Andere Länder, gleicher Arbeitskampf: Streik in Europas Spitälern

Streik im britischen Gesundheitsbereich

Einsparungen im Gesundheitssystem entfachen gerade Streikbewegungen in vielen Ländern. Wie laufen die Proteste in Deutschland, Großbritannien und Spanien – und was ist eigentlich in Spitälern in Österreich los? mosaik-Redakteure Fabian Hattendorf, Benjamin Herr und Mathias Krams werfen einen Blick auf die Entwicklungen.

Deutschland: Gegen die Ökonomisierung der Spitäler

Streik im Stadion “An der alten Försterei”, Berlin. Foto: Berliner Krankenhausbewegung, Facebook

In den letzten Jahren hat eine immer breitere und gut vernetzte Krankenhausbewegung in Deutschland mit dem Mythos aufgeräumt, dass Streiks in Krankenhäusern unmöglich seien. Den Arbeitskämpfen ging eine neue Form der Finanzierung der Krankenhäuser voraus. Dieses sogenannte Fallpauschalensystem (Spitäler erhalten keine Festbeträge für Krankenhausaufenthalte, sondern für Diagnosen) verursachte einen immensen Sparzwang in öffentlichen Krankenhäusern. Darunter leidet in erster Linie das Personal – 2012 wies Deutschland den europaweit schlechtesten Personalschlüssel ausgebildeter Pflegekräfte auf. Gleichzeitig sank die durchschnittliche Verweildauer der Patient:innen um die Hälfte. Der Personalmangel insbesondere in der Pflege hat Ausmaße angenommen, die die Patientenversorgung vielerorts gefährlich beeinträchtigen. Das zeigen zum Beispiel die Berichte über den Mangel an Kinderintensivbetten. 

Die Ökonomisierung der Krankenhäuser führte gleichzeitig zu effektiven Streiks im Gesundheitsbereicht. 2015 hat die Gewerkschaft ver.di an der Berliner Charité das erste Mal eine tarifliche Personalregelung zur Entlastung der Beschäftigten erstritten.  Streikbewegungen in 18 Kliniken in ganz Deutschland sind der Charité seitdem gefolgt. Schlagzeilen machten insbesondere die Streiks an den sechs Unikliniken in Nordrhein-Westfalen im Frühling und Sommer 2022, die mit 77 Tagen die längsten Streiks in der Geschichte des deutschen Gesundheitssystems markierten. Zahlreiche Stationen, darunter auch Intensivstationen, waren während dieser Zeit komplett geschlossen. 

Den Streiks liegt eine klare Strategie zugrunde: Unterstützt durch gewerkschaftliches Organizing organisieren sich die Beschäftigten zunächst in ihren eigenen Teams und bauen eine Streikbereitschaft auf. Notdienstvereinbarungen zwischen der Gewerkschaft und der Klinikleitung dienen als mittlerweile erprobtes rechtliches Mittel, um das Streikrecht auch in kritischen Infrastrukturen wie der stationären Versorgung zu gewährleisten. Durch Bettensperrungen und Stationsschließungen können die Beschäftigten dann Druck auf die Klinikleitung aufbauen. Gesellschaftliche Bündnisse mit Patient:innen und sozialen Bewegungen wie im Fall der Berliner Krankenhausbewegung stärken zudem die Streiks in der Öffentlichkeit.
 
In den Krankenhäusern in Deutschland ist Bewegung: Nirgendwo sonst wachsen die Gewerkschaften in Deutschland so stark wie im Gesundheitsbereich. Und auch in der laufenden Tarifrunde im öffentlichen Dienst für 500 Euro mehr Lohn stehen die Krankenhäuser mit Warnstreiks wieder in der ersten Reihe.

