Nach dem „Oxi“: Die 5 ekelhaftesten Medien Österreichs

In Griechenland wurde Demokratie-Geschichte geschrieben – und die österreichischen Medien kriegen kollektiv den Herzkasper. Natascha Strobl hat sich am Tag nach dem lauten „Oxi“ – dem demokratischen „Nein“ des griechischen Volkes zur neoliberalen Kürzungspolitik – durch die hyperventilierende österreichische Medienelite gelesen. Ein Text von Natascha Strobl und Benjamin Opratko. 

Werfen wir einen kurzen Blick zurück. Fünf Jahre lang wurde dort, ähnlich wie in der ganzen EU, Politik gegen die Bevölkerung betrieben. Was die europäischen Eliten betreiben ist nichts anderes als Verarmungspolitik: Kürzungen im Sozialbereich, Privatisierungen, länger arbeiten für weniger Geld. Gar nicht selten strafen die Menschen ihre Regierungsparteien dafür ab, aber meist kommt nichts Besseres nach. mit Eine echte Alternative gibt es nicht. Mit der griechischen Wahl Anfang 2015 kam zum ersten Mal eine Regierung ans Ruder, die da nicht mitmachen wollte. Sie wurde sofort unter Dauerfeuer von allen Seiten genommen: Von den europäischen Regierungen, von den Institutionen der „Troika“ (Europäische Kommission, Europäische Zentralbank, Internationaler Währungsfonds) und nicht zuletzt von den internationalen Medien. Schließlich wurde ihr ein Ultimatum gestellt: Akzeptiert die selbe Kürzungspolitik wie bisher oder wir schmeißen euch aus der Eurozone. Sie setzt daraufhin eine Volksabstimmung an, um über das Programm der Troika entscheiden. Wieder eine Premiere: Zum ersten Mal in den fünf Jahren europaweiter Verarmungspolitik darf eine Bevölkerung darüber abstimmen, was sie davon hält, zum Schutz von Banken- und Gläubiger_inneninteressen verarmt zu werden. Zum ersten Mal kommt es zu einer direkten, demokratischen Abstimmung über einen Kurs, der bisher nur unter Verbiegung der formalen Demokratie durchsetzbar war. Ein erlösender Moment für ganz Europa, möchte man meinen: Endlich wird das Volk selbst gefragt, was es für richtig hält. Und es entscheidet sich, trotz einer nie dagewesenen, konzertierten Propaganda-Kampagne der europäischen und griechischen Eliten für ein „Ja“, für ein lautes und eindeutiges „Nein“. Natürlich löst das Ergebnis des Referendums nicht alle Probleme der krisengeschüttelten Bevölkerung Griechenlands – doch es ist ein Aufschrei der Würde gegen die Verarmungspolitik und Aufbäumen der Demokratie gegen die Diktatur der Märkte. Und was haben unsere Medien in diesem historischen Moment dazu zu sagen? Nun, seht selbst.

Die Presse

Die Presse schießt sich auf die amerikanischen Ökonomen und Nobelpreisträger ein, die in den vergangenen Tagen für ein „oxi“ – als ein „Nein“ zu den Kürzungsplänen der Troika – plädiert haben. Diese werden im Leitartikel (nicht Kommentar) als „selbstgerechte Erklärkavallerie aus Amerika“ betitelt. Der Teaser: „Intellektuell arrogant, selektiv in der Faktenwahl und ohne Ahnung von Europa bestärken US-Ökonomen die griechische Regierung in ihrem fatalen Kurs.“ Der Autor, USA-Korrespondent Oliver Grimm, versorgt uns noch mit der wichtigen Information dass Krugmann sich trotz „Radurlaub“ nicht abhalten ließ, etwas zu Griechenland zu sagen. Welch Anmaßung – doch: es kommt noch schlimmer, denn: „Krugman ist nicht der einzige US-Nobelpreisträger, der die tsipro-varoufakische Regierungsmannschaft in ihrem Kurs unterstützt, der dazu geführt hat, dass weinende Pensionisten ohne Geld vor leer geräumten Bankomaten sitzen.“ Grimm bedauert, dass „akademische Denker ihr verdientes Ansehen über Bord werfen, um sich als Aktivisten in einen politischen Streit einzumischen. Vielleicht ist das dem amerikanischen Geschäft mit der öffentlichen Meinungsführerschaft zu verdanken, in dem der nächste lukrative Buchvertrag umso schneller winkt, je wortgewaltiger man Patentlösungen für die Probleme unserer Zeit in die Arena brüllt. Das wäre bedauerlich, aber verständlich.“ Der offen antiamerikanische Ton verwundert bei der Presse doch etwas, üblicherweise gibt man sich hier doch gerne transatlantisch. So etwas kennen wir in dieser Schärfe eigentlich nur von der FPÖ. Grimm endet mit einem spöttischen: „Den Erklärkavalleristen kann das egal sein; stets gibt es irgendwo auf der Welt eine Krise, die von ihnen gedeutet zu werden harrt.“ und merkt nicht einmal wie tragisch richtig er mit dieser Feststellung liegt.

