türkis-grünem Regierungsprogramm momentan nicht vorgesehen. Die Industriellenvereinigung drängt aber weiter massiv darauf.

Allein durch den Corona-bedingten Anstieg der Arbeitslosenzahlen sind der AUVA dieses Jahr bislang weitere rund 100 Millionen Euro entgangen. Schon jetzt musste die AUVA daher Rücklagen auflösen, um ihren Arbeitsauftrag (Prävention, Unfallbehandlung, Rehabilitation, Unfallrentenauszahlung) erfüllen zu können. Schon 2022 wird die AUVA weiteres Geld verlieren. Dann endet, wie Türkis-Blau beschlossen hat, die Refundierung der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) für Leistungen, die die AUVA für sie erbringt. Dazu kommt, dass Kanzler Kurz der AUVA die geplante Pflegeversicherung umhängen will. Dann gäbe es weitere Einnahmenausfälle – und der Ruf nach weiteren Kürzungen wäre vorprogrammiert.

Verkauf von AUVA-Krankenhäusern droht

Eines der wichtigsten, aber gleichzeitig am wenigsten öffentlich diskutierten Vorhaben der ÖVP-FPÖ-Regierung war die Installierung einer AUVA-GesmbH. Diese soll bis 2021 die Krankenhäuser und Rehabilitationszentren der AUVA übernehmen. Derzeit wird dort das Personal zur Gänze von der AUVA überlassen. Ab einer gewissen Größe (250 Beschäftigte) könnte die neue GesmbH mittels eines zu gründenden Aufsichtsrates neue Verträge und einen neuen Kollektivvertrag ausverhandeln. Sie könnte dann auch neue Geschäftsfelder schaffen und sie am „freien Markt“ anbieten. Diese wären dann nach Bundesvergabegesetz ausschreibepflichtig. So könnten Krankenhausverwaltungen neu ausgeschrieben, sprich letztlich auch verkauft bzw. privatisiert werden.

Während die AUVA derzeit noch nach gesetzlichem Auftrag die „bestmögliche Versorgung“ für die Patient*innen zu leisten hat, gilt dann das Profitprinzip. Eine reine Reparaturmedizin könnte die Folge sein. Wer mehr und bessere Heilung will, länger gesünder leben will, müsste dann privat zahlen.

Warum das alles? Die großen Unternehmen, die von der Industriellenvereinigung vertreten werden und auch in der Regierung diesbezüglich Druck machen, wollen schlicht nicht mehr für Arbeitsunfälle ihrer Beschäftigten bezahlen. Sollte die AUVA erfolgreich ausgehungert werden, müsste die Unfallversicherung der Arbeiter*innen und Angestellten anders gewährleistet werden. Die Arbeitsunfälle könnten dann bei der Pensionsversicherungsanstalt (PVA) landen. Mit der gravierenden Folge, dass es dann keine Unfallrenten, sondern bestenfalls nur mehr die Invaliditäts- bzw. Berufsunfähigkeitspension gibt, die schon jetzt immer schleppender gewährt werden.

Ähnliches droht der Krankenversicherung

Die Vorgänge bei der AUVA sollten aber auch Warnung für andere Beschäftigte und ihre Vertretungen sein. Die AUVA-GesmbH könnte auch andere Einrichtungen der Sozialversicherung übernehmen. Die Industriellenvereinigung hat diese Idee intern bereits ventiliert. Logisches Ziel wäre die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK), in der sieben Millionen Menschen krankenversichert sind. Die ÖGK ist durch die Zusammenlegung der Krankenkassen neu geschaffen worden. Die türkis-blaue Fusion hat bereits jetzt mutwillig ein Millionendefizit verursacht.

Die Corona-Krise wird die Finanzsituation der ÖGK weiter verschlechtern. Die extrem hohe Arbeitslosigkeit und Firmenpleiten führen zu weniger Beitragseinnahmen. Die Schulden der Unternehmen bei der ÖGK betragen bereits mehr als eine Milliarde Euro. Ihr Defizit droht auf mehrere Milliarden anzusteigen. Ähnlich wie in der AUVA nehmen auch hier die Interessenvertretungen der Unternehmer*innen das Defizit als Vorwand für weitere Kürzungen. Und auch in der ÖGK ist das Ziel letztlich die Ausgliederung und Privatisierung. Das ist im unter Türkis-Blau verabschiedeten Gesetz ausdrücklich als Hauptziel festgehalten: „… Senkung der Lohnnebenkosten, Verbesserung der Rahmenbedingungen für private Anbieter von Gesundheitsdiensten“.

Mutwillig aushungern, um zu privatisieren

Es geht um das mutwillige Aushungern unseres Gesundheitssystems, um dann nach Privatmedizin rufen zu können, von der nur private Gesundheitskonzerne und finanzstarke Kundschaft profitiert. Beste Medizin und Heilung für alle ist dann Vergangenheit. Das kann in Zukunft für jeden und jede von uns folgendes bedeuten: Hast du nach einem Unfall nicht das nötige Geld für eine teure Privatbehandlung, wirst du möglicherweise lebenslang schlechter leben oder sogar früher sterben. Damit es nicht soweit kommt, müsste die AUVA-Belegschaft gemeinsam mit Arbeiterkammer, Gewerkschaft und Ärztekammer die Bevölkerung aufklären und Protest organisieren. Freiwillig haben Regierung und Industrie ihre Pläne noch nie aufgegeben.

Wilfried Leisch ist Politikwissenschafter und ehrenamtlicher Mitarbeiter der Plattform pro Sozialversicherung – proSV.

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