Was bedeutet der Andi-Babler-Moment für SPÖ und Linke? Die mosaik-Redaktion mit vier hoffnungsvollen, aber leicht besorgten Thesen.
Eine demokratische Vorsitzwahl, ein linker Underdog und eine Basisbewegung, die endlich ihre Chance sieht, die Partei zu ihren radikalen Wurzeln zurückzubringen: Das ist nicht nur die Situation Andi Bablers und der SPÖ, es war auch jene Jeremy Corbyns in der britischen Labour Partei. 2015 völlig überraschend zum Parteichef gewählt, löste der „Corbynismus” landes- und weltweit Hoffnung aus. Kann das auch in Österreich gelingen – und was bedeutet der Andi-Babler-Moment für die Sozialdemokratie und die Linke? Die mosaik-Redaktion mit vier hoffnungsvollen, leicht besorgten Thesen.
1. Andi Babler bringt Bewegung in die SPÖ
Andreas Babler mobilisiert. Seine Tour erreicht vielerorts hunderte Leute – zuletzt etwa in Linz oder in Wien. Obwohl die Partei Neueintritte rasch stoppte, traten binnen weniger Tage 9.000 Menschen der SPÖ bei, um an der Befragung zum SPÖ-Vorsitz teilzunehmen. Auch online lässt Andi Bablers Reichweite nicht nur seine Konkurrent:innen, sondern auch die übliche sozialdemokratische Reichweite hinter sich.
Unabhängig davon, wem diese Menschen nun ihre Stimme geben, ein Babler-Effekt ist nicht abzustreiten. Seine Kandidatur entfacht eine Aufbruchstimmung weit über die Partei hinaus. Ähnlich wie Jeremy Corbyn bei seiner Kandidatur zum Labour-Vorsitz 2015 spricht er dabei unterschiedliche Teile der Gesellschaft und der Linken an. In Großbritannien registrierten sich damals Hunderttausende für die Labour-Vorwahlen. Durchaus möglich, dass die SPÖ-Führung dieses „Horrorszenario” vor Augen hatte, als sie die Anmeldung für Neumitglieder auf wenige Tage beschränkte.
Andi Babler ist positiver Bezugspunkt für die linke bis linksliberale Twitterbubble und Projektion für Antikapitalismus unter klassisch sozialdemokratischem und reformorientiertem Zutun. Das Duell zwischen Pamela Rendi-Wagner und Hans Peter Doskozil erschöpfte sich im Gegensatz „urban & chic” und „bodenständig & hemdsärmelig”. Mit der Bekanntgabe von Bablers Kandidatur nahm auch die inhaltliche Debatte an Fahrt auf.
Im Gegensatz zu Labour vor Corbyn machen die Aufbruch-begeisterten Neuen in der SPÖ mit etwa sechs Prozent aber nur einen kleinen Anteil der Mitglieder aus. Das in der Parteilinken beliebte Narrativ, der Apparat sei konservativ, die Basis hingegen links, steht nun vor dem Test. Sollte Babler bei der Befragung deutlich unterliegen, ist damit auch der Beweis erbracht, dass die Sozialdemokratie keine Linke ist, die nur aus ihrer bürokratischen Schale befreit werden muss.
2. Das Partei-Establishment wird einen Babler-Sieg nicht so einfach zulassen
2015 setzte das Labour-Parteiestablishment alles daran, Corbyns Wahl zum Vorsitzenden zu verhindern. Tony Blair und andere Parteigranden warnten vor der „Zerstörung Labours”, 50.000 Personen wurden nicht für die Wahl zugelassen und zahlreiche Wahlurnen gingen verloren. Schon jetzt zeichnen sich in der SPÖ ähnliche Taktiken ab, um Andi Babler zu sabotieren.