Der Standard

Beim „Standard“ fällt besonders die intellektuelle Kernschmelze des EU-Korrespondenten Thomas Mayer auf Twitter auf. Wild schlug er verbal um sich und erklärte sich zum Retter Europas (gemeint ist wohl die EU) vor „linken und rechten Populisten.“ Besonders „Blender“ Varoufakis ist ihm ein Dorn im Auge. Er schwang sich zur twitterenden Extremismustheorie auf  und unterstellte Syriza Kontakte zu allerlei rechtsextremen Parteien. Dass es die konservative Nea Demokratia war, die die offen faschistische Partei „Goldene Morgenröte“ in Regierungsverantwortung holen wollte, ignoriert er geflissentlich. Neben blumigen Reportagen dürfen aber auch Robert Misik im Online-Standard und Gerfried Sperl im Print Kritik an Troika und Eurogruppe üben, was tatsächlich rar in der österreichischen Medienlandschaft ist.

„Österreich“

Gewohnt besonnen analysiert Wolfgang Fellner für sein Gratisblatt, dass das „Nein“ bedeute, dass die Griechen „ohne Fallschirm in den Abgrund springen.“ Fassungslos fragt er sich „wie verzweifelt die Griechen sein müssen, wenn sie lieber auf die Kredite der EU verzichten als ein brutales Spar-Programm durchzuziehen.“ Ja warum wohl? Die „Polit-Hasadeure“ Tsipras und Varoufakis hätten das Land „gegen die Wand gefahren“, denn wenn ein Land „keine Hoffnung mehr hat, dann wählt es die Verzweiflung“. Er warnt auch vor Nachahmern, etwa „Podemos, Le Pen oder Straches FPÖ“ – als hätten die rechtsextremen Parteien Front National und FPÖ das selbe Programm wie Podemos, und nicht exakt gegensätzliche Ansichten. Was für ein Schock für Europa: „Ein Land sagt den EU-Bürokraten: schleicht euch.“ Jetzt müssen die Griechen aber „ihre Nein-Suppe selbst auslöffeln.“ Schluß mit dem „Griechen-Theater“. „Kein Steuergeld darf mehr nach Griechenland fließen.“ Jetzt beginnt nämlich der wahre Aufbruch Europas. Für ganz Europa? Nein, denn: „Die EU soll sich neu erfinden. Sie soll ihre Gipfel, Energien und Hunderten Milliarden nicht mehr für die Griechen-Tragödie verschwenden, sondern für Aufschwung in West-Europa. Wir brauchen Wachstum, mehr Arbeitsplätze, eine neue digitale Zukunft à la Silicon Valley, eine Asyl-Lösung.“ Wir praktisch, dass gleich im Leitartikel „jetzt droht Chaos“ angekündigt wurde und ein „Beben“ in Europa drohe, damit wir alle schon vorsorglich Angst haben. In einem weiteren Artikel wird verkündet, dass der Tourismus in Griechenland „komplett einbrechen“ wird. Angst ist schließlich das Geschäftsmodell von „Österreich“.

