Flüchtlinge raus aus den Zelten! Solidarität geht uns alle an

Seit Wochen zeigen die Nachrichten untragbare Zustände in den Zeltunterkünften für Flüchtlinge – und das Hin und Her der politischen Entscheidungsträger_innen. Warum ist immer noch keine Lösung in Sicht? Wem nutzt es, dass Menschen in einem Land wie Österreich in Zelten kampieren oder gar auf offener Straße schlafen müssen? Sicher nicht der Mehrheit der Menschen in Österreich, argumentiert Karin Hädicke.

Offensichtlich will die Regierung den Eindruck vermitteln, dass es in Österreich nicht genug Platz für Flüchtlinge gibt. Das wieder einmal überfüllte Erstaufnahmelager in Traiskirchen und die Zelte sollen beweisen, dass zu viele Menschen nach Österreich strömen und hier nicht integriert werden können – kein Geld, kein Personal, keine Unterkunft. Also verfügt die Innenministerin Mikl-Leitner einen Stopp der Bearbeitung von Asylanträgen und lässt vorrangig „Dublin III“ Fälle bearbeiten. Das sind diejenigen, die in „sichere“ Länder der EU abgeschoben werden sollen, da sie dort das erste Mal registriert wurden. Scheinheilig wird behauptet, dass die Anzahl der Asylanträge nicht mehr zu bearbeiten sei und zunächst die Unterkunftsfrage geklärt werden muss.

Betreuung unmöglich?

Tatsächlich sind von Jänner bis April 2015 dreimal mehr Asylanträge gestellt worden als im Vergleichszeitraum 2014 – fast 15.000. Auf ein Jahr hochgerechnet sind es 45.000 Menschen – das klingt viel, aber ein Land mit dem fünftgrößtem Bruttoinlandsprodukt pro Kopf der EU sollte mit dem „Ansturm“ zurechtkommen.

Viele Menschen, die ihren sozialen Standard bedroht sehen, meinen dass Asylstopp und Abschiebung genau die richtigen Maßnahmen wären. Für viele andere ist der Zustand einfach entsetzlich – sie fordern den Rücktritt der Innenministerin Mikl-Leitner und leisten Hilfe wo sie können. Das Thema ist wie gemacht dafür, die Gesellschaft zu spalten.

Andere Themen verschwinden …

Andere Themen verschwinden während dessen von der Tagesordnung oder werden nur in Nebensätzen behandelt. So werden regelmäßig neue Höchstwerte bei den Arbeitslosenzahlen mitgeteilt, aber es wird ihnen kaum Aufmerksamkeit geschenkt. Lediglich 250 Millionen Euro für ältere Arbeiter_innen sollen bereitgestellt werden. Demgegenüber betragen die Schulden für die Hypo-Alpe-Adria nun doch mehr als 7 Milliarden Euro und werden wohl weiter steigen. Dieses Geld könnte weitaus besser eingesetzt werden, ob für Unterkünfte und Personal für Asylwerber_innen, für Arbeitsplätze oder das Gesundheitssystem. Aber das spielt in der Berichterstattung und für Politiker_innen keine Rolle. So ist die von Gewerkschaften und Sozialdemokratie gestellte Forderung nach einer Vermögenssteuer vom Tisch. Genauso wie die Forderung nach einem Arbeitsrecht für Asylsuchende.

Wem nützt die Spaltung der Gesellschaft durch die Verschärfung der Asylpolitik? Sie schafft die Stimmung, die die Solidarität in der Gesellschaft weiter sinken lässt. Perfekte Voraussetzungen, um Kürzungspolitik ohne viel Widerstand durchzusetzen. Die schlechte Behandlung von Flüchtlingen und die künstlich angeheizte Debatte um Unterkünfte tragen wesentlich dazu bei. Obdachlose, Arbeitslose, Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen und prekär Angestellte waren auch in der Vergangenheit am meisten von Verschlechterungen in der Sozialpolitik betroffen – aber die Spirale dreht sich immer weiter und es muss immer wieder neu davon abgelenkt werden.

Hoffnungsträger SPÖ?

