Kroatien: Neue Linkspartei gewinnt Wahlen in Zagreb

Die links-grüne Plattform Zagreb je Naš hat die Gemeinderatswahlen in Zagreb haushoch gewonnen. Die neue Partei feiert damit einen historischen Erfolg und wird voraussichtlich in Zukunft den Bürgermeister von Zagreb stellen. Wer ist Zagreb je Naš, wofür stehen sie und wie geht es jetzt weiter? Eine Einschätzung von Paul Stubbs.

Montag Früh, am Tag nach der Wahl vom 16. Mai 2021, sind die Ergebnisse da – und sie sind so gut, wie die Umfragen vermuten ließen. Der Bürgermeisterkandidat von Zagreb je Naš (Zagreb gehört uns – ZjN), Tomislav Tomašević, gewann in der ersten Runde 45 Prozent der Stimmen. Er tritt in zwei Wochen zur Stichwahl gegen den Kandidaten der rechten Heimatbewegung an und wird allen Umfragen zufolge deutlich gewinnen. Voraussichtlich wird ZjN in Zukunft mit Unterstützung der Sozialdemokratischen Partei (SDP) regieren.

Wer ist Zagreb je Naš (ZjN)?

ZjN wurde Anfang 2017 von Aktivist*innen aus sozialen Bewegungen und NGOs gegründet. Sie bringen erstmals eine breite grün-linke Perspektive – von ökosozialistischen bis zu linksliberalen Positionen – in die institutionelle Politik Kroatiens ein. Sie stehen, so die eigene Darstellung, mit einem Bein im Aktivismus und mit dem anderen in der Wahlpolitik. ZjN will eine echte Alternative zur korrupten, klientelistischen und nationalistisch-populistischen Kommunalpolitik Zagrebs schaffen.

Bei ihren ersten Kommunalwahlen im Mai 2017 erzielten ZjN und seine Bündnispartner*innen trotz wenig Ressourcen und Zeit gleich 8 Prozent. Und somit vier Sitze in der Zagreber Stadtversammlung. Bei den Europawahlen 2019 und den kroatischen Parlamentswahlen 2020 kandidierten sie als Možemo! (Yes, we can!). Obwohl sie keine nationale Reichweite hatten, gewann das Bündnis letztes Jahr überraschend 7 Prozent der Stimmen. Heute existieren Možemo! und ZjN weiterhin als verschiedene, aber miteinander verbundene Plattformen.     

Woher kommen Zagreb je Naš und Možemo!

Die Ursprünge von ZjN und M! sind komplex und teils umstritten. Viele der Führungspersonen politisierten sich als AktivistInnen der “dritten Welle” sozialer Bewegungen im unabhängigen Kroatien. Sie kämpften gegen korrupten Kapitalismus, Kommodifizierung und die Privatisierung von Gemeingut und öffentlichen Raums. Obwohl es verbundene Kämpfe in anderen Städten gab, lag der Schwerpunkt in Zagreb. Dort gab es etwa Proteste gegen ein Einkaufszentrum, Luxuswohnungen und ein Parkhaus in einer Fußgängerzone. Auch die Kampagne gegen die Privatisierung einer Autobahn, bei der soziale Bewegungen und Gewerkschafter*innen Seite an Seite kämpften, sowie Uniproteste und -besetzungen waren für viele prägende Erfahrungen. 

Die wichtigsten politischen Bezugspunkte von ZjN sind die munizipalistischen Bewegungen in spanischen Städten. Allen voran Barcelona en Comú, sowie transnationale Recht auf Stadt-Initiativen. Für die Personen und die Politik hinter der neuen Partei war auch die grüne Sommerakademie, die früher von der deutschen Böll-Stiftung und heute von ihrem lokalen Nachfolger, dem Institut für Politische Ökologie, organisiert wird, sinnstiftend.

ZjN hat viele demokratische Konzepte von Barcelona en Comú übernommen – darunter die Idee der konzentrischen Kreise von Koordination und Unterstützung. Politischer Prozess und Inhalt sind für sie gleich wichtig und untrennbar verbunden. So wurde das Programm für die Wahlen in Zagreb von dreiunddreißig inhaltlichen und lokalen Arbeitsgruppen erarbeitet. Etwa 200 Personen waren daran beteiligt.

Ein anderes Zagreb

ZjN will ein anderes Zagreb aufbauen. Dazu gehören die gemeinsame Planung mit den Bürger*innen, transparente Finanzen, ein Ende des Ausverkaufs von städtischem Vermögen und das Jobs und Aufträge nach Kompetenz statt nach Netzwerken vergeben werden.

Die Vision für Zagreb ist die einer wiederbelebten, umweltfreundlichen Stadt mit ausgewogener Entwicklung. In jedem Viertel sollen Kultur- und Gemeindezentren eröffnen und Sport- und Freizeitmöglichkeiten für alle zur Verfügung stehen. Auch die lokale Verwaltung wird sich tiefgreifend ändern, mit mehr dezentralen Entscheidungen und der aktiven Beteiligung von Bürger*innen und Nutzer*innen.