Großbritannien: Größte Arbeitsproteste seit Thatcher

Streik, organisiert von Großbritanniens größter Gewerkschaft für Pflegeberufe, “Royal College of Nursing”. Foto: Royal College of Nursing, Facebook

Die jüngsten Mobilisierungen im britischen Gesundheitsbereich gehören zu den größten britischen Arbeitsprotesten seit der Ära Thatcher. Sie artikulieren den kollektiven Frust eines heruntergesparten Gesundheits- und Sozialsystems in Kombination mit den größten Reallohnverlusten seit 1977. Diese prekären Grundvoraussetzungen zeigen sich im Gesundheitsbereich unter anderem am Personalnotstand. Streikendes Krankenpersonal skandiert deshalb „Safe Staffing Saves Lifes“ (Jobsicherheit garantiert Leben) und benennt eine Arbeitssituation, die zunehmend auch für die britische Bevölkerung (gesundheits-)gefährdend ist. Die Covid-Pandemie verschärfte die angespannte Situation eines kaputtgesparten britischen Gesundheitssystems: Weniger lebenswichtige Operationen wurden hintenangestellt, ein System auf Anschlag hatte zwei Winter mit Infektionswellen zu stemmen. Dieser Arbeitsdruck nahm nie ab. Überlastete Notaufnahmen führen zu langen Wartezeiten und verzögern damit auch die Weiterfahrt von Ambulanzwägen, die Patient:innen bis zur Spitalsaufnahme begleiten müssen.

Das größte Problem für die gegenwärtigen Streikaktivitäten ist die konservative Durchhalteparole, gepaart mit einem Gesetzesvorschlag, der dem Arbeitskampf zukünftig die Schlagkraft nehmen wird. Der Gesetzesentwurf sieht vor, Streikaktivitäten einschränken zu können. Beschäftigte im Gesundheitsbereich könnten dann, auch während Streikaktionen, gesetzlich zu Arbeit verpflichtet werden. Beschäftigte hätten dann keine Möglichkeit mehr, sich höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen zu erstreiken.

Die Zustimmung für Streiks, insbesondere jene des Krankenhauspersonals, ist aber hoch. Die Forderung nach besseren Arbeitsbedingungen, höheren Gehältern und weniger Arbeitsdruck ist gerade für die systemrelevanten Berufe mehrheitsfähig. Covid hat nicht nur die angespannte Situation im britischen Gesundheitssystem verschärft, sondern auch das Bewusstsein für die Notwendigkeit dieser Berufe. Dazu kommt, dass die Teuerung alle irgendwie betrifft; streiken Beschäftigte im Gesundheitsdienst für höhere Löhne trifft das auf eine breitere Akzeptanz als zu Zeiten, in denen der Wohlstand noch weniger breit gefährdet war.

Spanien: 70 Prozent des Klinik-Personals streikt

Demonstration in Madrid, Februar 2023. Foto: @daniores_Twitter

In Spanien gingen im Februar Hunderttausende auf die Straße, um gegen die Unterfinanzierung des öffentlichen Gesundheitssystems zu demonstrieren. Es fehlt an Ausrüstung sowie Personal. Hausärzte und Kliniken sind überfüllt. Die Ursache der gegenwärtigen Gesundheitskrise liegt schon ein paar Jahre zurück: Nach der Finanzkrise leitete die spanische Regierung ab 2010 eine Austeritätspolitik ein, die drastische Ausgabenkürzungen bedeutete. Dies betraf ebenfalls die für Gesundheitspolitik zuständigen Regionalregierungen. 30 000 Stellen wurden gestrichen, Löhne gesenkt und Krankenhausbetten dezimiert .

Während der Corona-Pandemie hatte die prekäre Situation in den Krankenhäusern katastrophale Folgen. Besonders zugespitzt war die Lage in Madrid, wo die rechte Regionalregierung zudem eine Privatisierung der Gesundheitsinfrastruktur vorantrieb. Während Patient:innen in öffentlichen Kliniken wegen Überfüllung abgewiesen wurden, blieben Kapazitäten in Privatkliniken ungenutzt. Wegen mangelndem Arbeitsschutz entwickelten sich Kliniken zudem zum Infektionshotspot. Zeitweise erfolgten bis zu 20 Prozent der Neuinfektionen in den Kliniken selbst. Zu Beginn der Pandemie verzeichnete Spanien dadurch eine der höchsten Übersterblichkeits-Raten in Europa, insgesamt starben rund 120 000 Menschen.