So wirbt die SPÖ-Bundespartei auf ihren offiziellen Kanälen für die Wahl Rendi-Wagners. Die Partei präsentiert auch reihenweise Ex-Politiker*innen als Rendi-Wagner-Unterstützung. Etwa die ehemaligen Bundeskanzler Faymann, Gusenbauer, Klima und Vranitzky, ebenso wie einige Ex-Minister*innen. Babler ist, alphabetisch nicht begründbar, Letzter am Stimmzettel der Mitgliederbefragung, auch seine Rolle als Traiskirchner Bürgermeister bleibt unerwähnt. Dafür gibt es die Möglichkeit, „keine*” der genannten Bewerber*innen anzukreuzen. Eine Hintertür, wie Natascha Strobl meint, um möglicherweise am Parteitag eine vierte Kandidatur zu präsentieren. Sollte das alles nichts nützen, hat Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch schon lange klar gemacht, dass die Mitgliederbefragung nicht bindend, sondern eine schlichte „Willensbekundung” sei.
Abseits prozessualer Tricks zeichnen sich auch die inhaltlichen Linien der Anti-Babler-Agitation ab. Florian Klenk vom „Falter” brachte ein Video, in dem Babler sich skandalöserweise für Frieden und Neutralität aussprach, das Magazin „Profil” deckte auf, dass Babler Marx liest – wer hätte das gedacht. Noch verfangen die Diffamierungen nicht. Aber, und das lehrt uns der Fall Corbyn, sollte Babler Vorsitzender werden, muss er sich auf ein neues Level an Angriffen des bedrohten Parteiapparats und liberaler wie rechter Medien einstellen.
Denn für den SPÖ-Apparat ist Babler eine echte Bedrohung, sowohl inhaltlich als auch strukturell. Die Partei sieht sich heute nicht als Werkzeug von Arbeiter*innen. Ihr Selbstverständnis ist das einer Staatspartei, die Apparate beschickt und die Geschicke des Landes nach dem Prinzip des geringsten Übels verwaltet. Dafür braucht es nur Wahlsiege und bürokratisch denkendes Personal, Mitglieder und parteiinterne Demokratie stören eher.
3. Babler braucht Strukturen, die ihn verteidigen und Konfrontation suchen
Während sich Rendi-Wagner mit 100 ausgewählten Unterstützerinnen als erste Wahl der Parteieliten präsentiert und Doskozil mit 440 Unterstützer*innen aus dem Partei-Mittelbau das Aufbrechen einer verknöcherten Führungsebene inszeniert, unterstreicht Babler mit über 2.000 Unterstützungsschreiben einfacher Mitglieder die quantitative Macht der Basis. Abseits einzelner Prominenter wie Ferdinand Lacina oder Julia Herr unterstützen Babler nur wenige mächtige Sozialdemokrat*innen – zumindest nicht öffentlich. Will Babler den Parteivorsitz nicht nur gewinnen, sondern dann auch echte Veränderung durchsetzen, braucht er aber eine eigenständige Struktur. Es bleibt abzuwarten, ob das mit der fragmentierten Parteilinken gelingt.
Denn der Fall Jeremy Corbyn zeigt, wie leicht echte Sozialist*innen an ihrer sozialdemokratischen Partei scheitern können. Sein Vorsitz-Sieg weckte riesige Hoffnungen und Labour entwickelte nach Jahrzehnten des neoliberalen „Dritten Wegs” endlich wieder ein linkes Programm. Doch nach einem ersten starken Wahlergebnis 2017 folgte bald Ernüchterung. Die Parlamentswahlen 2019 standen im Schatten des Brexit und dank Labors unverständlicher Positionierung schnitt die Partei schlecht ab. Statt die Brexit-Frage zu neutralisieren und sich auf den Widerstand gegen die Kürzungspolitik zu konzentrieren, hatte Corbyn versucht, es den liberalen, blairistischen „Remainern“ in der Partei recht zu machen. Das wurde abgestraft. In impliziter Allianz mit Teilen des Kapitals und der Medien eskalierten die Parteieliten die Schmutzkübelkampagne gegen Corbyn und schlossen ihn 2020 wegen angeblichem Antisemitismus aus der Partei aus.
