Wien-Wahl III: Diese Wahlen geben Mut!

Kein Grund zu feiern? David Sagner argumentiert, dass das Ergebnis der Wien-Wahlen vor dem Hintergrund der Flüchtlingssolidaritätsbewegung der letzten Wochen und der mobilisierenden Wirkung des Anti-Strache-Wahlkampfes sehr wohl Zuversicht für kommende politische Herausforderungen gibt.

Meine erste Reaktion auf das Wahlergebnis war mehr als ein tiefes Durchatmen. Vielleicht lag es an dem großen Unterschied zu den Umfragen kurz zuvor oder den langen Gesichtern im FPÖ-Wahlzelt nach der ersten Hochrechnung. Vor allem aber war es die Antwort auf eine Frage, die mich und viele andere in den letzten Wochen beschäftigt hat: Wird die Flüchtlingsbewegung und der Anti-Strache-Wahlkampf Einfluss haben? Denn es war zu befürchten, dass ein Sieg der FPÖ für die Tausenden Menschen, die in den letzten Wochen in der Flüchtlingshilfe aktiv geworden waren, ein großer Dämpfer gewesen wäre. Dieser Sieg wäre auch eingetreten, wenn sich die SPÖ-Wien wie in Oberösterreich an die FPÖ angebiedert hätte. Ebenso hätte die Wahl ohne einer starken Flüchtlingssolidaritätsbewegung ein viel schlimmeres Ergebnis bringen können.

Warum wir keine Korken knallen lassen“ war die Überschrift einer ersten Reaktion auf dem mosaik-Blog. Lassen wir Spekulationen über ein mögliches schlimmeres Ergebnis weg. Wenn wir nur die Zahlen und konkreten Wahlergebnisse betrachten, kommt tatsächlich keine große Freude auf: Der beste Wahlerfolg für die FPÖ in Wien seit ihrem Bestehen, ganze Bezirke die fest oder fast in FPÖ-Hand sind und eine Reihe von Gemeindebauten, in denen die SPÖ ihre unangefochtene Vormachtstellung verlor.

Trotzdem war meine erste Reaktion positiv und stimmt mich positiver, je mehr ich mich mit den Wahlen beschäftige. Dass die FPÖ von einem Wahlerfolg zum nächsten eilt, das sind wir gewohnt. Das Thema Flüchtlinge oder Integration brachte bisher ihr einzig und allein Zuwächse. Doch trotz dem Zugewinn für die FPÖ sind diese Wahlen anders, denn dieses Mal fand auch eine antirassistische und Anti-Strache-Position breiten Ausdruck. Schon lange nicht mehr war eine Wahl so polarisierend und, noch viel wichtiger, mobilisierend. Die höchste Wahlbeteiligung in Wien seit 1986 verdeutlicht diesen Umstand.

Warum ausgerechnet bei den Wien-Wahlen 2015? Bürgerliche Medien und Meinungsforschungsinstitute ärgern sich über die angeblich manipulierende Kopf-an-Kopf-Inszenierung und führen das Ergebnis auf eine Täuschung der Wähler_innen zurück. Dies aufzugreifen finde ich falsch. Im Gegenteil zeichnete sich eine Polarisierung im Sinne von „Bist du für oder gegen die Flüchtlingsbewegung“ ab. Mein Eindruck vom Wahlverhalten von Antirassist_innen war eine klare politische Überzeugung. So selbstverständlich und motiviert wie lange nicht stand statt der klassischen „kleineres Übel“- oder „dann gehen wir halt“-Argumentation dieses Mal die tiefe Überzeugung zur Verhinderung der FPÖ im Vordergrund.

Wie richtigerweise im mosaik-Text von Benjamin Opratko, Valentin Schwarz, Martin Konecny und Hanna Lichtenberger erwähnt, waren die Wahlen in einer wochenlangen Solidaritätsbewegung eingebettet, in der sich 23 Prozent der österreichischen Bevölkerung auf die eine oder andere Weise einbrachten. Dies mündete unter anderem in der beeindruckenden Mobilisierung am 3. Oktober als 150.000 Menschen am Heldenplatz für eine menschenwürdige Flüchtlingspolitik zusammen standen – umgerechnet würden diese Menschen 15 Prozent der Wiener Wähler_innen ausmachen.

Wenn auch beeindruckend, hinterließ die Bewegung allerdings wenig bis keinen Eindruck in den klassischen Arbeiter_innenbezirken. Hier wird richtigerweise betont, dass die sozialen Auswirkungen der letzten Jahre ein wichtiger Faktor für das Wahlverhalten war. Jede humanistische Ankündigung von Häupl in Bezug auf Flüchtlinge greift hier zu kurz, wenn doch am eigenen Leib tagtäglich gespürt wird, dass es sich vorn und hinten kaum ausgeht. Eine konkrete Ansage Richtung Ausbau des sozialen Wohnungsbaus, Ausfinanzierung von Spitälern und Schulen und eine damit verbundene verbesserte Situation am Arbeitsmarkt wäre in Floridsdorf oder Simmering sicher besser angekommen. Zusätzlich wäre durch die Forderung nach einer glaubwürdigen Finanzierung, die nicht auf Kosten der Hackler_innen geht, auch mehr Unterstützung für Flüchtlinge möglich gewesen. Kurz gesagt: Die Mittel und das Geld sind da, holen wir es uns!

Solche Ansagen, und das wissen wir, sind mit der derzeitigen SPÖ trotz Ausnahmen wie Andi Babler nicht umsetzbar. All die SPÖ- und Gewerkschaftsfunktionär_innen, die sich jetzt für ihren strategischen Schachzug abfeiern lassen, haben nicht verstanden, worum es in dieser Wahl gegangen ist und was es wirklich braucht, um der FPÖ die Basis zu entziehen.

Jene die in den letzten Wochen das Grenzregime zum Wanken brachten, haben dagegen wirklich etwas verändert. Ebenso die Pfleger_innen, die durch nachhaltiges, geduldiges und vor allem entschlossenes Auftreten gezeigt haben, dass auch bei sozialen Themen etwas möglich ist. Sie können einer politischen Alternative Dynamik und neuen Schwung geben. Ihnen sollten wir nicht nur mehr Aufmerksamkeit schenken, sondern uns aktiv einbringen. Nur aus Bewegung heraus kann eine handlungsfähige politische Alternative entstehen. Und es besteht die reale Chance, die Flüchtlings- und Solidaritätsbewegung mit dem Kampf um soziale Gerechtigkeit zu verbinden.

David Sagner ist Koch, Mitglied bei der Gewerkschaft vida und aktiv bei initiative anticapitalista.

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