Griechenland brennt: Kapitalismus, Krise und Klimachaos

Die verheerenden Waldbrände in Griechenland stärken die Kritik an der rechtskonservativen Regierung, schreibt Kevin Ovenden.

Griechenland erlebt die schlimmste Hitzewelle in 30 Jahren, seit Wochen verwüsten unkontrollierbare Waldbrände das Land. Auch im Nachbarstaat Türkei haben Brände die Küstengebiete zerstört. Obwohl Regenschauer mittlerweile zu etwas Erleichterung geführt haben, gleicht die Situation weiterhin einem Pulverfass. Denn erst Mitte August, wenn die jährliche Trockenperiode durch starken Wind ergänzt wird, erreicht die Waldbrandgefahr ihren Höhepunkt.

Auch ohne die Warnung des diesjährigen IPCC-Klimareports (chaotische Veränderungen stellen sich noch schneller ein, als in pessimistischen Szenarien erwartet) war klar, dass es sich hier um die Konsequenzen des Klimawandels handelt. Ebenso wie bei den apokalyptischen Feuern im Nord-Westen der USA und Westkanada, den über 100 Fluttoten in Deutschland und Belgien, den starken Überschwemmungen in China, dem kalifornischen Feuer im letzten Jahr und dem im Jahr davor in Australien. Und das sind nur die Entwicklungen in den Ländern des Globalen Nordens.

Suche nach Schuldigen für Waldbrände

Trotzdem verkündete Erdoğan, ohne jegliche Beweise, die Feuer in der Türkei wären nicht das Ergebnis der Klimaerwärmung, sondern von kurdischen Aktivist*innen und ihren linken Unterstützer*innen gelegt worden. Beispiele wie dieses zeigen die intensive Politisierung der Klimakrise in Südeuropa auf.

Nirgendwo ist sie auffälliger als in Griechenland, wo der rechts-konservative Premierminister Kyriakos Mitsotakis feststellt, dass wir nun „die Realität des Klimawandels erleben“ – als wäre das eine tiefgreifende Erkenntnis. So versucht Mitsotakis sich, mit Unterstützung der ihm nahestehenden Medien, vor seiner Verantwortung für die fehlende Vorbereitung auf diese „Realität“ zu drücken. Denn Waldbrände sind kein neues Phänomen in Griechenland.

Doch spätestens seit der Evakuierung der Insel Evia funktioniert seine Rhetorik nicht mehr. Der Grund sind schockierende Bilder von Menschen, die sich aus einem Ring aus Feuer auf Fähren retteten. Diese Bilder gingen um die Welt. Genauso wie Fotos der Flammen, die auf Athen zurasten.

Wut auf griechische Regierung

Weniger im Mittelpunkt des Medienrummels steht die Wut der griechischen Bevölkerung, insbesondere der Brandopfer, auf Regierung und Staat. Der frustrierte Kleinbauer, die Chefin einer Pension und die Dorfbewohner*innen konservativer Regionen, sie alle argumentieren nun in einer Form, die die griechische Rechte in der Vergangenheit einzig radikalen Linken zugeschrieben hat.

Ein Mann, der alles verloren hat, erzählt in einer Radiosendung von gerade einmal 170 Feuerwehrmännern, die eine 40 Kilometer langen Feuerfront bekämpfen. „Wenn Mitsotakis kommende Woche nach Thessaloniki reist, beschützen ihn dagegen 3 500 Polizeioffiziere“, ergänzt er. Ein anderer verzweifelter Mann, der wie ein klassischer Dorfbewohner mittleren Alters aussieht, unterbricht die Aufnahme eines Journalisten um die Regierung zu diskreditieren. Er endet mit den Worten: „Und die ganze Zeit beschweren sie sich über die Anarchisten, die Athen niederbrennen. Nun, schön für die Anarchisten. Dann werde ich eben auch Anarchist.“ Drei Tage lang trendet in den sozialen Medien der an Mitsotakis gerichtete Hashtag „Fuck yourself“ – die Worte eines jüngeren Mannes, dessen Haus und Leben während der Waldbrände in Rauch aufgegangen sind.

Die Phrasen „Wo ist der Staat“ und „Wir wurden alleine gelassen“ scheinen sich in Dauerschleife zu wiederholen. Eine Mitte-Rechts regierte Gemeinde im Norden von Evia verbreitet den Slogan „Wir allein“ auf ihren Social-Media-Accounts. Mehrere Bürgermeister und der Gouverneur von Evia sagen, sie wurden von der Regierung im Stich gelassen. Wie mittlerweile bekannt ist, wurde das ursprünglich geforderte 17-Millionen-Budget für den Erhalt der Freiwilligen Feuerwehr, die hauptsächlich in ruralen Gebieten eingesetzt wird, um 90 Prozent gekürzt.

