Irland – zu katholisch für Selbstbestimmung von Frauen

Irland hat eine der restriktivsten Gesetzgebungen zu Schwangerschaftsabbrüchen in Europa. Dass das Leben eines Fötus als gleichwertig mit dem Leben einer Frau gilt, ist sogar in der Verfassung verankert. Jeden Tag reisen zwölf Frauen aus Irland auf die britischen Inseln um einen Abbruch vornehmen zu lassen – unter starkem finanziellen sowie psychischen Druck. Organisationen wie ROSA (“For Reproductive Rights, against Oppression, Sexism and Austerity”, Übersetzung: “Für reproduktive Rechte, gegen Unterdrückung, Sexismus und Kürzungspolitik”) setzen sich in dem von der katholischen Kirche stark geprägten Land schon lange für das Recht auf legalen, sicheren Schwangerschaftsabbruch ein. Sie fordern vor allem die Aufhebung des 8. Verfassungszusatzes, über welchen in wenigen Tagen, am 28. September, im Parlament diskutiert und abgestimmt wird. mosaik-Redakteurin Franziska Wallner sprach mit Monika Janas, Aktivistin bei ROSA. 

Franziska Wallner: Monika, könntest du zuerst einmal über dich erzählen – was ist dein Hintergrund und wie bist du politisch aktiv geworden?

Monika Janas: Mein Name ist Monika, ich bin 19 Jahre alt und Studentin. Aktiv für das Recht auf Schwangerschaftsabbruch bin ich vor drei Jahren geworden, nach dem Tod von Savita Halappanavar. Sie starb, weil ihr ein Schwangerschaftsabbruch verweigert wurde – mit der Begründung Irland sei ein „katholisches Land“. Da ich aus Polen komme, einem Land, das ebenfalls stark durch Religion kontrolliert ist, hat mich dieses fast schon diktatorische Verhalten sehr wütend gemacht. Das hat mich politisiert und dazu gebracht, das Recht auf Schwangerschaftsabbruch als ein viel größeres Thema zu erkennen, nämlich als eine Angelegenheit, die wesentlich mit der Unterdrückung von Frauen und der Frage von Gleichberechtigung zusammenhängt.

Kannst du uns die gegenwärtige rechtliche Situation in Irland hinsichtlich Schwangerschaftsabbruch erklären?

Die irische Insel ist in zwei Länder geteilt, einerseits „Irland“ und andererseits „Nordirland“, wobei Nordirland Teil des Vereinigten Königreichs ist. Irland (der Staat im Süden) hat die zweitstriktesten rechtlichen Regelungen innerhalb der Europäischen Union und ist eines von neun Ländern weltweit, in dem das Thema Schwangerschaftsabbruch (bzw. dessen Verbot) in der Verfassung verankert ist; 1983 wurde mit dem 8. Verfassungszusatz festgelegt, dass das Leben einer Frau mit dem Leben eines Fötus gleichgestellt ist. Ein Schwangerschaftsabbruch ist in Irland nur dann legal, wenn das Leben der Frau in Gefahr ist, das gilt auch für Selbstmord. Das sind selbstverständlich grausam begrenzte Verhältnisse. Sie schaffen viele Graubereiche für ÄrztInnen; wo endet eine Gefahr für die Gesundheit einer Frau und wo beginnt eine Gefahr für ihr Leben? Darüber hinaus kann jede Frau, die einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lässt, und jede Person die ihr dabei hilft, mit bis zu 14 Jahren Haft verurteilt werden.

Das Gesetz in Nordirland ist ziemlich ähnlich, mit dem Zusatz, dass neben der „Gefahr für das Leben der Frau“ auch die „Gefahr für die Gesundheit der Frau“ berücksichtigt wird. Dennoch sind Abbrüche nur bis zur neunten Schwangerschaftswoche möglich, und das obwohl die Gesetze im Rest des Vereinigten Königreichs diesbezüglich viel weniger strikt sind. Die meisten Frauen müssen daher von Nordirland auf die britischen Inseln reisen, um dort legale Schwangerschaftsabbrüche zu erhalten.

Was würdest du sagen, sind die Gründe für die extrem strikte rechtliche Situation in Irland?