Es ist nichts neues, dass FPÖ und ÖVP selbstbewusst staatlichen Rassismus forcieren und damit den Alltagsrassismus vertiefen. Auch nicht, dass die politischen Entscheidungsträger_innen der SPÖ dabei mitmachen. Neu ist allerdings, wie die SPÖ ganz offiziell Tür und Tor nach rechts öffnet indem sie eine rot-blaue Koalition im Burgenland zulässt. Das ist ein starkes Signal an den rechten Rand der SPÖ. Die Reaktionen auf der linken Seite sind unterschiedlich – während sich viele frustriert von der SPÖ verabschieden, versuchen andere im Rahmen der Partei fortschrittliche Politik umzusetzen und dem gegenwärtigen Kurs entgegen zu steuern  – so zum Beispiel der Bürgermeister von Traiskirchen, der die Probleme des Erstaufnahmelagers nicht in den Flüchtlingen, sondern in der Politik sieht. Seine Politik ermutigt Anti-Rassist_innen nicht nur in der SPÖ.

Die Spaltung der Gesellschaft wird aber auch durch die SPÖ vorangetrieben – und das nicht nur in der Frage der Asylpolitik. Zum Beispiel begünstigt die erfolgreiche Lohnsteuerkampagne von Arbeiterkammer und Gewerkschaften  die Kernmitgliedschaft – Arbeiter_innen und Angestellte mit Vollzeitarbeitsverträgen – und versucht sich deren Loyalität zu sichern. Außen vorgelassen bleiben Gruppen wie Teilzeitarbeiter_innen, Scheinselbstständige, Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen und Studierende.

Die Koalition mit der FPÖ im Burgenland und die wiederholte Zustimmung zu Verschlechterungen des Asylgesetzes bringt der SPÖ vermutlich keine besseren Wahlergebnisse. Die SPÖ-Führung nimmt allerdings bewusst in Kauf, dass stattdessen die FPÖ gestärkt wird. Wider besseres Wissen verkauft die SPÖ-Führung ihre Politik mit dem Argument, dass nur ein Verbleib in der Regierung das Schlimmste verhindert. Mit diesem Vorgehen schwächt die SPÖ-Elite die fortschrittlichen Teile in der eigenen Partei, da sie die Glaubwürdigkeit sozialer und antirassistischer Politik untergräbt und bei Umfallern zu Austritten führt. Die SPÖ präsentiert sich stattdessen als geeignete Partnerin für die Wirtschaft da sie die Gewerkschaften zur Loyalität zwingen kann und keine Politik für soziale Gerechtigkeit zulässt.

Flüchtlinge raus aus den Zelten!

Wenn es so einfach durchgeht, dass Flüchtlinge in Zelten leben müssen, dann ist es auch möglich, weitere Menschen in Österreich in die Armut zu treiben, ohne dass sich etwas rührt. So schwärmt der Vorsitzende der Industriellen-Vereinigung Georg Kapsch von Hartz IV in Deutschland und möchte Ähnliches in Österreich einführen. Mit sinkenden Arbeitslosenzahlen wird geworben, aber hinter verschlossenen Türen schon berechnet, wie Mini-Jobs und „Ich-AG“ die Lohnkosten senken werden. Es steckt deshalb mehr als eine moralische Verpflichtung dahinter, Asylwerber_innen aus den Zelten zu holen – ein Erfolg wirkt gegen die Entsolidarisierung der verschiedenen sozialen Gruppen. Die Erfahrungen können auch auf andere Felder ausgedehnt werden, sei es Gesundheit, Arbeitsmarkt oder Bildung.

Die Forderung nach einem Rücktritt von Mikl-Leitner ist richtig, aber es wird sich nicht viel ändern – sie ist ja nur das ausübende Organ einer menschenverachtenden Politik. Aktionen müssen es schaffen, eine breiter gefasste Solidarität zu verankern und auch Mitglieder von Gewerkschaften zu überzeugen, sich nicht gegeneinander ausspielen zu lassen, sondern Menschen mit anderen oder keinen Arbeitsverhältnissen als Verbündete und nicht als Bedrohung zu sehen. Dass es erfolgreiche Initiativen geben kann, haben vor einigen Jahren die Refugee-Proteste gezeigt, die die Zustände in Traiskirchen für einige Zeit verbesserten und die Solidarität in der österreichischen Gesellschaft auf die Straße gebracht haben.  Gut besuchte Kundgebungen – zum Beispiel von „Asyl in Not“ – zeigen, dass Solidarität und das Bedürfnis nach Aktivität nicht nur auf Facebook vorhanden ist.

Es ist jedoch mehr möglich – wir brauchen Kampagnen, Versammlungen und Aktionen, die sichtbar sind und mit denen sich diejenigen identifizieren können, die eine Politikveränderung in der Asylpolitik erreichen wollen, die über eine moralische Hilfeleistung hinausgeht.

Karin Hädicke arbeitet als Buchhalterin, ist Mitglied der GPA und in der Initiative Anticapitalista aktiv.

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