Waldbrände als Politikum

Der griechischen Regierung kann das Thema gefährlich werden. Während der Wahlen vor zwei Jahren schlug sie noch Kapital aus einer Katastrophe im Sommer 2018, als über 100 Menschen durch einen Waldbrand in Mati im Nordosten von Athen ums Leben kamen. Dem Unglück folgten drei Tage Trauer und zunehmende Wut auf die damalige Syriza-Regierung. Außerdem offenbarte der Brand die Auswirkungen der Austeritätspolitik auf die Kapazitäten der griechischen Feuerwehr. Schon damals war das Budget zur Brandbekämpfung um 40 Prozent gekürzt worden, die Flugzeuge der Feuerwehr waren häufig über 30 Jahre alt und stark reparaturbedürftig. Jede Budgetkürzung wurde durch die erbarmungsunwillige Austeritätspolitik der Beamten der Troika, des Weltwährungsfonds, der Europäischen Zentralbank und der EU vorangetrieben.

Diese Probleme waren bereits 2018 bekannt. Die neue Regierung von Nea Demokratia argumentierte hingegen, das wahre Problem sei die „Inkompetenz“ der Syriza-Regierung und der Linken. „Wir wissen, wie wir mit Problemen umgehen. Wir haben den nötigen Sinn für das Regierungsgeschäft.“ So warfen sie Syriza im Wahlkampf vor, sich der Austeritätspolitik zu lange widersetzt zu haben, nur um schließlich zu kapitulieren – was die Rechte schon lange gefordert hatte.

Korruption statt Umweltschutz

Die zynische Wahlkampagne fällt jetzt auf die Regierung zurück. Denn nun ist mehr als klar: Das Problem liegt nicht in der Regierungskompetenz. Geschäftssinn beweist Mitsotakis zwar tatsächlich, doch anders als erhofft. Denn er überträgt die Verantwortung für die Aufforstung nach den Bränden seiner Schwester – nicht die erste korrupte Handlung, deren vorrangiges Ziel eindeutig nicht der Umweltschutz ist. Auch die Versorgung mit Windturbinen liegt bereits in den Händen einer plutokratischen, den Mitsotakises nahestehenden Familie.

Um die Todesrate von Mati zu vermeiden, setzte die Regierung auf Evakuierung. Anfangs wirkte das logisch. Aber bald begannen die Menschen sich zu fragen, warum es keine ernsthaften Versuche gab, die Feuer zu stoppen. Warum gab es kein Personal und keine Ausrüstung? Die Medien versuchten, diese Skepsis zu einer Geschichte von starrköpfigen Bauern zu konstruieren, die sich weigerten, den Vorschlägen einer sachkundigen Regierung zu folgen.

In den sozialen Medien sah die Sache anders aus. Dort beobachteten wir junge Menschen, die selbstorganisiert Ältere, Kranke und Kinder evakuierten und Feuerschneisen anlegten. „Ich verlasse das Dorf nicht, in dem meine Großmutter geboren wurde“, sagte ein Mann. Ein anderer, selbst Großvater, fragte sich: „Warum haben diese Soziopathen die Macht? Sie können nichts ausrichten. Wir müssen wohl alles selbst erledigen.“ Dann brach er erschöpft in Tränen aus.

Wir sitzen nicht alle in einem Boot

Zu allem Überfluss verbreitete sich auch noch die Meldung, dass die Reedereien, der Kern der griechischen kapitalistischen Klasse, den Fliehenden ihre Evakuierung verrechneten. Wer sitzt also tatsächlich, wie es die Regierung formuliert, „in einem Boot“ und wer soll dieses „wir“ eigentlich sein? Ein Bewohner von Nord-Evia stellt fest: „Mitsotakis sagt immer, er würde Flüchtlinge davon abhalten, in unser Land zu kommen. Jetzt macht er uns zu Umweltflüchtlingen“.

Das Büro des Premierministers lässt mittlerweile nur noch Treffen unter Ausschluss der Öffentlichkeit, einzig mit einem offiziellen Fotografen, zu. Sein Team fürchtet sich davor, Inhalte zu produzieren, die die Stimmung so aufheizen, dass selbst regierungsnahe Medien sie nicht länger kontrollieren können.

Fronten im Kampf für die Umwelt

Die Waldbrände intensivieren alle politischen Fragen. Wir werden sehen, wie sich die Situation über den Sommer weiter entwickelt. Alle hoffen verzweifelt auf Regen. Aber wir wissen, dass das Problem in Wahrheit andere Thematiken miteinschließt. Durch das Klimachaos werden plötzliche, tödliche Ereignisse Teil der Alltagspolitik. Angeblich stabile Regierungen, die von der Bevölkerung unterstützt wurden, verlieren an Sicherheit.

Umweltbewegungen zu fördern und zu Massenbewegungen zu vernetzen ist eine wichtige Priorität. So werden auch die Proteste bei der UN-Klimakonferenz in Glasgow wichtig sein, um globale Veränderung zu forcieren. Aber die griechische Geschichte beweist etwas anderes: Die Organisation von Feuerschutz, Wasserversorgung, Verstaatlichung statt Vetternwirschaft, Solidarität, Kollektivität… das sind alles Fronten im Kampf für die Umwelt. Dieser Kampf offenbart sich in unterschiedlichen politischen Momenten. Griechenland ist jetzt einer davon.

Der Artikel wurde auf counterfire.org erstveröffentlicht und von Sarah Yolanda Koss aus übersetzt.

Autor

 
Nach oben scrollen