Der Fall Corbyn muss Andi Babler und seinen Unterstützer*innen eine Warnung sein. Sie können sich nicht darauf verlassen, dass die alteingesessenen Machtcliquen Babler widerstandslos den Parteiapparat umbauen lassen. Will Andreas Babler das Schicksal von Corbyn vermeiden, muss er zunächst den Konflikt mit der eigenen Partei suchen und gewinnen. Dafür braucht er eine organisierte Machtbasis, die beweglich ist und nicht mit ihm wohlgesonnenen Teilen des Parteiapparats ident ist. Und er braucht eine Strategie, wie er mit einem teilweise feindlichen Apparat linke Politik machen will.
Die Alternative, die Babler dazu hat, ist die Integration des ganzen alten Apparats zu suchen. Das wäre fatal, würde viele inhaltliche Zugeständnisse erfordern und die Bewegung hinter ihm demoralisieren. Auch hier kann Labours desaströse Performance im Kontext des Brexit 2019 eine Lehre sein: Faule inhaltliche Kompromisse können den Schwung des Neuanfangs zerstören.
4. Zukunftsszenarien: Babler ist kein Wunderwutzi, aber…
Welche Szenarien stehen uns nach der Abstimmung bevor? Die gefährlichste Option ist sicherlich nicht Bablers offene Niederlage, sondern seine Integration. Gewinnt er die Abstimmung und verzichtet auf die Konfrontation mit dem Parteiapparat, müsste er schrittweise Positionen aufgeben, um die Zustimmung des Apparats zu erlangen. Das hätte eine Demoralisierung seiner Anhänger*innen zur Folge und würde einmal mehr den Eindruck unglaubwürdiger Realpolitik verstärken. Gewinnt Babler und kann er seine Rolle in der Partei längerfristig halten, würde die politische Landschaft in Österreich insgesamt nach links verschoben. Das würde auch über die Grenzen sozialdemokratischer Politik hinaus die Räume für antikapitalistische Politik vergrößern.
Scheitert Babler kurzfristig am Mitgliederentscheid, oder auch mittelfristig an Parteiapparat und äußeren Angriffen, so bestünde doch die Chance, dass seine jetzt energetisierte Basis längerfristig einen sichtbaren linken Flügel in der Sozialdemokratie bildet. Auch wenn viele Menschen der Partei dann vielleicht wieder den Rücken kehren, werden sie auch in anderen Kontexten weiter aktiv sein. So könnten sie Räume für einen langfristigen Aufbau einer Linken außerhalb der SPÖ öffnen.
Andi Babler ist kein Wunderwutzi, der die Sozialdemokratie retten wird. Ja, eine Babler-SPÖ wäre ein großer Fortschritt für sozial orientierte Kräfte in Österreich. Gleichzeitig müssen wir realistisch analysieren, was sozialdemokratische Politik im heutigen Katastrophenkapitalismus überhaupt noch erreichen kann. Was in den 1970ern noch als gemächliche Reformpolitik umsetzbar war, erfordert heute unglaubliche soziale Kämpfe.
Was es deswegen darüber hinaus braucht, ist eine Perspektive, wie diese Forderungen über Wahlen hinaus erkämpft werden können. Wenn Babler Politik von unten machen will, muss er den Fokus auf soziale Kämpfe richten. Diese kann eine Partei niemals alleine organisieren. Der bisherige Fokus auf Politikstil und das „Wiederaufrichten” der Sozialdemokratie sind aus der Logik des innerparteilichen Wahlkampfs verständlich. Aber sie reichen als langfristige politische Perspektive nicht aus. Hier braucht es die Perspektive einer klassenkämpferischen Sozialdemokratie, die sich nicht vorrangig auf Regierungsbeteiligung stützt, sondern auf die Mobilisierung der Vielen.
Foto: Andreas Babler