Abstimmung über Abtreibung: Irland vor historischem Erfolg im Kampf für Frauenrechte

Heute, Freitag, findet in Irland ein historisches Referendum zur Abschaffung („Repeal“) des achten Verfassungszusatzes statt. Dieser verbietet Schwangerschaftsabbrüche nahezu komplett und macht Abtreibungen praktisch unmöglich. Im Gespräch mit Ollie Bell, aktiv bei ROSA und in der „Repeal“-Kampagne, wollten Martina Gergits und Christoph Glanninger wissen, was von dem Referendum zu erwarten ist und und welche Herausforderungen nach der Abstimmung warten.

 

Martina Gergits: Was ist der Hintergrund des berüchtigten „achten Verfassungszusatzes“ in Irland? Warum wird dagegen jetzt eine große Kampagne organisiert?

Ollie Bell: Der achte Verfassungszusatz trat am 7. Oktober 1983 in Kraft und setzt das Leben der Mutter mit dem des Ungeborenen gleich. Bereits davor waren Abtreibungen in Irland illegal. Selbsternannte „Pro-Life“-AktivistInnen fürchteten jedoch eine Legalisierung von Abtreibungen. Sie starteten gemeinsam mit Fianna Fail, einigen Mitgliedern von Fine Gael (die beiden konservativen Parteien in Irland, Anm. d. Red.) und der katholischen Obrigkeit eine Kampagne für den Verfassungszusatz.

Die Kampagne war aufgrund des Drucks und der Angstmache durch die katholische Kirche erfolgreich. Der achte Verfassungszusatz hat zur Folge, dass Abtreibung beinahe unter allen Umständen illegal ist. Sobald ein fötaler Herzschlag feststellbar ist, können ÄrztInnen ihren Patientinnen keine Gesundheitsversorgung bieten.

Selbst Reisen ins Ausland, um dort eine Abtreibung durchführen zu lassen, waren bis Dezember 1992 illegal. Damals wurde ein 14-jähriges Vergewaltigungsopfer an der Reise in das Vereinigte Königreich und damit an einer Abtreibung gehindert, obwohl sie suizidgefährdet war. Dies führte 2012 zu einem Gesetz, welches Abtreibung im Fall von Suizidgefahr erlaubt.

Der achte Verfassungszusatz führte auch zum Tod von Savita Halappanavar. Sie starb am 28. Oktober 2012 aufgrund von Komplikationen einer septischen Fehlgeburt in der 17. Schwangerschaftswoche. Sie forderte dreimal eine Abtreibung, diese wurde ihr aber verweigert. Die Begründung lautete: „Irland ist ein katholisches Land!“.

Martina Gergits: Wieso hat die Regierung nun ein Referendum zum achten Verfassungszusatz veranlasst?

Die Regierung hat das Referendum nicht aus Eigeninitiative einberufen. Sie war aufgrund des jahrelangen Drucks von AktivistInnen dazu gezwungen. ROSA hat etwa Abtreibungspillen in einem „Abtreibungspillen-Zug“ und einem „Abtreibungspillen-Bus“ verteilt. Dadurch haben wir gezeigt, dass Schwangerschaftsabbrüche auch in Irland Realität sind. Diese Aktionen klärten einerseits über die Abtreibungspille auf, andererseits zeigten sie der Regierung eindrucksvoll, dass man Abtreibungen nicht verbieten kann. Jeden Tag nehmen fünf Frauen in Irland eine Abtreibungspille.

Am 8. März 2017 fand ein Protest unter dem Motto „Strike 4 Repeal“ („Streike für die Aufhebung“) statt. Die AktivistInnen forderten die Regierung dazu auf, ein Referendum zum achten Verfassungszusatz einzuberufen. Die Regierung tat nichts und löste damit landesweite Proteste aus. In Dublin blockierten 10.000 AktivistInnen die O’Connell Bridge. Auch in Galway, Limerick, Cork und anderen Städten fanden Proteste statt. Inspiriert wurden sie vom „Schwarzen Protest“, der Bewegung gegen das Abtreibungsverbot in Polen.

Christoph Glanninger: Wie läuft die „Repeal“-Kampagne ab, wer ist daran beteiligt?

In der „Repeal“-Kampagne sind vor allem viele junge Menschen aktiv, die viel Enthusiasmus und Energie mitbringen. Der Großteil der Universitäten ist „Pro-Choice“ und auch SchülerInnen kämpfen gegen „Pro-Life“-Gruppen, die versuchen ihre Schulen zu besuchen. Die Kampagne zeigt, dass junge Leute den Status Quo nicht akzeptieren.