Seitdem hat sich an der Situation wenig geändert. So kam es seit November abermals zu landesweiten Massenprotesten und Streiks im Gesundheitssektor. Im Februar erreichten die Proteste ihren bisherigen Höhepunkt. In Barcelona gingen 10 000 Gesundheitsangestellte auf die Straße. In Madrid folgten weit über 250 000 Menschen – die Organsisator:innen sprechen gar von bis zu einer Millionen Menschen – dem Aufruf „Madrid erhebt sich”. 70 Prozent der Angestellten im Gesundheitsbereich beteiligten sich am Streik. Erklären lässt sich diese enorme Mobilisierungsstärke wohl durch die Protesterfahrungen, die ab 2011 mit den 15M-Krisenprotesten gesammelt wurden, genauso wie durch die starke lokale Verankerung der Proteste in den Nachbarschaften. 

Während in Barcelona im aktuellen Konflikt eine Einigung erzielt werden konnte, spitzt sich die Situation in Madrid weiter zu. Anstatt auf die Streikenden zuzugehen, versucht die Regionalregierung den Massenprotest zu delegitimieren. Sie schreckt dabei auch nicht vor der Verbreitung von Falschinformationen bezüglich des prekären Zustands des Gesundheitssystems zurück. Weitere Streiktage für April und Mai sind in Planung.

Österreich: Die Mühlen mahlen langsam

5 nach 12-Proteste des österreichischen Krankenhaus-Personals im Februar, Foto: GÖD, Facebook

In Österreich mahlen die Mühlen langsamer. Zwar ist auch hier der Pflegenotstand akut: Laut der Misscare-Studie der Uni Wien geben 84 Prozent der Pfleger:innen an, aufgrund von Zeitmangel notwendige Versorgungsschritte weglassen zu müssen. Allerdings ist der Stand der Debatte noch ein ganz anderer. Als im Dezember 2022 in der Sendung „im Zentrum” über den Pflegemangel diskutiert wird, sitzt weder eine Pflegerin noch eine Gewerkschafterin auf dem Podium. Thema sind das Pflegestudium und die neuen Anwerbeversuche in Kolumbien, nicht aber die nötige Arbeitsentlastung – für die der Staat Geld in die Hand nehmen müsste, um den Beruf wieder attraktiv zu machen. 

An die Spitze dieser Forderung müssten sich eigentlich die Gewerkschaften stellen. Obwohl diese sich zurückhaltend geben, fanden in den letzten Wochen und Monaten das erste Mal seit langem wieder Streiks im Gesundheitsbereich statt: Am 22. November 2022 streikten die Beschäftigten der Wiener Ordensspitäler knapp zwei Stunden für 500 Euro mehr Lohn. Beschäftigte der Privatkrankenanstalten hielten am 14. Februar an 25 Standorten in ganz Österreich einen dreistündigen Warnstreik ab, nachdem die sechste Verhandlungsrunde mit den Arbeitgebern gescheitert war. 

Ein spannender Fall ist das Universitätsklinikum Linz, Österreichs zweitgrößtes Krankenhaus. Seit Jahren schon fordern die Beschäftigten eine Arbeitsentlastung, der Betriebsrat drohte Ende Jänner offen mit einem Streik im Sommer. Die Klinikleitung bot daraufhin Verhandlungen mit dem Betriebsrat und der Gewerkschaft an, die eine Entlastung bis zum Sommer bringen sollen. Der Streik ist damit erstmal vom Tisch, das Ergebnis der Verhandlungen bleibt abzuwarten. 

Fest steht, dass die Forderungen der Beschäftigten sich langfristig nur in einer politischen Auseinandersetzung lösen lassen. Ohne die glaubwürdige Drohung durch – mehrtägige, nicht mehrstündige – Streiks im Gesundheitswesen Druck aufzubauen, stehen die Pflegekräfte und Arbeiter:innen in den Krankenhäusern mit dem Rücken zur Wand.

Foto: Royal College of Nursing, Facebook.

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