Die Lobauautobahn: ein männliches Projekt

Während der Widerstand gegen die Lobauautobahn wächst, beharren die Bundesregierung und der Wiener Bürgermeister auf dem Großprojekt. Die Auseinandersetzung macht eines deutlich: Die Lobauautobahn wird für Männer gemacht.

Von der City bis zum Ländle wird der männliche Zeigefinger erhoben. Sebastian Kurz, Markus Wallner und Michael Ludwig wedeln „So nicht!“, eine Überprüfung von Straßenbauprojekten käme nicht in Frage. Arbeitsplätze würden verloren gehen und die Leben von Pendler*innen in eine Katastrophe stürzen, wenn etwa Projekte wie die Lobauautobahn nicht umgesetzt werden. In diesem Fall sei sogar die gesamte Seestadt in Gefahr, meinte Planungs- und Innovationsstadträtin Uli Sima. Automobilität führt sogar die Wiener SPÖ und die Bundes-ÖVP zusammen, ideologische Grenzen asphaltiert sie ein.

Das “Zukunftsprojekt” Lobauautobahn wird als Notwendigkeit dargestellt. Gleichzeitig schlägt man mitten in der Klimakrise Alternativen dazu in den Wind. Offensichtlich würde der zusätzliche Verkehrsaufwand durch mehr Straßen den Ausstoß an CO2 erhöhen. Die globale Erwärmung würde sich weiter beschleunigen. Die erhoffte Verkehrsentlastung hätte keinen langfristigen Bestand (selbst die ASFINAG und der ÖAMTC räumen das ein). Entsprechend umstritten ist das Bauprojekt.

Männliche Räume und Mobilität

Während die ökologischen Auswirkungen im Mittelpunkt der Debatte stehen, ist ein anderer Aspekt weniger offensichtlich: Die Lobauautobahn ist ein männliches Projekt. Geschlecht bedingt, wer in Räumen bleiben und wer sich wie durch Räume bewegen kann. Die sexistische Praxis Catcalling ist dabei eines der vielleicht bekanntesten Beispiele. Die Sexualisierung von Frauen* und deren Reduktion auf ihre Körper erschafft einen männlichen Raum, in dem Männer ihre strukturelle Dominanz über Frauen etablieren. Autobahnen schaffen zwar kaum öffentlichen Raum, allerdings erfüllen auch sie männliche Bedürfnisse. So ebnen die Lobauautobahn und die Stadtstraße einer männlichen Mobilität den Weg.

Bereits Mitte der 2000er-Jahre hat Eva Kail in Wien gezeigt, dass Männer und Frauen* in ihrem Alltag unterschiedliche Wege bewältigen. Während Männer vor allem zwischen dem Zuhause und der Lohnarbeit pendeln, also von A nach B, sind die Wegketten von Frauen* komplexer. Personen, die Care- und Reproduktionsarbeit leisten – und das sind weiterhin vermehrt Frauen* – müssen mehrere Stationen einlegen. Statt A-B bewältigen sie also Wege, die sich vielmehr mit dem Muster A-C-A-B-D-C-A beschreiben lassen. Sie eilen von Zuhause zum Kindergarten, in die Lohnarbeit, in die Schule, bringen Kinder oder ältere Menschen zur Ärztin, kümmern sich um Einkäufe und kommen schließlich wieder bei A an. Die männliche Mobilität A-B ist einfach und mit dem Auto leicht über mehrere Kilometer ausdehnbar. Care- und Reproduktionsarbeit setzen aber eine Mobilität mit vielen Verzweigungen und Stops voraus.

Lobauautobahn und Stadtstraße: männliche Projekte

Die Lobauautobahn und die Stadtstraße sind Projekte für Pendler*innen. Sie sollen eine schnelle Mobilität von A nach B ermöglichen. Komplexere Wegketten geraten in Vergessenheit. Doch in welcher Gesellschaft wird diese Priorisierung erst möglich? Die lautstarken Wortmeldungen der Befürworter*innen machen deutlich: Ein solches Straßenprojekt mitten in der Klimakrise ist erst in einer patriarchalen Gesellschaft denkbar. Eine, die produktive Arbeit über die reproduktive stellt, Wachstum und Profit gegenüber Sorge- und Hausarbeit priorisiert. Das ist das gesellschaftliche Fundament, auf dem die Lobauautobahn entstehen soll.

Während die Lobauautobahn dem männlichen Produktivitätssektor entgegenkommen würde, würde sie zugleich die Räume für die Reproduktions- und Fürsorgearbeit eingrenzen. Abgase, Feinstaub und Lärm vermindern nicht nur die Möglichkeiten, um sich vom Alltag zu erholen. Der Tunnel würde zugleich die Lobau als Naherholungsgebiet gefährden. Hören Sie lieber dem Rauschen der Triester Straße am Wienerberg und der A22 auf der Donauinsel oder dem Mittelspecht in der Lobau zu, wenn Sie sich von der Arbeit erholen?

Feministische Elemente

Der Kampf um die Lobauautobahn ist daher nicht nur einer, der die Themen Klima und Mobilität auf den Tisch bringt. Die Auseinandersetzung zeigt auch, welche Arbeiten Anerkennung erfahren und welche nicht. Im Mittelpunkt steht die Frage, wessen Bedürfnisse in der Gestaltung des öffentlichen Raums eine Rolle spielen. Während eine Autobahn mitten in der Klimakrise rund drei Milliarden Euro kosten soll, besitzt der Staat keine Motivation Projekte gegen Männergewalt in einem ähnlichen Ausmaß zu stützen. Trotz der zahlreichen Femizide in Österreich.

Der Kampf gegen die Lobauautobahn besitzt insofern feministische Elemente, weil er sich gegen ein Projekt stellt, das insbesondere männliche Mobilität gegenüber dem Erhalt ökologischer Systeme und gegenüber Sorge- und Hausarbeit priorisiert. Eine Welt ohne Lobauautobahn wäre eine mit weniger Autos und weniger CO2-Emissionen. Eine klimagerechte Gesellschaft ist eine, in der Femizide beendet werden und Sorgearbeit radikal umverteilt wird. Eine klimagerechte Gesellschaft ist auch eine, in der öffentlicher Raum und Mobilität feministisch gestaltet werden.

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