Kurier

Der Kurier ortet wenig originell „eine griechische Tragödie“ und attestiert zähneknirschend „einen kurzfristigen Sieg Tsipras‘“. Tsipras, der „linkspopulistische Ministerpräsident“ und Varoufakis hätten bis zu letzt „ungeachtet der Fakten“ für ein Nein geworben. In einem eigenen Artikel wird spöttisch über den „regen Polittourismus“ linker Politiker_innen (Gregor Gysi von der deutschen Linkspartei, Pablo Iglesias von Podemos) geschrieben. Dass Tsipras ob seines „Dauerstrahlens“ wohl „keine schlaflosen Nächte“ habe weiß der „Kurier“ wohl exklusiv – und es macht ihn argwöhnisch. Kein Wunder, weiß man doch in Athen, dass Tsipras „viele Gesichter“ hat und „selbst den Griechen ein Rätsel ist.“ Tsipras habe das Land „wie schon zur Militärdiktatur“ polarisiert. Im Leitartikel heißt es dann, dass Griechenland gleich „einen neuen Staat“ brauche. Schließlich habe sich die Bevölkerung „nicht nur von dieser Regierung“ zu viel gefallen lassen. Denn „kaum ein Instrument der Demokratie“ eigne sich besser zum „Schindludertreiben“ als das Referendum. „Aber ausgerechnet in der Wiege der Demokratie wurde das Referendum am Sonntag zu etwas missbraucht, das dem Ursprung des Begriffs (‚Volksentscheid’) Hohn lacht – die Griechen konnten nicht viel entscheiden.“ Und auch hier geht es nicht ohne persönliche Diffamierungen. Der „politische Intellekt“ von Tsipras und seine „doppellinken Versprechen“ seien „schnell entzaubert“ worden, Finanzminister Varoufakis habe sein Amt als Finanzminister zu „Hochglanz-Popularität gemünzt“ und „verblüffte Freund und Feind mit einer arrogant-selbstgefälligen Chuzpe gepaart mit einer erratischen Dialog-Unfähigkeit.“

Profil

Das Wochenmagazin Profil unter Chefredakteur Christian Rainer bemüht sich schließlich weiterhin redlich, im Niveaulimbo die Bild-Zeitung zu unterbieten. Nach den sexistischen und antimuslimisch-rassistischen Titeln der letzten Monate bewirbt es sich nun wieder um den Titel des schlimmsten Covers der Woche:

Profil Cover Griechenland

„Unser Europa“ (gemeint ist wohl die EU, der Kontinent scheint weiterhin recht stabil zwischen Atlantik und Ural zu liegen) lässt sich das Profil nicht von Le Pen, Orbán, Strache oder Tsipras kaputt machen, so die Botschaft. Aber auch nicht von „Volksabstimmungen“ – als wären diese demokratisch wertlos. Und schon gar nicht von Griechenland, denn was glauben die wer sie sind. Chefredakteur Rainer darf von der „Ohnmacht“ fantasieren, die „vom Volk ausgeht“. Schließlich sind „die Griechen selbst Schuld. So ist das in einer Demokratie“. Eingeleitet wird der Artikel mit einem Zitat der kubanischen Regierung, als fiele es schwer den Unterschied zwischen Castro und Tsipras zu erraten. Danach eine Wulst an rhetorisch-hysterischen Fragen „Was will Tsipras eigentlich?“ Niemand weiß das, so Rainer. Außer „das gesamte internationale Geistesleben“, wie er moniert. „Gegenmeinungen sind hier mit der Lupe zu suchen“, wie Rainer beleidigt feststellt. Dann schafft er das Kunststück eine vermeintliche Verschwörungstheorie mit einer Verschwörungstheorie aufzudecken. „Die Macht der Banken“ hält er nämlich für so eine. Diese sei aber dazu da, die Causa zu „vernebeln und zu verdunkeln“ so die Verschwörungstheorie-Verschwörungstheorie. Es sei nämlich ganz einfach: „Entweder waren die Steuern zu niedrig oder die Sozialausgaben zu hoch.“ Denn „Schulden bleiben“ und der „österreichische Mindestrentner hat nichts zu verschenken“, denn dieser kommt in Rainer’scher Logik für Griechenlands Schulden auf. Dann wird Rainer philosophischer: „Wer sind diese vielbesagten Griechen?“ „Sind das Täter, weil sie gelogen, betrogen und über ihre Verhältnisse gelebt haben? Sind es die Opfer des internationalen Finanzkapitals und der Pastorentochter in Berlin? Sind das Millionen Menschen, für die das 60-Euro-Limit beim Bankomaten keine Rolle spielt, weil sie keinen 60-Euro-Dispokredit mehr haben? Oder ist das ein Klüngel von Reedern, Beamten und Politikern, die ihr Vermögen längst nach London, ihre Schiffchen ins Feuchte gebracht haben?“ um dann die Antwort zu liefern: „Ist einerlei.“ Denn die Griechen haben ja die Manager und Politiker gewählt und damit sind sie, genau: „selbst Schuld.“