Eine der wesentlichsten Faktoren ist definitiv die Rolle der Kirche. Irland war immer schon von ihr abhängig, um Dienstleistungen wie Bildung oder Gesundheitsversorgung zu erbringen. Das bedeutet, dass die katholische Kirche im Grunde genommen den Staat in ihrer Gewalt hat. Das lässt sich am deutlichsten mit der Tatsache illustrieren, dass öffentliche Schulen, die sich in katholischer Träderschaft befinden (was auf 90 Prozent der öffentlichen Schulen zutrifft), getaufte Kinder bei der Platzvergabe bevorzugen können. Es ist eine beschämende Situation.

Aber auch der irische Staat hat eine lange Geschichte hinsichtlich der Unterdrückung von Frauen, einschließlich der grauenhaften „Magdalenenheime“, der Tatsache, dass verheiratete Frauen bis in die 1970er hinein nicht im öffentlichen Bereich arbeiten durften, Missbrauchsskandale, usw.

Wie ist es für Frauen in Irland möglich, Zugang zu einem Schwangerschaftsabbruch zu bekommen? Wie ist es möglich, dass die politische Führung die Meinung der Bevölkerungsmehrheit zu diesem Thema ignoriert?

Lange Zeit konnte der irische Staat damit davonkommen, dass er sich nicht mit dem Recht auf Schwangerschaftsabbruch auseinandersetzt, und zwar auf Grund seines „Sicherheitsventils“; dem Vereinigten Königreich. Solange es Frauen möglich war, nach Großbritannien zu reisen, konnte der Staat seine Hände in Unschuld waschen. Pro Tag reisen durchschnittlich zwölf Frauen nach Großbritannien, um dort Zugang zu einem Schwangerschaftsabbruch zu erhalten. Dies beinhaltet nicht jene Frauen, die zwar aus Irland anreisen, aber eine britische Adresse angeben. Es ist gar nicht auszudenken, was für eine Welle an illegalen Schwangerschaftsabbrüchen starten würde, hätten Frauen nicht mehr diese Möglichkeit. Dennoch ist ein so durchgeführter Schwangerschaftsabbruch eine große finanzielle und psychische Belastung für Frauen. Es muss eine Freistellung von der Arbeit und eventuell Kinderbetreuung organisert werden, Flugtickets müssen gekauft werden, die Behandlung muss bezahlt werden – um schließlich in ein Land zurückzukehren, wo sie mit Stigma und Missachtung konfrontiert sind. Da die Kosten für eine solche Reise zwischen 600 und 2000 Euro betragen, betrifft die Kriminalisierung überproportional arme Frauen und jene mit Migrationshintergrund.

Derzeit nutzen immer mehr Frauen sogenannte „Abtreibungspillen“, die auf womenonweb.org verfügbar sind. Sie müssen dafür ein Online-Beratungsgespräch mit einem Arzt/einer Ärztin jener Organisation durchführen und eine geringe Gebühr zahlen. Es gibt ein Netzwerk an AktivistInnen die bei der Beschaffung der Pillen hilft – diese müssen nämlich nach Nordirland gesendet werden, weil die Zollbehörden im Süden die Pillen beschlagnahmen.

Welche Pro-Choice-Gruppen gibt es in Irland?

Es gibt zur Zeit viele Gruppen, die für das Recht auf Schwangerschaftsabbruch in Irland kämpfen. Ich selbst bin Mitglied bei ROSA, einer sozialistischen, feministischen Organisation. Wir sind Teil der „Coalition to Repeal the Eighth Amendment“ (Koalition für die Abschaffung des 8.Verfassungszusatzes), einem Bündnis von Frauenrechts- und Pro-Choice-Gruppen, die zusammen daran arbeiten, eine entsprechende Volksabstimmung zu gewinnen.

Was sind eure zentralen Ziele und wie groß sind die Chancen, diese Ziele zu erreichen? Gibt es eine starke öffentliche Debatte in Irland hinsichtlich Schwangerschaftsabbruch?

Unser unmittelbares Ziel ist eine Volksabstimmung, um den 8.Verfassungszusatz abzuschaffen. Das ist ein Kampf um dessen tatsächliche Aufhebung, nicht bloß um eine Änderung des Wortlauts. Es gibt momentan eine große Bewegung rund um das Thema, es ist in aller Munde. Wenn du im Stadtzentrum von Dublin unterwegs bist, siehst du viele Leute, die Pullover mit der Aufschrift „REPEAL“ („AUFHEBUNG“) tragen. Das ist sehr inspirierend und positiv.