Das Programm von ZjN scheint ein Gleichgewicht zwischen dem zu suchen, was man als „Normalisierung“ der Stadtverwaltung und ihrer „Transformation“ bezeichnen könnte. Es geht um das Verhältnis zwischen einer radikalen Politisierung der Strukturen, dem Glauben an die Macht von Expertise und Vertrauen in die direkte Demokratie und den gesunden Menschenverstand der Bürger*innen. Und sie suchen wohl eine Balance zwischen einer wirklich progressiven grün-linken Agenda und einer liberaleren.

Wie geht es weiter?

Tomaševićs Gegner in der Stichwahl wird Miroslav Škoro von der rechten Heimatbewegung (Domovinski pokret) sein. Er erhielt in der ersten Runde 12 Prozent der Stimmen und besiegte damit knapp die Kandidatin Jelena Pavičić Vukičević von BM365. Alle Umfragen gehen davon aus, dass Tomašević die zweite Runde ebenfalls deutlich gewinnt und somit in wenigen Wochen der neue Bürgermeister von Zagreb ist.

Obwohl die Plattform in der Stadtversammlung mit 23 von 47 Sitzen die absolute Mehrheit knapp verfehlte, kann sie mit der Unterstützung der fünf Abgeordneten der Sozialdemokratischen Partei (SDP) regieren. Der Spitzenkandidat der SDP deutete bereits an, Tomašević in der Stichwahl zu unterstützen.

Andere Meinungen von links

In der Linken wird, nicht immer konstruktiv, kritisiert, dass die politische Basis von ZjN vor allem aus Mitgliedern der urbanen, hochgebildeten, professionellen neuen Mittelklasse besteht. Die Arbeiter*innenklasse ist wenig vertreten. Die Hintergründe davon sind komplex. Nicht zuletzt auf Grund des Charakters von Klasse, Prekarität und Ungleichheit in einer postindustriellen Stadt wie Zagreb. ZjN eine Art der „neuen Linken„“, die Klasse und materielle Strukturen nicht ignoriert, sie aber auch nicht als vorranging gegenüber Unterdrückung aufgrund von Geschlecht, Ethnizität, Behinderung, Alter und Sexualität betrachtet. Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass es wenig oder keinen positiven Bezug zum jugoslawischen Sozialismus gibt.

Das Erfolgsrezept

ZjN ist stark darin, über soziale Medien zu mobilisieren, eine positive Kampagne zu fahren, Medienpräsenz zu nutzen und den Anliegen der Bewohner*innen aktiv zuzuhören. Sie sind durch den Aufbau von Bündnissen organisch und schrittweise gewachsen. Im Hinblick auf politische Teilhabe und neue Bilder von politischem Aktivismus profitieren sie von Geschlechtergerechtigkeit und tragen dazu bei. Durch ihre harte Arbeit nach den jüngsten Erdbeben sowie der COVID-Krise, und da sie Stadtversammlung und Parlament gut als Plattformen nutzen, ist die Bewegung wohl gekommen um zu bleiben.

Nach dem Erfolg in Zagreb sind zu den Kommunalwahlen auch in anderen Städten Možemo!-Gruppierungen entstanden, die oft von Aktivist*innen aus sozialen Bewegungen angeführt werden. Ein Sieg in Zagreb könnte auch zu einer Neuausrichtung der kroatischen Linken führen. Etwa indem die sozialdemokratische SDP radikaler wird oder zumindest ihre klientelistischen Strukturen aufgibt. Er könnten ein Sprungbrett für echte Veränderungen in Kroatien sein – die nächsten Parlamentswahlen finden in drei Jahren statt.

Kommende Herausforderungen

Der Schwerpunkt auf „neuen Munizipalismus“ oder sogar „kommunalen Sozialismus“ vermittelt implizit, dass radikale Veränderungen auf städtischer Ebene leichter zu erreichen sind als auf nationaler. Gleichzeitig sind Städte natürlich genauso wie Staaten in vielfältige kapitalistische Verhältnisse eingebettet. Zwischen Wahlerfolg und realer Macht in Zagreb besteht jedenfalls eine Kluft, die durch die undurchsichtigen städtischen Finanzen und die Macht zentraler Beamt*innen noch verstärkt wird.

Um dauerhafte Veränderung zu erreichen wird es nicht ausreichen, „inländisches“ oder „investitionsorientiertes“ Kapital gegenüber „ausländischem“ oder „räuberischem“ Kapital zu bevorzugen. Entscheidend wird sein, auf mehreren Ebenen, auch regional und international zu arbeiten und dabei auf den Erfahrungen radikaler Bewegungen aufzubauen. Auch die Einbindung linker Berater*innen und das Lernen aus dem, was anderswo funktioniert hat, sind notwendig, um ein langfristiges, emanzipatorisches Projekt aufzubauen, das in die Region und darüber hinaus wirkt. 

Der Artikel ist eine gekürzte, aktualisierte Version eines Original-Texts, der zuerst auf LeftEast erschien. Übersetzung von Mosaik-Redakteurin Lisa Mittendrein.

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