In der Titelgeschichte darf Robert Treichler dann ausbreiten, warum er sich seine EU nicht „kaputt machen“ lassen will. Das Problem seien jene, die „mit der EU nicht klarkommen“. Also „Le Pen, Orbán, Strache, Cameron, Tsipras“. Denn „unabhängig vom Text der Fragestellung“ sei das Nein ein klares „Anti-EU-Manöver“. Immerhin attestiert er, dass in ihren politischen Ansichten Tsipras, Cameron und Le Pen „Welten trennen“. Aber: Sie seien gleichermaßen „radikal“, wenn es gegen die EU geht. Denn sie verstoßen gegen das „ungeschriebene Gesetz“, dass in der EU mit „Konsens“ bestimmt würde. Aber das war ihnen offenbar zu „fad“. In zusammenhangslosen Absätzen wird erst Orbáns Vorschlag, die Todesstrafe wieder einzuführen, thematisiert. Danach über Syriza und ihren „im Hintergrund arbeitenden“ Teilen, die an einem EU-Austritt arbeiten würden. Auch die „griechischen Neonazis der „Goldenen Morgenröte“ werden ins Spiel gebracht: „Das Referendum gibt Anti-EU-Kräften innerhalb und außerhalb der Syriza die Möglichkeit, ihrer Ablehnung politisches Gewicht zu verleihen – von Linksradikalen, die in der Union einen neoliberalen Käfig sehen, innerhalb dessen vernünftige Politik nicht möglich sei, bis zur rechtsextremen Partei ‚Goldene Morgenröte’“. Dass es maßgeblich Syriza zu verdanken ist, dass diese kein Gewicht mehr hat, wird nicht erwähnt.

Gehässige Medienelite

Klar, es gibt auch andere Stimmen, selbst in der österreichischen Medienlandschaft. Wir haben es nicht mit einer “gleichgeschalteten Lügenpresse“ zu tun. Vielmehr als um eine Verschwörung die sich die extreme Rechte gern mit ihrem Begriff von der “Lügenpresse” herbeiphantaisiert, geht es um strukturelle Ursachen und auch die oftmals prekären Bedingungen unter denen Journalismus in Österreich stattfindet. Aber der überwiegende Teil der Berichterstattung ist geprägt von einer beängstigenden Geringschätzung der Demokratie und Gehässigkeit gegenüber der griechischen Regierung. Jener Regierung, die – noch – als einzige in Europa eine Alternative zum herrschenden Kürzungs-Dogma vorschlägt. „Oxi“ heißt auch: die Griech_innen weigern sich, weiter für die Krise des Kapitals mit ihrem Leben zu zahlen. Dass eine so eindeutige, demokratisch durchgeführte Willensbekundung von der Medienelite als Bedrohung für „Europa“ dargestellt und die Griech_innen in kolonialer Manier als ungezogene Kinder behandelt werden, sollte uns auch in Österreich zu denken geben.

Natascha Strobl ist Politikwissenschaftlerin und Antifaschistin. Sie ist aktiv in der Offensive gegen Rechts und betreibt außerdem den Blog schmetterlingssammlung.net

Benjamin Opratko ist Politikwissenschafter an der Universität Wien, forscht u.a. zu Rassismus in Österreich und zur aktuellen Krisenpolitik in Europa.

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