In Bezug auf Bewusstsein und öffentlicher Debatte ist es so, dass politische Parteien sehr weit hinter dem Rest der Bevölkerung zurückliegen. “Fine Gael” und “Fianna Fáil”, die die Minderheitsregierung stellen, bleiben dabei, das Thema unter den Teppich zu kehren, indem sie eine BürgerInnenversammlung organisieren; eine undemokratische Veranstaltung, mit Hilfe dessen sich die Parteien von dem Thema distanzieren und eine Entwicklung verzögern.

Die “Irish Labour Party” unterstützt im Moment eine Aufhebung oder einen Ersatz des Verfassungszusatzes – auch wenn sie während ihrer letzten Regierungsbeteiligung zahlreiche Versuche, das Gesetz bezüglich Schwangerschaftsabbruch zu erweitern oder eine Volksabstimmung abzuhalten, niedergestimmt haben. Der Druck auf das politische Establishment könnte eine Volksabstimmung über den 8. Verfassungszusatz hervorbringen. Wir arbeiten hart daran, dafür zu sorgen, dass es eine Volksabstimmung über die Aufhebung und nicht über eine Änderung des Verfassungszusatzes wird – für die volle Entscheidungsfreiheit hinsichtlich eines Schwangerschaftsabbruchs.

Was sind die größten Gefahren der Anti-Schwangerschaftsabbruch-Gesetze in Irland?

Praktisch gesehen besteht die größte Gefahr für das Leben und die Gesundheit von Frauen. Savita Halappanavar starb, weil ihr ein Schwangerschaftsabbruch verweigert wurde. Miss Y versuchte Selbstmord zu begehen. Eine junge Frau wurde mit der Begründung ihrer Schwangerschaft künstlich am Leben gehalten, obwohl sie bereits hirntot war und entgegen der Wünsche ihrer Familie – im Grunde wurde sie wie eine Brutmaschine behandelt.

Theoretisch gibt es die Möglichkeit, dass eine Frau, die einen Schwangerschaftsabbruch in Irland durchführen lässt, genauso wie jemand, der/die ihr dabei hilft, mit bis zu 14 Jahren Gefängnis verurteilt wird. Allerdings bezweifle ich, dass dies – auf Grund der zu dadurch erzeugten Gegenreaktion – jemals vollstreckt werden würde.

Gibt es Druck aus dem Ausland (z.B. von der EU oder von internationalen Organisationen)?

Nachdem der UN-Menschenrechtsausschuss die Forderung gestellt hat, das verfassungsmäßige Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen in Irland aufzuheben, startete “Amnesty International” eine Kampagne in Irland diesbezüglich. Die irische Regierung ignoriert jedoch UN-Vorschläge sowie Kritik.

Wie denkst du werden heranwachsende Mädchen von einer solchen Gesetzgebung beeinflusst? Weißt du, wie der Aufklärungsunterricht dadurch bestimmt wird?

Die Tatsache, dass viele Schulen von der Kirche geführt sind, und dass es keine vom Bildungssystem unterbreiteteten Sexualerziehungsstandards gibt, führt zu immensen Unterschieden in der Bildung, die junge Menschen zu diesem Thema erhalten. In dem von mir besuchten, sehr katholischen Gymnasium zum Beispiel, hat uns eine Nonne via schulweiter Sprechanlage dazu aufgefordert, für die Ungeborenen zu beten. Das ist erst zwei Jahre her. Andere Schulen bieten ausgezeichnete Sexualerziehung an. Es ist absurd, dass es von Glück abhängt, welchen Unterricht du in der Hinsicht erhältst.

Dennoch – mehr und mehr junge Frauen sprechen über reproduktive Rechte und viele andere Themen, und sie werden politisch aktiv. Es ist großartig, so viele junge Aktivistinnen zu sehen.

Was können Menschen und Organisationen außerhalb Irlands tun, um Solidarität zu zeigen und Druck zu erzeugen?

Es wird einen internationalen Aktionstag geben, und zwar am 28. September 2016. Wenn ihr Solidarität mit den Frauen in Irland zeigen wollt, ist dies definitiv die richtige Möglichkeit.

 

Auch in Wien wird es am 28. September einen Protest geben, und zwar um 17:00 vor der irischen Botschaft

Monika Janas ist seit 4 Jahren gemeinsam mit vielen Anderen im Kampf für das Recht auf Schwangerschaftsabbruch aktiv. Sie ist Mitglied bei ROSA und CWI in Irland.

Franziska Wallner ist Redakteurin bei Mosaik, hat Politikwissenschaft und Geographie studiert und interessiert sich vor allem für kritische Stadtforschung und feministische Geographie.

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