Aber es gibt noch immer eine Gruppe unentschlossener WählerInnen mit offenen Fragen. Dies ist auch auf die Lügen zurückzuführen, die von der „Pro Life“-Kampagne verbreitet und von der „Pro-Choice“-Kampagne nicht entschlossen genug bekämpft werden. Beispielsweise behaupten AbtreibungsgegnerInnen, dass nach der Legalisierung von Abtreibungen Abbrüche bis zum sechsten Monat möglich wären. Weil die „Pro-Choice”-Kampagne diesen Lügen zu wenig entgegenhält, drängen viele unentschlossene WählerInnen mehr zu einem „Nein“ oder werden überhaupt nicht abstimmen.

Martina Gergits: Wie stehen die irischen Parteien zum Referendum? Unterstützen manche von ihnen die „Repeal“-Kampagne?

Die Socialist Party und Solidarity spielen eine wichtige Rolle in der „Repeal“-Kampagne. Ruth Coppinger, Paul Murphy und vier weitere Parlamentsabgeordnete brachen strikte Bekleidungsvorschriften, indem sie 2016 „Repeal“-Pullover während einer Parlamentssitzung trugen und ein Referendum zum achten Verfassungszusatz forderten. Ruth Coppinger hob die Verwendung von Abtreibungspillen hervor und zeigte die Realität bezüglich Schwangerschaftsabbrüchen in Irland auf.

Andere Parteien wie Sinn Fein sprangen erst auf den „Repeal“-Zug auf, nachdem das Referendum ausgerufen wurde. Viele Parteien wollen Schwangerschaftsabbrüche nur unter bestimmten Umständen legalisieren, wie beispielsweise bei Inzest und nach Vergewaltigungen. Sie sind damit „Pro-Repeal“, aber nicht „Pro-Choice“. Diese Parteien wollen es so aussehen lassen, als wäre das Referendum ihre Idee gewesen, dabei konnte nur durch eine starke Basis an AktivistInnen massiver Druck auf die Regierung ausgeübt werden. Leo Varadkar, Irlands Ministerpräsident, wurde zu dem Referendum gezwungen, aber versucht so zu tun, als wäre er immer „Pro-Choice“ gewesen.

Christoph Glanninger: Du bist Mitglied der Organisation „ROSA – Socialist feminist movement“. Was ist ROSA und welche Rolle hatte ROSA in der „Repeal“ Kampagne?

ROSA ist eine sozialistische, feministische Bewegung die gegen Sexismus, Rassismus, Homophobie, Transphobie und andere Formen der Unterdrückung kämpft. ROSA wurde zum einen nach Rosa Parks benannt, die inspirierende schwarze Aktivistin, die sich weigerte, ihren Sitz für einen Weißen aufzugeben, was den Busboykott von Montgomery auslöste. Und zum anderen nach Rosa Luxemburg. ROSA organisierte Aktionen wie den „Abtreibungspillen“-Bus und -Zug, aber auch den Handsmaid-Protest (angelehnt an die Serie „Handmaids Tale“) vor dem Parlament.

Wir organisierten den Solidaritäts-Protest für die Überlebenden von Vergewaltigung und sexuellen Übergriffen nach dem Gerichtsurteil in Belfast, in dem vier Angeklagte als „nicht schuldig“ befunden wurden (#ibelieveher). Der Protestmarsch zeigte auf, wie notwendig es ist dieses sexistische, kapitalistische System aufzubrechen sowie das Recht auf Selbstbestimmung zu erkämpfen.

Martina Gergits: Abhängig vom Ausgang, was glaubst du passiert nach dem Referendum?

Wenn das Referendum mit „Yes“ gewonnen wird, ist es wichtig den Menschen klar zu machen, dass das Referendum nur ein Schritt von vielen war. Um Abtreibung in Irland zugänglich zu machen und Gleichberechtigung zu erlangen, muss noch viel passieren.

Der Großteil der Schulen und Krankenhäuser wird von der katholischen Kirche geführt. Wir brauchen eine sozialistische, feministische Bewegung, um Kirche und Staat zu trennen, umfassenden Aufklärungsunterricht in Schulen einzuführen, bessere Gesundheitsversorgung für Transgender-Personen, freien Zugang zu Verhütungsmitteln und ein Ende des repressiven kapitalistischen Systems zu erkämpfen.

Bell Ollie ist 21 Jahre alt, in Irland aktiv bei ROSA, in der „Repeal“-Kampagne und in der irischen LGBTQ-Bewegung.

Martina Gergits ist Feministin, Sozialistin und Aktivistin bei der feministischen Kampagne „Nicht mit Mir“. Sie ist auch aktiv bei Aufbruch und Mitglied der Sozialistischen LinksPartei.

Christoph Glanninger ist aktiv bei der Sozialistischen LinksPartei und war bereits mehrmals in Irland, um den Wahlkampf linker Parteien und den Aufbau sozialer Bewegungen zu unterstützen.

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